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Schulung // Betriebliche Weiterbildung

Verbände bilden Händler weiter

Berufliche Weiterbildung ist auch im Fahrradfachhandel essenziell. Neben Institutionen wie der IHK und der Handwerkskammer, die branchenübergreifende Fortbildungen zu betriebswirtschaftlichen Fragen oder zur Personalgewinnung und -bindung anbieten, sind es die Verbände, die zu branchenspezifischen Schulungen einladen. Die BICO und der VSF stehen beispielhaft dafür. Sie orientieren sich seit Beginn ihrer Schulungstätigkeit an den Bedürfnissen der Händler und passen ihre Konzepte immer wieder daran an, denn auch der Fahrradfachhandel unterliegt einem permanenten Wandel.

Die Notwendigkeit, sich lebenslang weiterzubilden, steht außer Frage. Bereits 1996 erklärte die Europäische Union das Jahr zum »Europäischen Jahr des lebensbegleitenden Lernens«. Die berufliche Weiterbildung, die das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) als ein Konzept aus vielfältigen Kursen und Lehrgängen definiert, ist ein wichtiger Aspekt des »lebenslangen Lernens«. Sie findet meist berufsbegleitend statt, ist relativ kurz und führt nicht zu anerkannten Bildungsabschlüssen, ist aber dennoch unverzichtbar.
»Der Gedanke, sich austauschen und weiterkommen zu wollen, war ein zentraler Grund dafür, dass Fahrradhändler 1985 den VSF ins Leben riefen«, erzählt Dirk Sexauer, der bis vor eineinhalb Jahren die VSF-Akademie leitete. »Damals waren der Fahrradfachhandel und die Berufsausbildung in dieser Branche wenig institutionalisiert. Viele Händler waren Quereinsteiger, die den Beruf nicht gelernt hatten. Selbst als ich Mitte der 90er-Jahre in die Fahrradbranche einstieg, war die Ausbildung zum Zweiradmechaniker noch zu 80 Prozent auf das Motorrad zugeschnitten.«
Dem Wunsch der Händler nach Weiterbildung kam 1996 und in den darauffolgenden Jahren der VSF unter der damaligen Geschäftsführerin Ulrike Saade mit der jeweils zweitägigen Fachveranstaltung »Fahrrad.Markt.Zukunft« nach. »Diese Mischung aus Messe und Kongress war eine Plattform, auf der neben der Präsentation innovativer Produkte zwei Tage lang 20 bis 30 Fortbildungsangebote zu betriebswirtschaftlichen Themen und zum Marketing sowie Technikseminare auf dem Programm standen. Die Veranstaltungen waren sehr quirlig und sie waren für alle Händler zugänglich«, erinnert sich Sexauer. »2001 wurde dann mit viel Herzblut die ebenfalls für alle Händler offene VSF-Akademie gegründet und ein Programm mit meist zweitägigen Seminaren konzipiert. Auch Reisen zu Herstellern wurden organisiert. 2005 übernahm der Verband von einer Berliner Schule für Erwachsenenbildung den ebenfalls für alle offenstehenden Fernlehrgang zur Fahrradfachkraft, ein modular aufgebautes, zertifiziertes Bildungsangebot.« Abschließen konnte man ihn nach ein bis zwei Jahren mit einer Prüfung zur »Fachkraft Fahrrad«. Der VSF hat dieses Programm erst vor wenigen Jahren eingestellt, weil der Aufwand, die im Lehrgang enthaltenen Lehrbriefe stets aktuell zu halten, nicht mehr zu leisten war.
Auch die BICO Zweirad Marketing GmbH bietet seit 2010 Schulungen für Bike&Co-Mitglieder an. Seither schulten sich ca. 4.000 bis 5.000 Händler und in den Betrieben Beschäftigte in diesem Rahmen. Die Idee, ein eigenständiges, verkaufsorientiertes Schulungsprogramm zu entwickeln, geht auch hier auf den Wunsch der Mitglieder zurück. Die Seminarsaison beginnt im November und endet Anfang März, in den Monaten also, in denen es in den Geschäften und Werkstätten etwas ruhiger ist.

Manche Themen bleiben, andere kommen hinzu

»Einige Seminare sind inzwischen zu ›Klassikern‹ geworden, die wir aufgrund der hohen Nachfrage immer wieder anbieten. Dazu zählen beispielsweise das Verkaufstraining ›Hochwertig beraten, hochpreisig verkaufen‹, das betriebswirtschaftliche Training ›Die effiziente, wirtschaftliche und kundenfreundliche Fahrradwerkstatt‹ und das Visual-Merchandising-Seminar ›Wirkungsvolle Schaufenstergestaltung‹«, hört man aus dem Bike&Co-Eventteam (Foto), das die Trainings organisiert. Auch technische Themen stehen bei der Bike&Co jedes Jahr im Programm. Seit einigen Jahren drehen sich die meisten Schulungen in dieser Kategorie um das komplexe Produkt E-Bike. »Da sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Werkstätten ständig mit den neuesten technischen Entwicklungen konfrontiert sehen, buchen sie sehr gerne diese jährlich stattfindenden Seminare ›Bosch E-Bike-Technik‹ und ›Shimano STEPS E-Bike-Technik‹, bei denen dann vor allem die technischen Innovationen präsentiert und vermittelt werden. Nach Abschluss dieser Seminare stellen wir Zertifikate aus, mit denen nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Händler vor Ort zeigen können, dass der Betrieb auf dem neuesten Stand der Technik ist.«
Auch der VSF bot früher neben betriebswirtschaftlichen Fortbildungen wie Verkaufen, Personalführung und Marketing technische Schulungsthemen an. »Daran hat sich auch lange nichts geändert. Erst seit zwei, drei Jahren trat der technische Teil in den Hintergrund und der betriebswirtschaftliche und betriebspraktische, also zum Beispiel die Werkstattgrundlagenschulung, in den Vordergrund. Dies liegt auch daran, dass inzwischen verstärkt gelerntes Personal eingestellt wird und das Wissen über Produkte wie E-Bikes von anderen, zum Beispiel von den Lieferanten, angeboten wird«, resümiert Dirk Sexauer.
Berufliche Weiterbildung springt aber auch da ein, wo es darum geht, die persönliche Zufriedenheit und die eigene Gesundheit aufrechtzuerhalten. So bietet das Bike&Co-Team im neuen Schulungsprogramm für die Händler, die im Alltag immensen Anforderungen und Stress ausgesetzt sind, auch Trainings zur Motivation und Work-Life-Balance an. Eine steigende Nachfrage erlebt das Team außerdem bei Schulungen zu »Cargo-Bikes« und bei betriebswirtschaftlichen Themen wie Digitalisierung, Online-Handel und Einsatz von »Social Media«-Kanälen.

Konzeptionelle Überlegungen für die Zukunft

»Beim VSF rücken im Zusammenhang mit der Weiterbildung die sogenannten Erfahrungsaustauschgruppen (ERFA-Gruppen) immer mehr in den Fokus«, meint Stephan Fuchs, der die Leitung der VSF-Akademie vor eineinhalb Jahren von Dirk Sexauer übernahm. »Von unseren Mitgliedern hören wir, dass der kollegiale, extern begleitete Austausch in diesen Gruppen für die Händler einen großen Gewinn darstellt. Als Verband begleiten wir immer mehr ERFA-Gruppen, die überwiegend aber nicht nur mit unseren Mitgliedern besetzt sind. Wir wollen möglichst eng am konkreten Bedarf der Händler bzw. der jeweiligen ERFA-Gruppe andocken und unsere Weiterbildungsangebote dahin tragen, wo bereits eine bewährte Struktur existiert. Auf die ERFA-Gruppen trifft dies auf jeden Fall zu.« Ziel sei es dabei auch, den Schwerpunkt von der Wissensvermittlung, also von der referentenzentrierten Vortragssituation, in Richtung Training und Praxisunterstützung zu verschieben. »Eigentlich brauchen wir Fortbildungsangebote, die die Händler über das ganze Jahr begleiten und ihnen Wissen und Handwerkszeug an die Hand geben, das sie während ihrer alltäglichen Arbeit ausprobieren, reflektieren und im kollegialen Zusammenspiel weiterentwickeln können.« »Ideal wäre es, wenn wir es schaffen, dass wir mit diesem Schulungskonzept Händlerinnen und Händler in die Lage versetzen, dass sie selbst nach einer Schulung Trainerinnen und Trainer in ihrem Laden werden«, ergänzt Dirk Sexauer. »Vorstellbar wäre auch, dass sich eine ›Trainings‹-Gruppe fest zu einem einzigen Thema, zum Beispiel zum ›Verkaufen‹, zusammenfindet. Diese Gruppe wäre dann von vornherein so konzipiert, dass sie über einen bestimmten Zeitraum, zum Beispiel ein Jahr, zusammenbleibt«, beschreibt Fuchs die Idee, an der die VSF-Akademie zurzeit arbeitet.
Die Vorstellung, die Weiterbildungsangebote an den ERFA-Gruppen anzudocken, verfolgt auch das Bike&Co-Eventteam: »Seit zwei Jahren legen wir jährlich unter dem Motto ›Club Next Profis‹ für die jüngere Generation, die eines Tages die Nachfolge im Fahrradfachhandel antreten soll, ein Sonderprogramm auf. Club-Mitgliedern werden die Schulungen kostenfrei angeboten. Und um eine weitere, notwendige Unterstützung zu gewährleisten, können sie auch an den ERFA-Gruppen innerhalb des Clubs teilnehmen, die sich dem Erfahrungsaustausch widmen.«

Aktuelle Herausforderungen

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie und mit den Herbst- und kommenden Wintermonaten wird es zunehmend schwierig, berufliche Weiterbildung in Form von Präsenzsitzungen aufrechtzuerhalten. Viele Bildungsträger weichen deshalb auf Onlineschulungen aus. Das Bike&Co-Eventteam ging schon vor der Pandemie diesen Weg: »Wir führten schon vor Corona OnlineSeminare durch, manchmal erfolgten aber auch nur einzelne Passagen der Schulungen über das Internet. Händlerinnen und Händler, die über die dafür notwendige Technik verfügen, nehmen dieses Angebot gerne wahr. Sie schätzen den begrenzten Zeitrahmen und den geringen Planungs- und Kostenaufwand. Werden die Videos zu den Seminaren danach noch über das Internet zugänglich gemacht, kann sich auch später noch ortsungebunden und flexibel weitergebildet werden. Allerdings können die Referentinnen und Referenten dann nicht so in die Tiefe gehen wie bei Präsenzschulungen. Viele vermissen darüber hinaus den persönlichen Austausch zum Beispiel in der Pause oder beim gemeinsamen Mittag- oder Abendessen.«
Stephan Fuchs vom VSF sieht neben der Corona-Pandemie und ihren Folgen für die Weiterbildung im Fachkräftemangel bzw. in der Fachkräftebindung eine weitere sehr große, wenn nicht die größte Herausforderung der nächsten Jahre und verweist auf die »Finde deine Berufung!«-Kampagne, an der sich neben Herstellern und Händlern auch die beiden Verbände VSF und Bike&Co beteiligen. Neben der Berufsausbildung, die über das duale Ausbildungssystem läuft, gilt es hier, »auch ein Angebot zur berufsbegleitenden Qualifizierung zu entwickeln. Das ist ein Feld, bei dem wir denken, dass wir hier als Verband eine Aufgabe haben. Die Branche braucht Seiten- und Quereinsteiger, weil sie wächst und weil zu wenig ausgebildet wird.« //

14. November 2020 von Dorothea Weniger
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