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Ehrgeizige Pläne beim Pexco-Nachfolger

Pierer will Marktführer im E-Segment werden

Beim ersten globalen Fachpresse-Meeting seit etwas mehr als zwei Jahren hat die Pierer E-Bikes GmbH, bis vor kurzem bekannt als Pexco, nicht nur einen Einblick in neue Modelle von Husqvarna und Raymon, sondern auch in ihre Ziele im Fahrradmarkt gegeben.

Das Airray von Raymon kommt mit in der Top-Version auf 19,4 kg.Hubert Trunkenpolz betont die Bedeutung des stationären Fachhandels für die Pierer-Gruppe.Das MC6 löse die Markenwerte von Husqvarna erstmals zu 100 % ein, so dessen Designer Alex Thusbass.

Kurzer Rückblick auf März 2020: Pexco, 2017 in Schweinfurt gegründet von Susi und Felix Puello mit Beteiligung von Motorradhersteller KTM (nicht dem Fahrradhersteller), präsentierte damals kurz vor der Eskalation der Corona-Krise den Handelspartnern den eigenen Marschplan für die nächsten Jahre. 500 Mio. EUR Umsatz mit den Marken Husqvarna und Raymon standen damals als Ziel für 2025 auf einem Präsentations-Chart.

Seitdem ist viel passiert. Nicht nur in der Welt, sondern auch bei Pexco. Der einstige Anteilseigner KTM Industries AG hat sich als Dachgesellschaft, um Namenskonflikte mit dem Inhaber der Fahrradmarkenrechte KTM Fahrrad zu umgehen, nicht nur in Pierer Mobility AG umbenannt, sondern auch Pexco vollständig übernommen. Der Name Pexco ist inzwischen ebenfalls Geschichte: Der Fahrradhersteller als Tochterunternehmen der Pierer-Gruppe nennt sich inzwischen Pierer E-Bikes GmbH mit Sitz im österreichischen Munderfing. Und mit Felt ist noch eine international bekannte Fahrradmarke durch Übernahme vom bisherigen Inhaber Rossignol zum Portfolio dazugestoßen.

Gestern nun hat Hubert Trunkenpolz, Vorstandsmitglied der Pierer Mobility AG, der angereisten Fachpresse einen Einblick gegeben, wie sich das Unternehmen die nähere und langfristige Zukunft im Fahrradmarkt vorstellt. Im zurückliegenden Geschäftsjahr hat Pierer E-Bikes bei 1396 Partnern im Fahrradhandel und 327 Motorrad-Händlern insgesamt etwas über 100.000 Fahrräder abgesetzt und damit einen Umsatz von 165 Mio. EUR erwirtschaftet. Das einst für 2025 angepeilte Ziel einer halben Milliarde Euro ist also noch ein gutes Stück entfernt. Unterdessen nennt Trunkenpolz schon neue, noch ambitioniertere Pläne: Bis 2026 soll der Fahrradabsatz mit dann 5000 Handelspartnern auf 350.000 Einheiten, der Umsatz auf mindestens 600 Mio. EUR wachsen.

Apropos Handel: Gleich an mehreren Stellen wurde gestern betont, wie wichtig und zentral die Zusammenarbeit mit dem stationären Fachhandel bei dem Motorrad- und Fahrradhersteller auch in Zukunft sein werde. Das ist einerseits der Unternehmenshistorie im ebenfalls fachhandelsgeprägten Motorradsegment geschuldet, mag aber vielleicht auch ein wenig der Blick auf eine potenzielle offene Flanke im Fahrradmarkt sein, wenn sich andere Player zunehmend vom Fachhandel abwenden. Nochmal apropos Handel: Einen nicht unwesentlichen Teil zum (Fahrrad-)Erfolg soll der Motorradhandel beitragen. Unter den zuvor genannten 5000 Handelspartnern sollen künftig bis zu 2000 Kunden sein, die bei Pierer sowohl Motorräder als auch Fahrräder einkaufen. Den Motorradhandel will der Hersteller dabei insbesondere mit Fahrrädern bedienen, bei denen die Pierer-Marke Gasgas auf dem Rahmen steht. Die Marke der spanischen Unternehmenstochter ist demnach also bei Pierer E-Bikes der Spezialist für jene Motorradhändler, die einen Ausflug in das mit höheren Margen lockende E-Bike-Segment wagen wollen.

Insgesamt will die Pierer-Gruppe somit zum globalen Marktführer für motorgetriebene Zweiräder aufsteigen, der mit elektrisch angetriebenen Modellen in der gesamten Bandbreite von 250 W bis 15 KW Motorleistung bis 2030 rund ein Drittel der Konzernumsatzes erzielt. Dieser lag zuletzt bei etwas über 2 Mrd. EUR.

Ziele sind die eine Sache, deren Umsetzung eine andere. Im Fahrradmarkt gilt das vor dem Hintergrund einer unwägbaren Markt- und Liefersituation umso mehr. Doch bei Pierer werden durchaus die Hausaufgaben gemacht, um die Herausforderungen des Fahrradmarktes in den Griff zu bekommen. Besonders auffällig ist dabei die Investition von rund 90 Mio. EUR in ein neues Werk in Bulgarien, das Anfang 2024 loslegen soll und auf eine Jahreskapazität von 350.000 Einheiten pro Schicht ausgelegt ist. Partner bei der Umsetzung ist der bulgarische Fahrradhersteller Maxcom.

Ebenfalls ausgebaut werden die Kapazitäten beim Konzern-eigenen Design-Unternehmen Kiska. Hier werden aktuell gerade 25 Mio. EUR investiert, um diese Sparte für die ehrgeizigen Pläne im E-Segment aufzurüsten. Mit dem Kiska Bicycle Design Studio wurde zudem unlängst unter der Führung von Alex Thusbass ein Ableger in München geschaffen, der mit 20 Mitarbeitern nicht nur für das Design, sondern auch die technische Entwicklung neuer Fahrradmodelle verantwortlich zeichnet.

Und last but not least baut die Pierer E-Bikes GmbH in Taiwan gerade eine Niederlassung auf, die sich ab dem dritten Quartal 2022 um die Beschaffung auf dem asiatischen Markt kümmern soll.

Nächste Modellgenerationen

Auch wenn beim Pressetermin in Munderfing viel über die Strategie in den kommenden Jahren gesprochen wurde, war der eigentliche Anlass die Vorstellung von neuen Modelllinien bei den Pierer-Marken Raymon und Husqvarna. Wobei die Pressepremieren der neuen Linien Airray von Raymon und MC6 von Husqvarna für die Medienteilnehmer keine völlige Überraschung waren, nachdem beide Neuheiten auch schon im letzten Herbst angekündigt worden waren.

Was aber nichts daran ändert, dass beide Marken hier zwei bemerkenswerte neue Linien auf die Räder gestellt haben. Mit dem Airray beschreitet Raymon einen interessanten Weg, um das Gewicht eines E-MTBs mit 150-mm-Fahrwerk unter 20 kg zu drücken. Erreicht wird dies unter anderem mit Carbon-Rahmen und leichten Komponenten, vor allem aber mit einem leistungsmäßig auf 50 Nm gedrosselten Yamaha-Motor, der in Folge auch mit einem (leichteren) 410-Wh-Akku praxistaugliche Reichweiten bieten soll.

Das E-MTB MC6 von Husqvarna wiederum wurde von Design-Mastermind Alex Thusbass als Modell beschrieben, das „erstmals die Markenwerte von Husqvarna zu 100 % umsetzt“. Als Schlagwort wurde dabei unter anderem die „Perfektionierung des Wesentlichen“ genannt. Eingelöst werden soll dieses Versprechen unter anderem mit einer überarbeiteten Geometrie, die den Fahrer mehr mittig im Fahrrad positioniert und bewusst längere Kettenstreben für eine bessere Uphill-Performance einsetzt. O-Ton Tusbass: „vom Uphill-Flow zum Uphill-Thrill“.

Das Sahnestück des neuen Modells ist aber neben der stimmigen Design-Sprache die Integration des 720-Wh-Akkus, der nun schwimmend und Elastomer-gefedert im Unterrrohr gelagert und per Kabelstummel flexibel mit dem Motor verbunden ist. Eventuelle Antriebsausfälle durch Spannungsabrisse sollen mit dieser Konstruktion der Vergangenheit angehören. Auch thermische Probleme wurden durch ein sogenanntes „Passive Efficiency Concept“ adressiert. Dabei wird nicht nur auf technisch nicht notwendige Motorverkleidungen verzichtet, sondern dem Akku auch durch Lüftungsgitter am Steuerrohr und der unteren Batterieabdeckung kühlende Luft zu- bzw. Wärme abgeführt.

28. April 2022 von Markus Fritsch
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