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Technik - Akkuentwicklung

Reichweite statt Größe

Die Wundermeldungen über neue Durchbrüche bei der Akkutechnologie gibt es auch heute noch. Doch in der Fahrradwelt begegnet man den Fragen rund um den Energiespeicher inzwischen differenzierter. Statt höher, schneller, weiter geht es heute viel häufiger um die passenden Anwendungsszenarien. Wenn nur die Kundschaft auch schon so weit wäre.

Es gab eine Zeit, da war die Jagd nach mehr Wattstunden, Amperestunden und Volt tatsächlich sinnvoll und notwendig. Gerade in den frühen Jahren der E-Bike-Entwicklung passten die Möglichkeiten der Akkutechnik noch nicht perfekt zu den Bedürfnissen der Radfahrenden. Inzwischen sieht das deutlich anders aus. Aktuelle Akkus bieten für die meisten Anwendungen eigentlich genug Energiereserven.

Kopf ist wichtig

Trotzdem existiert in vielen Köpfen die schöne Wortschöpfung »Reichweitenangst«. Was, wenn ich mal eine längere Tour in den Bergen mache bei voller Unterstützung? Reicht das dann? Immer noch wird gerne die größte verfügbare Akkugröße gekauft. Eine Reserve zu haben schadet sicher nicht.


Unterschätzter Leistungsträger: Das Ladegerät könnte künftig eine wichtigere Rolle spielen, als das aktuell der Fall ist.

Solchen Denkweisen begegnen die Antriebshersteller inzwischen mit verschiedenen Ansätzen. »Mit intelligenter Technologie wird die vermeintliche Reichweitenangst zu einer kalkulierbaren Größe«, heißt es etwa von Bosch. Gemeint ist unter anderem, dass Tools zur Verfügung gestellt werden, mit denen eine Tourenplanung möglich wird, die auch Reichweiten berücksichtigt. »Wir haben mit unserem Feature ›Range Control« eine KI-basierte Lösung gegen die Reichweitenangst: Stellt man eine Route in der eBike Flow App zusammen, zeigt diese direkt an, mit wie viel Prozent Akkustand man voraussichtlich am Ziel ankommen wird. Um auch die letzte Reichweitensorge während der Fahrt zu nehmen, kann sogar der gewünschte minimale Akkustand am Zielort festgelegt werden. Das smarte System kümmert sich um den Rest – praktisch, wenn beispielsweise vor der Rückfahrt oder der nächsten Tour nicht geladen werden kann.« Das sollte allmählich und mit mehr Erfahrung auf Kundenseite die Angstbremse lösen können. Zu wünschen wäre es allen Beteiligten.

Besser ist mehr

Daneben bleibt die Entwicklung von echten Akkuverbesserungen trotzdem nicht stehen. »In der Entwicklung legen wir einen starken Fokus auf immer höhere Energiedichten,« sagt etwa Bosch. Das ist aus der Sicht des Unternehmens vor allem mit Lithiun-Ionen-Technologie sicherzustellen. »Der Lithium-Ionen-Akku wird als Energiespeicher für E-Bike-Systeme vorerst unverzichtbar bleiben. Die hohe Energiedichte ihrer Zellen wird auch in den kommenden Jahren noch weiter steigen. Dies ermöglicht noch leistungsstärkere oder besonders kompakte Akkus.« Dabei spielen auch Umwelt- und Rohstoffthemen eine Rolle. »Gleichzeitig sinkt der Bedarf an wertvollen Rohstoffen für die Zellen: So konnte beispielsweise der Kobaltanteil in unseren Akkus seit 2013 bereits um 65 Prozent reduziert werden – diese Entwicklung wird sich weiter fortsetzen.« Und wenn tatsächlich einmal mehr Energie notwendig ist, finden sich verschiedene Range-Extender, meist in Trinkflaschenformat, die temporär oder dauerhaft ein gewünschtes Energieplus bieten. Dual-Battery-Optionen sind abseits von Bosch dagegen selten zu finden.


Leistungsfähige Systeme wie von DJI verlangen viel Energie, die ein entsprechend dimensionierter Akku liefern muss.

Eher weniger Hoffnung setzt man bei Bosch auf die bereits verfügbaren Alternativen. »Wir beschäftigen uns kontinuierlich mit neuen Technologien, alternativer Zellchemie sowie anderen Zellformaten und prüfen, welche Entwicklungen für E-Bike-Akkus sinnvoll sind. LFP-Zellen sind derzeit nicht sinnvoll für E-Bikes, da sich die heute bereits erzielbaren Reichweiten bei gleicher Größe und Gewicht nicht darstellen lassen. Die Energiedichte von LFP-Zellen liegt rund 40 bis 50 Prozent unter der von NMC-Zellen. Das bedeutet, dass ein E-Bike-Akku mit LFP-Zellen bei gleicher Größe nur circa halb so viel Kapazität und damit Reichweite hätte. Da für E-Bikes eine hohe Energiedichte bei gleichzeitig geringem Gewicht entscheidend ist, setzen wir weiterhin auf NMC-Zellen. Sie bieten das beste Verhältnis aus Leistung, Reichweite und Gewicht.«

Fest ist fern

Seit Jahren wird über Feststoffbatterien geschrieben, die besonders sicher und leistungsstark werden sollen. Jedoch ist man hier wieder im Bereich der oft reißerischen Berichterstattung vergangener Jahre angekommen. Die vermeintlichen Durchbrüche haben bis heute zu keinem Serienprodukt geführt, auch wenn oft ein anderer Eindruck vermittelt wird. Wie lange es noch bis zur Marktreife solcher Akkus dauert, bleibt weiterhin offen. Es kann sich nur um Jahre handeln. Ob das dann für das Fahrrad so spannend sein wird, bleibt zusätzlich unklar. Denn wie zu sehen ist, entwickeln sich auch alle anderen Zellchemien schnell weiter. Der versprochene Leistungsschub und -vorsprung muss sich erst einmal in der Realität erweisen. Auch bei Brose ist man noch sehr zurückhaltend, was die Erwartungen an diese Technologien betrifft, wie Benjamin Hösel erklärt, Produktmanager bei Brose. Zwar gebe es Fortschritte, aber auch Herausforderungen: »Bei der Feststoffbatterie sehen wir bereits die ersten Zwischenschritte zur reinen Feststoffbatterie, sogenannte Semi-Solid-State-Batteriezellen, auf dem Markt. Diese sind jedoch anders als die bekannten Rundzellen. Man nennt sie Pouch-Zellen. Sie sind schwer zu verarbeiten, da die Außenhaut so ähnlich aufgebaut ist wie bei einer Capri-Sonne. Reine Festkörperbatterien sind in unserer Branche noch Jahre entfernt. Zuerst wird der Massenmarkt der Elektrofahrzeuge bedient und dann erst kommen kleinere Zellformate an die Reihe. Ob man je die Festkörper in eine Rundzelle bekommt, bleibt fraglich, da beim Aufrollen Bruchgefahr besteht.«

Schneller ist besser

Neben den reinen Akkuzellen geht es auch um das Gesamtsystem, in das sie eingebettet sind. Alex Thusbass von Hepha geht davon aus, dass derzeit dem Ladegerät noch zu wenig Aufmerksamkeit zuteilwird. »Aktuell basieren alle System und Benutzerszenarien auf einem ›Single-Charge-Ride‹, also die Fahrt mit nur einer Akkuladung. Ein Indiz dafür sind 2-A-Ladegeräte, die für eine Vollladung eines 800Wh-Akkus wenig sinnvolle 12 Stunden brauchen. Die gesamten anderen Mobilitätsindustrien haben dafür andere Lösungen gefunden: Verbrenner tanken auf der Fahrt und E-Autos laden nach. Damit muss die Tour nicht mit einer Ladung / einem Tank gefahren werden, die Reichweite verlängert sich praktisch ins Unendliche, solange man nicht durch Sahara fährt.« Ohnehin geplante Pausen könnten zum schnellen Nachladen genutzt werden.


Auch Brose richtet sein Augenmerk auf schnelles und sicheres Laden.

Ein solcher Paradigmenwechsel könnte dazu führen, dass andere Dinge in den Vordergrund rücken als die reinen Akku-Wattstunden. »Die neuen Stars werden extrem schnelle, gut zu benutzende Ladegräte sein. Die neue Kennzahl für das Quartett sind die Ampere oder Watt des Ladegerätes«, erwartet Thusbass.

Sicher ist gut

Die Sicherheit schon der aktuellen Akku-Technologien bereitet dagegen keine Kopfschmerzen mehr. Seit jeher ging es dabei eher um die wahrgenommene Sicherheit, denn faktisch waren Akkus schon immer weniger brandgefährdet als Verbrennungsmotoren. Die Diskussion um gefährliche Akkus ist, zumindest wenn es um das Thema Fahrrad geht, weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Da kann sich die Branche durchaus mal auf die Schulter klopfen für das, was sie schon geleistet hat. Der E-Scooter-Markt dagegen leidet massiv unter der Einschränkung, dass diese Fahrzeuge nicht im öffentlichen Nahverkehr mitgeführt werden dürfen, bewirkt durch Billigakkus in vermeintlichen Schnäppchen-E-Scootern. Dieses Beispiel sollte Grund genug sein, die Anstrengungen auf diesem Feld weiter fortzuführen.
Das Bewusstsein ist auf jeden Fall da. »Was die Batterie betrifft, sind wir konservativ und wählen ausgereifte Batteriezellentechnologie, um die Sicherheit zu gewährleisten«, erklärt etwa Water Qiu, Marketing Managerin bei Antriebshersteller Bafang.
Die Akkutechnik, und damit sind nicht nur die Zellen, sondern das Gesamtsystem gemeint, wird also auf längere Zeit noch viele Verbesserungen, Neuheiten und vielleicht auch manchen Leistungssprung bieten können. Das sind gute Aussichten für ein schon jetzt starkes Produkt. //

26. Juni 2025 von Daniel Hrkac

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