6 Minuten Lesedauer

Interview: Roland Huhn, ADFC

Radverkehr im Winter: Neue Prioritäten gefragt

Deutschland will Fahrradland werden. Im Winter scheint dieser Vorsatz aber vergessen zu werden: Schnee türmt sich auf den Radwegen, der Pendelverkehr mit dem Bike geht um die Hälfte zurück, auch aus Angst vor Stürzen. Roland Huhn, Verkehrsexperte des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC), erklärt, woran das liegt und was sich ändern muss.

Herr Huhn, laut verschiedenen Erhebungen reduziert sich der Fahrradverkehr hierzulande im Winter um mindestens 50 Prozent. Woran liegt das?

Untersuchungen zeigen, dass in Städten mit gut ausgebauter Radinfrastruktur der Alltagsradverkehr bei schlechtem Wetter nur wenig zurückgeht. In Oldenburg oder Münster sind es zum Beispiel weniger als fünf Prozent. In Städten mit schlechten Radwegen sind es dagegen bis zu 30 Prozent. Auch der Rückgang im Winter ist beim Alltagsverkehr generell gar nicht so hoch, nur kommt in den Sommermonaten der enorme Freizeitverkehr dazu. Das lässt darauf schließen, dass noch viel mehr Menschen das ganze Jahr über mit dem Rad fahren würden, wenn es gute Radwege gibt, die im Winter zuverlässig geräumt werden.

Tatsächlich hat laut Umfragen jeder Zweite, der im Winter fährt, Angst vor Stürzen durch Glätte und Rollsplitt. Wie lassen sich Fahrradwege effektiv und für die Fahrenden sicher winterfest machen?

Am sichersten ist ein schwarz geräumter oder trockener Radweg. Das erreicht man am besten, wenn man frischen Schnee mit der Kehrmaschine beseitigt. Das muss allerdings schnell gehen: Wenn die Schneedecke dicker und festgefahren wird und gefriert, wird es aufwendiger. Das beste Streumittel ist Sole. Im Vergleich zu Streusalz hat sie viel weniger Salzanteil, sie haftet gut, verweht nicht und kann vorbeugend eingesetzt werden. Und man kann nicht ausrutschen wie auf Rollsplit. Der sollte nach frostigen Phasen sofort entfernt werden.

Wäre hier die Stadt zuständig, wie weit geht deren Räumpflicht für Radwege?

Radwege werden hier oft zuletzt geräumt, obwohl Kommunen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs dazu verpflichtet sind, verkehrswichtige innerörtliche Radwege an gefährlichen Stellen zu räumen und zu streuen. Eis und Schnee sind für Radfahrerinnen und Radfahrer aber gefährliche Rutschfallen. Kommunen sollten daher Radwegen ebenso wie Fußwegen beim Winterdienst Priorität einräumen. Für ungeschützte Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer sind rutschige Wege eine viel größere Gefahr als für Autoinsassen. Wenn Deutschland ein Fahrradland werden will – und das ist politisch gewollt – dann müssen wir den Spieß umdrehen. Die Wege der verletzlicheren Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer müssen als Erstes geräumt werden.

Wie sieht es auf dem Land aus? Sind auch private Anwohner, vor deren Haustür ein Radweg verläuft, dafür verantwortlich, dass dieser geräumt und nutzbar ist?

Für Radwege über Land gibt es keine Streupflicht, allenfalls am Stadtrand. Auf Gehwegen vor Häusern müssen die Anwohnerinnen und Anwohner auch auf dem Dorf für den Winterdienst sorgen. Das gilt aber nicht für Radwege. Bei gemeinsamen Geh- und Radwegen muss nur ein Streifen für den Fußverkehr geräumt werden.

Oft sieht man, dass das so gehandhabt wird – und der Schnee von Gehweg oder Straße auf den Radweg geschoben wird. Woran liegt es, dass anscheinend nicht einmal der offizielle Winterdienst Radwege als Verkehrswege auf dem Schirm hat?

Die oft angewandte Praxis, Schnee von den Autospuren auf Rad- und Fußwege zu räumen, ist absolut inakzeptabel. Es liegt oft an mangelnder Koordinierung durch die Kommune, wenn nach dem kleinen Räumfahrzeug für Radwege der Schneepflug für die Autospuren kommt. Das muss dringend besser werden.

Warum ist das so? Hat das Fahrrad zu wenig Relevanz?

Bei manchen hält sich das Vorurteil, Radverkehr sei verzichtbarer Freizeitverkehr. Es ist aber andersherum: Wenn die Radwege bequem und auch im Winter sicher zu befahren sind, entscheiden sich mehr Menschen fürs Rad, zum Beispiel zum Pendeln zur Arbeit, Schule oder Ausbildung.

Können Radfahrer, die auf einen dieser Art blockierten Radweg treffen, dies irgendwo melden?

Melden kann man nicht geräumte Radwege bei den Kommunen, und das sollten Radfahrende auch nutzen, um auf Gefahren aufmerksam zu machen.

Welche Rolle spielt Infrastruktur wie Beleuchtung der Fahrradwege, witterungsgeschützte Unterstellmöglichkeiten an U- und S-Bahnhöfen dabei, dass die Menschen auch bei Kälte, Nässe und Schnee Rad fahren?

Überdachte und gut beleuchtete Abstellanlagen sind für Pendlerinnen und -pendler, die zum Bahnhof fahren, zu allen Jahreszeiten ein Muss. Im Winter fallen die Spitzenzeiten des Schüler- und Berufsverkehrs in dunkle Tagesstunden, daher sollten Radwege angemessen beleuchtet sein. Die Fahrradbeleuchtung hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Sie ist heller geworden und fällt nur noch selten aus.

In anderen Ländern, z. B. Finnland, Holland oder Dänemark, fahren deutlich mehr Menschen im Winter mit dem Fahrrad. Was machen diese Länder bzw. Städte wie Oulu, Amsterdam oder Kopenhagen anders?

Die Niederlande zum Beispiel zeigen, dass man mit einem fantastischen Radwegenetz und einem sehr guten Winterdienst das Fahrrad zu einem Ganzjahresverkehrsmittel für alle machen kann. Da muss Deutschland noch aufholen und von der »Auto-first«-Denke wegkommen.

Was ist der Status quo in Sachen Winterradfahren in Deutschland?

Es gibt schon einige gute Beispiele: In Hannover existiert bereits seit einigen Jahren ein Beschluss, dass 200 Kilometer Radwege in erster Priorität geräumt werden müssen, und dafür wird auch Geld bereitgestellt. Rostock und Karlsruhe haben ebenfalls erkannt, dass das Fahrrad auch im Winter ein großes Potenzial hat, Autoverkehr zu verlagern. Kommunen können hier viel beitragen.

Wichtig ist aber auch die Bundesebene: Das Straßenverkehrsgesetz muss dringend modernisiert werden, damit Städte und Dörfer fahrradfreundlich werden können. Denn eine gute Infrastruktur ist der Schlüssel zu mehr Radverkehr – im Sommer wie im Winter. //

2. Dezember 2021 von Carola Felchner
Velobiz Plus
Die Kommentare sind nur
für unsere Abonnenten sichtbar.
Jahres-Abo
115 € pro Jahr
  • 12 Monate Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
  • 10 Ausgaben des exklusiven velobiz.de Magazins
Jetzt freischalten
30-Tage-Zugang
Einmalig 19 €
  • 30 Tage Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
Jetzt freischalten
Sie sind bereits Abonnent?
Zum Login