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Fotos: Hieronymus Gottschaldt / KTM
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Report - E-Bikes für Kinder

Unter Strom: Mit Kindern im Gelände

Drei sind ein Trend sagt man. Nach KTM hat nun auch Haibike auf der letzten Eurobike erstmals ein E-MTB für Kinder und Jugendliche vorgestellt. Zum Trend fehlt in diesem Segment somit noch ein weiterer Anbieter. Dennoch werden Sinn oder Unsinn von Kinderrädern mit Elektroantrieb im Fahrradmarkt bereits lebhaft diskutiert. velobiz.de-Autorin Andrea Reidl hat sich mit ihrer Familie selbst ein Urteil gefällt.

Fotos: Hieronymus Gottschaldt / KTMDer Elektroantrieb versüßt Kindern nicht nur das Fahren, in dem er die Belastungsspitzen kappt, er sorgt auch für mehr Spannung auf der Tour.

Der Himmel ist grau und es ist kalt. Skeptisch steht meine neunjährige Tochter am Fuß des Sandbergs und blickt hinauf. Ihr vier Jahre älterer Bruder ist bereits oben. Smilla ist zwar erst neun Jahre alt, trotzdem weiß sie recht gut, was sie im Gelände kann oder nicht.
Sie mag Wurzelpisten, Anstiege allerdings weniger. Dafür fehlt ihr häufig die Kraft. Oft muss sie deshalb absteigen und schieben. Einmal, zweimal, dreimal sind in Ordnung, aber dann verliert sie die Lust. Diese Steigung hier ist steil und dazu noch sandig – blöde Kombination.
Normalerweise würde sie etwa auf halber Höhe absteigen, aber heute ist sie auf einem E-Mountainbike für Kinder unterwegs, einem 24-Zoll-HardFour-Life von Haibike. »Schalte in den zweiten Modus und dann los«, rufe ich ihr zu. Sie steigt auf und tritt in die Pedale. Konzentriert blickt sie auf den Weg. Scheinbar mühelos fährt sie mit dem Rad am Rand der Sandkuhle die Steigung hinauf. Oben angekommen, leuchten ihre Wangen rosa. Sie strahlt und jagt ihrem Bruder hinterher.
Radfahren mit Motor macht Spaß. 1,5 Millionen Räder sind mittlerweile mit Rückenwind aus der Tube unterwegs. Wie viele davon Mountainbikes sind, ist unklar. Die einzelnen E-Bike-Arten werden vom Zweirad-Industrie-Verband noch nicht getrennt statistisch erfasst. Aber auch beim E-MTB gilt wie für den Rest der Sparte: Radfahren mit Motor boomt.
Der Markt wächst, auch im sportlichen Bereich. Immer mehr Erwachsenen nutzen die Unterstützung, um ihren Radius zu erweitern, Leistungsunterschiede auszugleichen, oder um es sich einfach etwas leichter zu machen. Bei der Ausstattung von Kindern mit E-Mountainbikes gehen die Meinungen jedoch sehr auseinander.

E-Bike verschiebt Grenzen

Frauke Wilhelm, Sportpsychologin am Olympiastützpunkt Hannover, plädiert für einen gezielten Einsatz von Elektrofahrzeugen bei Kindern. »Kinder lernen über den Spaß an der Bewegung«, sagt sie. Beim Sport entwickeln sie ihre Stärken, weil sie Ziele erreichen wollen: So schnell sein wie der Bruder, den Berg aus eigener Kraft hochfahren oder jedes Mal ein bisschen weiterkommen, das motiviert sie. So entdecken und spüren sie ihre eigenen Grenzen und können sie mit der Zeit immer weiter setzen.
Von diesem Standpunkt aus betrachtet, findet sie ein Rad mit Motor für eine Mountainbike-affine Familie, die sportlich unterwegs ist, eher kontraproduktiv. Warum das so ist, erklärt sie so: Die Kinder gewöhnen sich an die Unterstützung. Deshalb strengen sie sich weniger an, als sie es mit einem herkömmlichen Rad tun würden. Sollen sie plötzlich wieder ohne Motor unterwegs sein, wird eine bekannte Tour um ein vielfaches anstrengender. »Das ist demotivierend«, sagt sie. Eine mögliche Folge: Sollen die Kinder das nächste Mal ohne Motor fahren, verlieren sie die Lust.

Zielgruppe sportliche Familien

Die österreichische Marke KTM vertritt einen anderen Standpunkt. »Die sportlich bikende Familie im Gelände ist unsere Zielgruppe«, sagt Stefan Limbrunner, Head of Sales and Marketing. »KTM geht es um die Harmonisierung der Ausflugsgruppe«, sagt er. Zurzeit gehen von 1000 verkauften Rädern etwa 850 an Familien, schätzt er. Für ihn ist klar: Die Kinder sollten als erstes ein E-Bike bekommen, um mit den Erwachsenen und der Gruppe gleichziehen zu können.
Aber was sind die Folgen? Fest steht: Der Motor verwöhnt die Kleinen. Er versüßt nicht nur das Fahren, indem er die Belastungsspitzen kappt, er sorgt auch für mehr Spannung auf der Tour. Und zwar für die ganze Familie. Die Gruppe kann bedeutend spannendere und interessantere Routen wählen als ohne Motor. Aber wie ist es, wenn das Kind irgendwann wieder auf ein herkömmliches Rad umsteigen soll? Ist ihm dann langweilig? Verzichtet es dann komplett aufs Mountainbike?
Auf diese Frage gibt es noch keine Antwort, weil sie noch nicht wissenschaftlich untersucht wurde. Der Gedanke ist aber interessant. Denn den Effekt haben wir selbst in unserem Urlaub erfahren. Statt die Berge rauf zu schieben, fuhr unsere Tochter ­häufig vor.
Mehr noch: Sie ist Steigungen und verblockte ­Passagen hinauf gesaust, die sie ohne Motor nie geschafft hätte. Für uns war das ein Geschenk. Wir hatten als Familie bedeutend mehr Spaß im Gelände, wir fuhren längere Passagen am Stück, unser älterer Sohn musste nicht ständig warten und wir kamen alle ins Schwitzen. Allerdings hatte die Kleine es mit dem Hard Four nicht nur leichter, sie lernte auch viel Fahrtechnik auf den Touren.
»Ich steige ab«, ruft sie und schiebt das Rad über eine steilere Passage mit Wurzeln und Steinen. Eigentlich könnte sie mit etwas Schub aus dem Motor den Abschnitt meistern. Aber das hat sie noch nicht verinnerlicht. Sie folgt ihrem vertrauten Muster. Ihr Fahrstil muss sich erst langsam an das neue Fahrerlebnis herantasten.
Deshalb steigen wir Eltern an den steinigen Steigungen ab und zeigen ihr, wo sie wie lang fahren kann. Dabei laufen wir neben ihr her, wie sie es gewohnt ist, um ihr Sicherheit zu geben. Manchmal fährt sie eine Passage drei bis vier Mal hinauf, um sie zu üben. Anfangs hoch konzentriert. Dann mit immer mehr Spaß und Zutrauen. Der große Vorteil: Sie kann die kleinen anspruchsvollen Abschnitte häufiger fahren, weil sie nicht so viel Kraft aufwenden muss. Sie kann sich komplett auf den Weg konzentrieren. Hier sieht die Sportpsychologin Frauke Wilhelm durchaus auch das Potenzial der Kinder-E-MTBs: Als Trainingsgerät für eine Technikeinheit.
Dafür sind die Modelle dann allerdings ziemlich teuer. Rund 2000 Euro kosten das Hard Four und das Mini Me von KTM. Denn die Kategorie Kinderrad ist in dem Fall eher eine Größenbezeichnung. Der Antrieb mit Motor und Akku ist ebenso hochwertig und leistungsstark wie bei den Erwachsenen-Modellen zwei Nummern größer. Der einzige Unterschied zwischen den großen und den kleinen Rädern ist die Geschwindigkeit. Die wurde von beiden Herstellern auf 20 km/h gedrosselt.
Allerdings sieht Frauke Wilhelm noch einen weiteren Einsatzzweck für die E-MTBs für Kinder: Als Ferienfahrzeug für einen begrenzten Zeitraum. Beim kurzen Einsatz über ein paar Wochen, hat sie keine Bedenken. Dann verbuchen die Kinder das E-Bike als Ausnahme im Urlaub, als besonderen Moment.
Der Effekt der Gewöhnung entfällt so komplett und damit das Hauptgegenargument von Frauke Wilhelm und dem Sportwissenschaftler Achim Schmidt von der Sporthochschule Köln. Beide befürchten, dass die Kinder sich langfristig weniger anstrengen, wenn sie ausschließlich motorisiert unterwegs sind. Dadurch könnten sie laut Schmidt den Punkt verpassen, an dem sie leistungsmäßig mit den Größeren auch ohne Motor mithalten könnten. Wenn das wirklich eintrifft, bremst ein E-MTB die Kinder aus. Dann fördert es sie nicht mehr.

Hersteller wollen neue Kids in den Sattel locken

Während die Wissenschaftler eher befürchten, dass die Kinder sich auf Rädern mit Motor weniger bewegen und anstrengen, haben die Hersteller genau das Gegenteil im Blick. Sie wollen die Kinder aufs Rad bringen.
»Unsere Entwickler haben das Mini Me als Gegengewicht zur Playstation entwickelt «, sagt Limbrunner. Die KTM-Entwickler sind laut Limbrunner selbst Eltern. Sie wollten ihre 10- bis 14-Jährigen aus der Bewegungsarmut in die Bewegung bringen, wie Limbrunner es nennt. Sie wollen ihnen eine attraktive Alternative zum Computerspiel bieten. Mit den Prototypen ging das Konzept auf. Mit den ersten Testfahrzeugen des Mini Me gingen auch die Computer-Kids laut Limbrunner gerne im Gelände Radfahren.
Auch bei Haibike wurde das Hard Four im eigenen Haus zunächst ausgiebig ausprobiert. Hier waren die Testfahrer der Mitarbeiter acht bis zwölf Jahre alt. »Einige von ihnen sind sehr sportlich, andere eher unsportlich«, erklärt Susanne Puello, Geschäftsführerin der Winora Group, zu der auch Haibike gehört. Im Ergebnis machte das keinen Unterschied: »Sie waren alle gleichermaßen begeistert«, sagt sie. Jedoch sei eines auffällig gewesen. »Die weniger sportlichen haben sich mit dem Hard Four deutlich mehr bewegt als sonst.«
Kann das E-MTB also ein Motivator sein für Kinder, die sonst nicht gerne Radfahren oder sich sonst nicht gerne bewegen? Für Susanne Puello sind diese Fragen interessant. »Es ist Zeit, dass dieses Thema wissenschaftlich untersucht wird«, sagt sie. Denn sie sieht durchaus einen sportlichen Effekt beim Radfahren mit Motor, ­insbesondere im eco-Modus und über lange Distanzen.

Nur eine Nische oder bald Standard?

Die Bedenken der Wissenschaftler sind Susanne Puello vertraut. Sie kennt die Urteile und Vorbehalte aus vielen Diskussionsrunden. Momentan kann die vierfache Mutter nur mit eigenen Erfahrungen dagegenhalten. Denn auch in ihrer Familie sind nicht alle Radfahrer. Aber selbst die Mitglieder, die sonst lieber Autofahren, steigen gerne aufs E-Bike, sagt sie.
Eine endgültige Wahrheit zum E-MTB für Kinder gibt es wahrscheinlich nie. »Das Entscheidende ist, dass das Produkt vernünftig genutzt wird«, sagt Frauke Wilhelm. Zudem gibt sie zu bedenken, dass nicht alle Kinder gleich seien. Manche seien demotiviert, wenn sie sich auf einem herkömmlichen Rad mehr anstrengen müssen, andere stört das nicht.
Unserer Familie hat das Hard Four jedenfalls einige phantastische Ausflüge auf dem Rad beschert. Und der Motor hatte durchaus Sogwirkung auf unsere Tochter. Sie hätte das Hard Four gern für jede Alltagsfahrt genutzt. Noch Wochen später, erwähnt sie es häufig. Insbesondere, wenn sie morgens früh oder spät am Abend mit ihrem Rad in der Stadt unterwegs ist. »Jetzt wäre es schön mit Motor zu fahren«, sagt sie vor allem dann, wenn es regnet oder mühsam den Berg hinaufgeht.
Gerade in den Augenblicken, empfand auch ich als Mutter den Motor als Erleichterung. Auf dem Rückweg einer Tour, wenn unsere Tochter erschöpft war und im zweiten Unterstützungsmodus die zehn Kilometer heimfahren konnte. So konnte sie sich auf den Verkehr konzentrieren und brauchte sich ums Treten nicht mehr zu kümmern.
Aber ein Kauf stand von Anfang an außer Frage. Als Alltagsfahrzeug wäre uns das Rad zu teuer. Im Urlaub würde ich es jederzeit mieten. Denn der Fahrspaß für die ganze Familie ist damit garantiert.

15. Februar 2016 von Andrea Reidl

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