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Die Brüder Sören und Jonas Gerhardt überraschen die Lastenradbranche mit ihrem Muli dank schlauer Technikkniffe.
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Portrait - Muli Cycles

Neueinsteiger

Zwei Brüder ohne Erfahrungen im Radmarkt entwickeln eine neue Art des Cargobike. Auf Messen und im Netz sorgen sie für Furore: Mit ihrem kompakten Lastenrad erschufen sie einen praktischen Hingucker.

Das Lastenrad im Schaufenster der Bikestation im Kölner Stadtteil Sülz ist ein Unikat - ein Hingucker, der immer wieder Leute in den schicken kleinen Laden hineinlocke, sagt Inhaber Marcus Ratzko. Dabei ist das schwarze Gefährt mit der spannenden Geometrie zum Zeitpunkt der Recherche gar nicht zu kaufen. Es gibt nämlich vom Hersteller derzeit keinen Nachschub und deshalb bewahrt Ratzko das Gefährt im Laden, bis neue Lieferungen möglich sind – und damit bleibt dieses Exemplar so lange das einzige Händlerexponat, das der neue deutsche Anbieter Muli Cycles bislang im Fachhandel platziert hat.

Vorzüge von Cargobikes und Klapprädern vereint

Binnen kurzer Zeit haben die beiden Gründer von Muli Cycles, die Brüder Sören und Jonas Gerhardt, in der Branche für Aufsehen gesorgt. Beide hatten mit dem Fahrradbau zuvor gar nichts zu tun – und doch haben sie eine Nische gefunden, die im Lastenradsektor vielversprechend wirkt. Der Designer und Bühnenbildner Sören Gerhardt machte sich vor etwa drei Jahren gemeinsam mit dem Bruder, dem Industriemechaniker und Techniker Jonas Gerhardt, an die Arbeit, um die Vorzüge von Cargobikes und Klapprädern zusammenzubringen. »Diese Kombination hat es vorher nicht gegeben«, sagt Sören Gerhardt. Noch im Masterstudium entwickelte er, ausgehend vom wahrgenommenen Mangel an wendigen, für den Radkeller und die U-Bahn geeignete Lastenrädern, das Projekt und schuf zusammen mit dem Bruder 2015 den ersten Prototypen.
Im vergangenen Jahr schaffte Muli dann den Sprung in den Markt. Im Frühjahr lief eine Crowdfunding-Kampagne auf dem Portal Startnext, bei dem Muli mehr als 88.000 statt der angepeilten 35.000 Euro an Unterstützungsgeldern einsammelte. »Es war ein starkes Signal für uns, dass wir hier so schnell so viel mehr einsammelten, als eigentlich unser Ziel war«, sagt Sören Gerhardt. Durch diesen Kanal im Netz konnte man feststellen, dass es tatsächlich belastbares Interesse an dem Produkt gab. Hierbei half Muli allerdings nicht nur das fahrradaffine Netzpublikum, sondern auch die Messeaktivität in Düsseldorf und Berlin während des Crowdfunding-Zeitraums. Dort merkte Gerhardt übrigens auch die Neugierde der anderen Anbieter von Lastenrädern – »und man sieht auch schon, dass wir die Branche inspiriert haben«, sagt er.
Das Besondere an diesem Gefährt ist zunächst einmal, dass es mit 24 Kilogramm leicht und mit einem einklappbaren Ladekorb versehen ist, in den der Fahrer bis zu 70 Kilogramm Last unterbringen kann. Zugleich ist das Rad nur 1,95 Meter lang und damit unwesentlich länger als viele Stadträder. Wer sich auf eine Testfahrt mit dem Fahrrad macht, versteht dessen Vorzüge unmittelbar. Das Rad ist agil, leicht zu steuern und lässt sich im Stadtverkehr flüssig manövrieren. Parken und Verstauen sind weder Kraftakt noch Geschicklichkeitstest. Mit Shimano-Alfine-8-Gangschaltung lenkt man das Rad zügig durch die urbanen Straßen.

Qualität »made in Germany«

en Modell gibt, konnte Muli 2017 zeigen. Alle 100 Räder aus der ersten Produktion gingen im Vorjahr per Online-Absatz an Käufer – mit 2290 Euro zu einem attraktiven Preis. Bedenkt man, dass es sich um eine Eigenschöpfung aus Deutschland handelt, wirkt der Preis verblüffend niedrig. Tatsächlich ist das Muli »Made in Germany« – »das haben wir bislang nicht offensiv genug nach außen getragen«, findet Sören Gerhardt. Die Rohre für den Stahlrahmen kommen von deutschen Fachbetrieben, für die Schweißarbeiten und Lackierung hat Muli ebenfalls hierzulande Partner gewonnen – und die Endmontage organisiert man im eigenen Betrieb im hessischen Lahn-Dill-Kreis.
Dass die beiden Gründer keine Routiniers der Radbranche sind, merkt man auch an den Planungen für die Saison 2018: man sei spät dran, geben sie zu. Bislang gibt es noch kaum Details zur neuen Serie des Muli – dabei wollen die Gesellschafter nach einem ersten Testjahr nun auch langsam anfangen, persönlich mit dem Rad zum eigenen Erwerbsleben beizutragen. Doch wie viele Räder 2018 produziert werden und zu welchem Preis sie dann zu haben sind, dazu gab es Ende Januar noch keine Informationen.
In den vergangenen Monaten hat Muli viel Feedback bekommen, auch vom Kölner Radladen Bikestation. So gab man dort etwa den Hinweis, dass das Muli für die Kettenspannung andere Ausfallenden benötige – eine Veränderung, die laut Sören Gerhardt auch umgesetzt wird. Auch wird es ein Rahmenschloss für die Montage von Riemenantrieben und einige neue Komponenten geben. Wie sich das aber auf das Preisschild auswirkt, dazu gibt es noch keine genaue Auskunft. Es werde das Muli 2018 auch über den Fachhandel geben, »die Nachfrage ist enorm«, sagt Gerhardt. Doch das bringt eine Schwierigkeit mit sich: Beim aktuellen Preis von knapp unter 2.300 Euro war kaum Spielraum für eine Händlermarge, aber wenn die Interessen der niedergelassenen Händler sich im Preis wiederfinden sollen, muss das zu einem erheblichen Sprung führen. Inwiefern Muli Online- und stationären Handel aus eigener Kraft aufbauen kann, wird sich zeigen.
Aber die Brüder Gerhardt stehen ja auch noch ganz am Anfang. Immerhin haben sie ihre Idee in die Tat umgesetzt. Und das, sagt Sören Gerhardt, fühle sich gut an. Er schwärmt vom eigenen Produkt. »Das Rad fällt mir im Alltag wirklich nicht zur Last«, sagt er, es sei für den Transport ebenso gut geeignet wie für das zügige Fahren mit eingeklapptem Korb durch enge Gassen – und oft sprächen ihn in seiner Hamburger Heimat Passanten auf das Muli an. Dass er sich dann als Hersteller outen muss, entspricht eigentlich nicht seinem zurückhaltenden Naturell – aber die Freude überwiegt, dass das Konzept so gut ankommt bei den Leuten.

19. Februar 2018 von Tim Farin
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