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Niseko entdeckt die Radfahrer
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Report - Fahrradtourismus Japan

Niseko entdeckt die Radfahrer

Während das Wintergeschäft brummt, tut sich der japanische Wintersport-Ort Niseko auf der nördlichen Insel Hokkaido – dem »Outback Nippons« – im Sommer recht schwer. Dann wirken Teile des Ortes wie das etwas oberhalb gelegene Niseko-Hirafu wie eine Geisterstadt. Das will man nun ändern. Um irgendwann einmal eine ausgewogene Balance zwischen Winter- und Sommertourismus zu finden, ziehen derzeit viele Beteiligte an einem Strang. Eine zentrale Rolle soll dabei der Fahrradtourismus spielen.

Der internationalen Wintersport-Szene ist Niseko ein Begriff. Nicht nur wegen des legendären Pulverschnees, sondern vor allem auch wegen der Menge, die dort jedes Jahr herunter‑ rieselt. Laut Paul Haggart – einem gebürtigen Neuseeländer, der sich als Tourismusstratege in Niseko einen Namen gemacht hat – sind es pro Saison 13 Meter. »Damit sind wir weltweit der Wintersport-Ort mit der zweitgrößten Schneemenge.« Der größte Teil des Gemeindebudgets geht somit fürs Schneeräumen drauf. Geräumt werden die zu Niseko gehörenden 126 Kilometer Straßen – da sind die Japaner sehr genau – ab einer Schneehöhe von 12,5 cm.
Erste Wintersportler aus dem Ausland kamen schon recht früh nach Niseko. Niseko-Hirafu – in der Saison 2011/2012 sein 50. Jubiläum feiernd – war das erste japanische Skigebiet. Es waren dann australische Skilehrer, die im Zuge des Nippon-Skibooms in den 90ern verstärkt nach Hokkaido kamen. In Niseko fanden sie genau das, wovon sie träumten: feinsten Pulverschnee.
Mit dem Abflauen des Skibooms ließ auch das Interesse der Einheimischen am Thema Wintersport nach. Australier wie Colin Hackworth – jetzt als Präsident von Nihon Harmony Resorts für das zu Niseko gehörende Skigebiet Hanazono verantwortlich – nutzten damals die Situation, dass Land und Liftanlagen günstig zu haben waren. Australische Investoren legten los, stellten aber bald fest, dass für die im großen Stil geplanten hochwertigen Hotels inklusive Infrastruktur noch deutlich größere Investments nötig waren. Heute werden schicke Apartment- und Studio-Hotels mit Investments aus Ländern wie Hongkong, Singapur, Südkorea, Indonesien und Malaysia hochgezogen. Erste Finanziers aus China haben auch schon angeklopft.
Abgewickelt wird das Ganze über in Niseko wohnende australische Immobilienmakler, die sich jeweils ein internationales Team aufgebaut haben. Somit ist auch die Zahl der ausländischen Mitbewohner Nisekos gestiegen. Auch diese Tatsache lockt immer mehr Asiaten dorthin. Sie lieben die internationale Atmosphäre, die dieser Ort wie kein anderer in Japan ausstrahlt.

Mildes Klima lockt

Nicht zu vergessen: das (Sommer-)Klima. Anders als in vielen Orten Asiens ist der Sommer auf Hokkaido äußerst angenehm – laut Haggart »wie gemacht für jegliche Sportaktivitäten«. Während es in vielen Ländern Asiens brütend heiß und schwül ist, wird Hokkaido aus deutscher und japanischer Sicht nicht nur landschaftlich, sondern auch vom Klima her mit dem Alpenraum verglichen. Mit diesem Pfund im Rücken ist der Sommertourismus extrem ausbaufähig.
Erste Touristenströme aus den benachbarten Ländern Asiens sind bereits via Bustour auf Hokkaido unterwegs. Jetzt muss es Orten wie Niseko nur noch gelingen, den (Individual-)Tourismus mit sommerlichen Sportaktivitäten wie Radfahren in Einklang zu bringen. Dass es funktioniert, hat der Wintertourismus Nisekos längst bewiesen. Hier setzen viele Touristen auf Apartments- und Studio-Hotels, die mit ihren eingebauten Küchen so gar nicht in das gängige Japan-Bild von »All-inclusive« passen. Mittlerweile wird Individual-Tourismus von vielen reichen Asiaten als extrem cool empfunden.

Expats mit Inputs

Die in Niseko lebenden Ausländer waren es dann auch, die im Sommer einige Sportaktivitäten aufzeigten, die das einseitige Saisongeschäft des Wintersport-Ortes ins Gleichgewicht bringen könnten. Der Australier Ross Findlay, Managing Director von Niseko Adventure Centre (NAC), gründete vor etwa drei Jahren zusammen mit einigen Landsleuten und Einheimischen den Rennradclub Team Niseko. »Mittlerweile haben wir 40 Mitglieder«, erklärt der ehemalige Amateur-Rennradler. Jedes Wochenende ist eine internationale Gruppe im Sattel.
Weil man für irgendwelche Ersatzteile aber immer nach Sapporo fahren musste, gründete ein Kanadier – der für das in Niseko ansässige Unternehmen Hokkaido Tracks Resort Properties arbeitende Paul Butkovich – einen Fahrradladen. Groove Cycles ist nicht immer geöffnet, befindet sich in einer Doppelgarage und hat verschiedene Sachen auf Lager, die man ansonsten weder in Niseko noch im nahe gelegen Kutchan bekommen kann. »Tatsächlich gibt es in Kutchan einen Fahrradhändler. Der bietet aber ausschließlich billige Cityräder, hat nichts für sportive Bikes auf Lager und kennt sich damit leider auch nicht aus«, erklärt Butkovich. Die Webseite seines »Hobby«-Fahrradladens Groove Cycles ist jedenfalls sehr professionell aufgemacht.

Englisch sprechende Japaner

Das Thema Fahrrad hat auch einige Japaner nach Niseko gelockt. Teppei Nakajima war nach einem Aufenthalt im kanadischen Wintersport-Ort Whistler auf der Suche nach einem heimischen Ort, wo er sowohl seine Liebe für Snowboarding als auch für Mountainbiking ausleben kann. Zudem wollte er sein erlerntes Englisch in die Waagschale werfen. Der ausgebildete Koch, der sich im Winter als Snowboard- und Skiguide durchschlägt, kam erstmals vor fünf Jahren nach Niseko. Und wusste sofort, dass er hier irgendwann einmal heimisch werden wollte.
Schnell wurde ihm aber auch klar, dass man hier in Sachen Mountainbiking ganz weit unten anfangen muss. Also begann er mit dem Trailbau. Auf diesem Gebiet hat sich Nakajima mittlerweile auf ganz Hokkaido einen Namen gemacht. Dann kam ihm noch ein Zufall zu Hilfe. Irgendwann kam Andi Felsl, Macher von Bionicon-Bikes am Tegernsee, zum Snowboarden nach Niseko. Niseko gefiel ihm so gut, dass er sich auch gleich aufmachte, jemanden zu finden, der sich mit Mountainbikes auskennt und seine hochwertige Nischenmarke authentisch in Japan aufbaut. Irgendwie landete er dann bei Teppei Nakajima. Im Juli 2010 war man sich einig: Bionicon-Japan wurde als Tochter von Bionicon-Macher Inwall GmbH ins Leben gerufen. Teilhaber Teppei Nakajima ist als Verkaufs- und Servicemanager im Einsatz.
»Seit etwa zwei Jahren ist Niseko gezielt auf der Suche nach sportlichen Sommeraktivitäten. In diesem Zuge konnte ich hier erste Mountainbike-Trails bauen«, erklärt Nakajima rückblickend. Einige Trails werden sowohl von Wanderern als auch Mountainbikern genutzt. Für die Erhaltung der Trails kann sich Nakajima auf einige freiwillige Helfer mehr oder weniger verlassen. Hilfe kommt aber auch von anderer Seite. Der Ort Niseko hat realisiert, dass Radeln eine der Aktivitäten ist, die hier im Sommer gut Fuß fassen können. Zudem hat Nakajima einige Hotels und Liftbetreiber auf seiner Seite, für die er Trails und sogar Bikeparks gebaut hat. So hat beispielsweise das Hilton Niseko Village Hotel neben dem Golfplatz einen Bikepark. Und das sich im Aufbau befindliche Wintersport-Gebiet Hanazono hat direkt neben der neuen Talstation auch einen.

MTB-Anfänge

Allerdings befindet sich das alles noch in den Kinderschuhen. »Es ist nicht leicht, eine gute Premium-MTB-Nischenmarke in Japan einzuführen. Da muss man ganz unten anfangen«, erklärt Nakajima. Momentan hat er landesweit sechs Händler, die seine Marke führen. Um das von Bionicon ausgerufene »Backcountry«-Image in Japan aufzubauen, ist Nakajima viel auf MTB-Events. Und setzt auf seine eigenen MTB-Kurse in Niseko: »Viele Japaner wissen gar nicht, was Mountainbiken genau ist. Ich habe jetzt aber einige Händler aus Sapporo, die hier ab und an mit ihren besten Kunden einen Kurs belegen. Nur so habe ich eine Chance.«
Von Teppei Nakajimas Bemühungen in Sachen Mountainbike profitieren neben Niseko Town auch andere Fahrrad-Fans. Leute mit Problemen am Bike landen bei Groove Cycle. Nicht weit davon entfernt ist Ross Findlay’s Niseko Adventure Centre mit Outdoor-Laden und Jo Jo’s Cafe & Bar zu Hause. Das bietet neben Rennradeln bereits andere Sportarten wie Rafting, Canyoning und Trekking.

Tourismusbremse Fukushima

Bleibt eigentlich nur noch eine Unbekannte, die das Nippon-Tourismusgeschäft derzeit kollektiv ausbremst: Fukushima. Alle in Niseko befragten Seiten betonen, dass Niseko und Hokkaido sicher sind: »Bitte schreiben Sie das.« Die Radioaktivität ist nachweislich nicht bis Hokkaido gen Norden. Das ist auch der Grund, warum derzeit im Land der aufgehenden Sonne insbesondere Nahrungsmittel aus Hokkaido besonders gefragt sind und in ganz Japan mitunter schwer zu bekommen sind.

27. Juni 2013 von Jo Beckendorff
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