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Radtourismus - Wirtschaftsfaktor Fahrrad

Radtouristen kurbeln die Wirtschaft an

Der Radtourismus hat in Deutschland viele Facetten: Radreisen und Tagestouren gehören ebenso zum Geschäft wie Messen, Fahrradfestivals oder Bikeparks. Der Radtourismus ist auch in Städten ein Wirtschaftsfaktor mit Ausbaupotenzial.

Für Touristiker ist das Fahrrad ein Glücksgriff. »Es ist ein Allrounder, kein anderes Segment lässt sich so gut mit anderen touristischen Angeboten koppeln wie das Fahrrad«, sagt Iris Hegemann, vom Deutschen Tourismusverband (DTV). Ob es ums Wandern oder Wassersport geht, um kulinarische oder kulturelle Angebote, Städtetouren oder Festivals, das Fahrrad lässt sich mit allem kombinieren. Daher findet Radtourismus auch überall in Deutschland statt. »Er wird in Städten und vor allem in den ländlichen Regionen gefördert und weiterentwickelt«, sagt Iris Hegemann. Das kommt gut an. Über die Hälfte der Erwachsenen (37 Mio.) haben laut ADFC-Radreiseanalyse 2024 im verganenen Jahr ihren Urlaub im Fahrradsattel verbracht oder sind mit dem Rad zu Tagesausflügen aufgebrochen. Zwischen 22 und 25 Milliarden Euro haben sie bei diesen Unternehmungen ausgegeben.
Für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sind das wichtige Zahlen. Der Tourismus sorgt seit Jahrzehnten für Wirtschaftswachstum und schafft Arbeitsplätze, insbesondere in ländlichen Regionen. Im Vor-Corona-Jahr 2019 hat der Tourismus laut BMWK rund 124 Milliarden Euro erwirtschaftet und damit 4 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland. Werden die Zulieferer der Branche einbezogen, waren es sogar knapp sieben Prozent.
Radfahrer und Radfahrerinnen sind lukrative Gäste. Das zeigt die aktuelle Radreiseanalyse des ADFC.

37 Millionen Menschen haben vergangenes Jahr einen Fahrradurlaub genossen und dabei zwischen 22 bis 25 Milliarden Euro ausgegeben.

16.000 Personen wurden im vergangenen Jahr befragt, ob und wie lange sie mit dem Rad Urlaub machten und was ihre Reise gekostet hat. Fahrradfahrende, die ein- bis zweimal übernachteten, gaben demnach rund 130 Euro pro Tag aus. Das entspricht laut der aktuellen Tourismus-Analyse der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen exakt der Summe, die Deutsche im Inland während ihres Jahresurlaubs ausgeben. Geringfügig niedriger lag das Budget der Urlaubsradler und -radlerinnen. Sie investierten 117 Euro pro Tag, wenn sie drei Nächte oder länger unterwegs waren. Tagesausflügler gaben rund 32 Euro pro Person und Tag aus.
Die ADFC-Umfrage ist repräsentativ. Die ermittelten Ausgaben sind Schätzwerte, da sie erst im Nachhinein erhoben werden, aber die Tourismusexpertin Iris Hegemann hält sie für plausibel. Sie seien deutlich höher als die Zahlen, die der DTV in seiner »Grundlagenuntersuchung Fahrradtourismus in Deutschland 2009« mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erhoben habe, aber durch Wachstum, Inflation, Preissteigerungen und das größere Angebot von Serviceleistungen in dem Markt nachvollziehbar. »Wir
wiederholen die Studie nun mit dem Verkehrsministerium«, sagt Hegemann. Mit ersten Ergebnissen rechnet sie in anderthalb Jahren. »Dann können wir den Radtourismus gesamt touristisch besser einordnen«, sagt sie.

E-Bikes: neue Zielgruppe, mehr Angebote

Seit der Untersuchung vor 15 Jahren hat sich das radtouristische Angebot stark verändert. Ein Grund dafür ist die Elektrifizierung der Räder. 2009 hatten gerade mal vier Prozent aller verkauften Fahrräder einen Motor; im vergangenen Jahr waren es 53 Prozent. Diesen Trend spiegeln die Radreisenden wider. 43 Prozent von ihnen waren per E-Bike unterwegs. Für die Radreiseanbieter heißt das: neue Kundschaft.

Fahrradtouren und -reisen mit Kindern sind ein Segment, das gerade intensiv entwickelt wird.

Die Motorunterstützung gleicht Leistungsunterschiede bei Paaren oder in Gruppen aus und bringt auf diese Weise viele Nichtradler in den Sattel. Spezielle E-Bike-Touren gehören mittlerweile zum Standardprogramm von Stadtführungen und professionellen Radreiseanbietern. Auch Bikeparks reagieren und bauen neben Downhill-Trails nun auch Uphill-Flow-Trails, wie etwa am Geißkopf.

Noch fehlen Angebote

Obwohl die Angebote immer facettenreicher werden, fehlen weiterhin passgenaue Radreisen, etwa für junge Familien mit kleinen Kindern. »NRW Tourismus hat die Angebotslücke erkannt und mit dem ADFC im vergangenen Jahr ein Empfehlungspapier für kinderfreundliche Radangebote erarbeitet«, sagt Iris Hegemann. Inzwischen hat NRW unter dem Titel »Radeln mit Kindern« ein halbes Dutzend Radtouren in den verschiedenen Regionen des Landes im Programm. Die Routen führen an Seen und Flüssen vorbei, auf alten Bahntrassenradwegen durchs Bergische Land oder durchs Länderdreieck Deutschland, Belgien und Luxemburg. Für die Kinder gibt es entlang der Strecken etliche Möglichkeiten zum Spielen und Toben auf Spielplätzen, Erkundungspfaden, beim Baden oder kindgerechten Geschichtslehrpfaden.
Der Mehrwert liegt in der detaillierten Beschreibung der Routen. Die Eltern erfahren, welche Strecken sich für einen Tagesausflug eignen, ein verlängertes Wochenende oder auch für den Jahresurlaub. »Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Das Angebot kann Familien aus dem gesamten Bundesgebiet in die Eifel, ins Ruhrgebiet oder ins Bergische Land locken, um dort Urlaub zu machen«, sagt Hegemann.

Radrouten locken Gäste an

Die Erfahrung zeigt: Ein attraktives, radtouristisches Angebot hat eine große Strahlkraft. Durch die Bündelung von touristischen Angeboten bekommt ein Produkt wie ein Radfernweg eine größere Reichweite. »Die Thüringer Städtekette, die sieben größere und kleinere Städte verbindet und durch eine landschaftlich reizvolle Gegend führt, ist ein anschauliches Beispiel dafür«, sagt sie. Eine Stadt für sich allein hätte nicht die Anziehungskraft wie der gelungene Mix aus Kultur und Natur.

»Der Radtourismus boomt, auch in den urbanen Zentren, sofern die Infrastruktur vorhanden ist.«

Jens Joost-Krüger, Wirtschaftsförderung Bremen

Das zeigen auch die Zahlen. Der 240 Kilometer lange Ruhrtalradweg hat im vergangenen Jahr 1,1 Millionen Radfahrende ins Ruhrgebiet gelockt. Gastronomen und Hoteliers haben mit ihnen als Gästen 18 Millionen Euro erwirtschaftet. Das sind fünf Millionen mehr als bei einer Erhebung zehn Jahre zuvor.

Label Fahrradstadt als Wirtschaftsfaktor

Die Basis für den Radtourismus in einer Region ist stets eine gute und sichere Radinfrastruktur. Das gilt für ländliche Regionen ebenso wie für Städte. »In Fahrradstädten wie Kopenhagen oder Amsterdam nutzen die Gäste ganz selbstverständlich das Rad«, sagt Jens Joost-Krüger. Der Verkehrs- und Kulturexperte leitete bis zu seiner Pensionierung Ende 2023 bei der Wirtschaftsförderung Bremen die Veranstaltungsförderung und organisierte verschiedene Radprojekte in der Hansestadt. Er stellt seit Jahren fest: »Der Radtourismus boomt, auch in den urbanen Zentren, sofern die Infrastruktur vorhanden ist.«

Geschäftsreisende sind auch Touristen

Bremen gehört mit einem Radanteil von 25 Prozent am Gesamtverkehr bereits zu den attraktiveren Fahrradstädten Deutschlands. In den urbanen Zentren ist es laut Joost-Krüger jedoch oft schwierig, den wirtschaftlichen Nutzen des Radtourismus konkret zu ermitteln. Denn die Übergänge zwischen Alltagsradlern und Radtouristen verlaufen fließend. »Viele Gäste und Geschäftsreisende nutzen Sharing-Bikes, um damit tagsüber zu Terminen oder Kongressen zu fahren und abends zum Essen oder zu einer Kulturveranstaltung«, sagt er.
Mit der kostenfreien Bikecitizens-App macht die Wirtschaftsförderung der Hansestadt es Besuchern und Anwohnern leicht, mit dem Rad in der Stadt unterwegs zu sein. Neben Navigation und Radroutenplanung finden die Nutzer in der App 15 Thementouren, die ihnen die Highlights der Stadt und im Umland zeigen. Allerdings richten sich die Touren nicht ausschließlich an Touristen. Die App ist auch für Bürger interessant, die ihre Stadt entdecken wollen oder neue Wege vor der eigenen Haustür suchen. »Das Angebot kommt gut an«, sagt Joost-Krüger. 400.000 Karten von »Bike it!« wurden in den vergangenen Jahren gedruckt und verteilt.

Alles gesperrt, außer für Radfahrende, da freut sich auch Jens Joost-Krüger über diese Radverkehrsinfrastruktur.

Das Angebot, mit dem Fahrrad Städte zu erkunden, ist zwar ein kleiner, aber durchaus wachsender Wirtschaftszweig. Bundesweit sind in den Städten von Hamburg über Frankfurt bis nach München in den vergangenen Jahren vielfältige Angebote für Stadttouristen, Einheimische, Schulklassen oder Unternehmen entstanden. Sie können die Sehenswürdigkeiten der Stadt per Bike erkunden oder Thementouren wählen, mit dem Schwerpunkt Straßenkunst, Kulinarik und vielem mehr.
Deutlich lukrativer sind große Veranstaltungen rund ums Fahrrad für die Kommunen. »Fahrradmessen und Bike-Festivals haben eine wachsende wirtschaftliche Bedeutung«, sagt Joost-Krüger. In den vergangenen
15 Jahren sind viele neue Messen entstanden, wie beispielsweise die VeloBerlin in Berlin, das E-Bike-Festival in Dortmund oder auch das Cargo-Bike-it!-Festival in Bremen. Dazu kommen die vielen, schon lange etablierten Veranstaltungen wie die Eurobike. Sie alle bringen Tausende Besucher aus dem In- und Ausland für mehrere Tage in die Städte. Die Gäste übernachten in den Zentren oder im Umland, besuchen Restaurants und kulturelle Veranstaltungen. Das kurbelt die Wirtschaft an. Aber die Events haben aus Sicht des Wirtschaftsexperten noch einen weiteren Nebeneffekt: »Sie werden zum Aushängeschild ihrer Stadt oder ihrer Region, sie sind imagebildend«, sagt Joost-Krüger.
Das Angebot für Radtouristen wird stetig ausgebaut, sowohl in den Städten wie auch in den ländlicheren Regionen. Trotzdem sieht Iris Hegemann noch Verbesserungsbedarf. »Immer wieder fehlen auf Routen streckenweise Restaurants oder Cafés zum Einkehren«, sagt sie. Etwa entlang des Oder-Neiße-Radwegs. Ent-weder müssten die Regionen diese Lücken schließen oder sie deutlich kommunizieren. »Radreisende müssen wissen, wo und wann sie auf den verschiedenen Etappen einkehren können und wo sie sich gegebenenfalls selbst versorgen müssen«, sagt sie. Das sei ein Qualitätsmerkmal der Radreiserouten.
Diese Informationen sollten analog, aber auch digital über Apps verfügbar sein. Bekannte Navigations-Apps wie etwa Google-Maps, Outdooractive oder Komoot bilden diese Informationen bislang nicht zuverlässig ab. Die Beschreibung der Routen in den Apps ist laut Iris Hegemann ebenfalls verbesserungswürdig. Oftmals halten sie nicht, was dem Gast versprochen wird, und es fehlen einheitliche Qualitätsstandards. Sie vermisst in den Angeboten häufig eine eindeutige Wegeführung sowie Informationen zur Strecke, also ob sie für Mountainbiker, Familien oder auch Senioren geeignet ist. Um die Qualität in den digitalen Touren und Angeboten zu verbessern, hat der Deutsche Tourismusverband nun mit der Initiative »Route 3.0« einen neuen Qualitätsstandard geschaffen. »Es ist ein Angebot an die Outdoorportale für mehr Qualität und bessere Produkte«, sagt sie.

Jobmotor Radtourismus

Die Programmierer dieser Apps gehören laut Definition zu den Zulieferbereichen des Radtourismus und damit zu den 263.000 Menschen, die 2022 einen Job rund um den Radtourismus hatten. Diese Zahl hat Transportation Thinktank T3 im Auftrag von Zukunft Fahrrad ermittelt. In der gesamten Tourismusbranche waren laut den letzten Erhebungen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 2019 etwa 4,1 Millionen Personen direkt oder indirekt im Tourismus erwerbstätig. Das sind laut dem BMWK etwa neun Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland.
Der Einfluss des Radtourismus als Wirtschaftsfaktor kann aber noch weiter steigen. Neben den 37,4 Mio. Menschen, die im vergangenen Jahr mit dem Fahrrad Tagesausflüge unternahmen oder damit Urlaub machten, gibt es noch diejenigen, die keine derartige Aktivität unternommen haben. Doch das Interesse bei den Nichtradlern ist ebenfalls riesig. Mehr als die Hälfte der Befragten (54,9 Prozent) kann sich laut ADFC-Radreise-Analyse vorstellen, auf Radreise zu gehen. Was diese Menschen konkret brauchen, um sich im nächsten Urlaub aufs Rad zu schwingen, wurde jedoch nicht gefragt. //

11. Juni 2024 von Andrea Reidl
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