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Markt - E-Bike-Antriebe

Volle Power

Die E-Bike-Welt entwickelt sich rasend schnell. Schneller, als nach den letzten Jahren der Marktstabilität zu erwarten war. Neue Motoren kommen in den Markt und bieten bemerkenswerte Leistungen. Da tut es gut, sich über die aktuellen Tendenzen und Herausforderungen im Markt im Klaren zu sein.

Die jüngst vorgestellten Antriebssysteme, zumindest die Top-Modelle, glänzen heute fast durchweg mit Drehmomenten im Bereich von 100 Newtonmetern oder sogar darüber. Innerhalb kurzer Zeit hat sich der Charakter des E-Bikes damit durchaus verändert.
Kraftvolle Antritte mit rasanter Beschleunigung sind heute leicht möglich. Das sorgt nicht nur für müheloseres Radfahren, sondern bedeutet für viele Menschen auch mehr Fahrspaß. Doch diese Verlockungen haben ihre Herausforderungen: Ab wie viel »Fahrspaß« ist das E-Bike (und hier ist explizit das rechtliche Pedelec gemeint) kein Fahrrad mehr? Die Veränderungen sind so weit vorangeschritten, dass Regulierungsfragen, die die Branche lange Zeit und sehr gerne durch moderate Leistungswerte vermieden hat, nun unvermeidlich in den Vordergrund rücken.
»Der Markt testet gerade die Grenzen aus«, beobachtet Alex Thusbass, Geschäftsführer beim E-Bike-Hersteller Hepha aus Maisach bei München. »Aber eine letztendliche Antwort, ›bei X-Newtonmetern oder X-Watt ist die Grenze erreicht‹, ist nicht zu erwarten. Dafür sind die Einsatzzwecke und damit die Anforderungen zu unterschiedlich. Was bei einem E-Gravel völlig ausreicht, kann für ein E-Cargo hoffnungslos zu wenig sein. Und Leistung bedeutet nicht Geschwindigkeit oder Super-Warp-Beschleunigung, sondern vor allem Leistung, wenn man sie braucht«, lautet seine Einschätzung.

E-Mountainbikes waren zuletzt Treiber der Leistungsentwicklung.

Aktuell angedacht sind Leistungsbegrenzungen auf 750 Watt. Damit soll das Fahrgefühl noch am klassischen Fahrrad angelehnt bleiben. Natürlich gibt es Sportler, die sogar ohne Motor deutlich höhere Leistungswerte auf die Pedale bringen. Allerdings verdienen sie für diese Spitzenleistungen mitunter Millionen. Ob Lieschen Müller auf dem Weg zum Einkaufen ähnliche Pedal-Power braucht, darf man tatsächlich bezweifeln. Der rasante Ampelstart hat für sie eher keinen Mehrwert. Anders sehen das die E-Mountainbiker und -bikerinnen. Diese Zielgruppe ist der Treiber für die Leistungsentwicklung der letzten Jahre.
Für diese Zielgruppe hat Drehmoment-Treiber DJI die Antriebstechnik beim hauseigenen Avinox-Antrieb optimiert. »DJIs erstes Avinox-System ist primär für den Mountainbike-Markt konzipiert, wo sich hohe Drehmomente als wichtige Unterstützung für Fahrer erwiesen haben. Die Drehmomentsteigerung erweitert nicht nur den Nutzerkreis, sondern steigert auch die Vielseitigkeit des Fahrrads. Zwar ist es schwierig, die spezifischen Bedürfnisse der Nutzer in verschiedenen Fahrsituationen zu definieren, doch die höhere Leistung bietet ihnen mehr Möglichkeiten. Zudem ist das Drehmoment des Avinox-Systems anpassbar, sodass sowohl einzelne Nutzer als auch OEM-Fahrradhersteller es an ihre spezifischen Anforderungen anpassen können.«

»Der Markt testet gerade die Grenzen aus.«

Alex Thusbass, Hepha

Die Unternehmen selbst können sich diesen Wünschen der Nutzerinnen und Nutzer nicht verschließen. »Die Anforderungen beim E-Mountainbiken entwickeln sich stetig weiter«, erklärt etwa Antriebs-Marktführer Bosch E-Bike Systems. Trotzdem hält man mit der derzeitigen Situation mit 85 Newtonmetern Drehmoment, 600 Watt Maximalleistung und 340 Prozent Unterstützung einen Sweetspot für erreicht. Dieser Dreiklang sei »perfekt für die meisten Anwendungszwecke geeignet und bietet ein ideales Verhältnis bezüglich Nutzen und Verschleiß«.
Thusbass dagegen vertritt eine offensivere Perspektive: »Das E-Bike ist kein bloßes Fahrrad mit Motor und sollte daher auch nicht mehr mit dem Fahrrad verglichen werden. Wenn wir einen Schritt zurückgehen und das E-Bike mit seinen 0,75 Kilowatt in Kontext zu den anderen Mobilitätsformen stellen, wird schnell klar, dass wir von einer ›Übermotorisierung› weit entfernt sind.«
Das E-Bike vom Fahrrad zu unterscheiden ist gerade das Gegenteil, was regulatorisch gewünscht ist. Alle Marktteilnehmer wollen, dass das E-Bike dem Fahrrad gleichgestellt ist. Zu vermitteln, dass die Motoren, gerade im Lastenradsegment, aber auch am E-MTB und anderen Segmenten, durchaus noch mehr Leistung gebrauchen können, aber trotzdem als Fahrräder betrachtet werden sollen, wird nicht so leicht sein.
Jürgen Haumon, Senior Product Manager bei Antriebshersteller Panasonic, weist darauf hin, dass auch abseits der Leistung relevante Faktoren bestehen: »Wichtig werden auch Regularien, die eine Reparierbarkeit des Systems verlangen.« Das sei nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll.

Fahrgefühl ist mehr als nur Leistung

Bei Bosch unterstreicht man, dass für Fahrspaß auf dem E-Bike mehr Dinge zusammenkommen müssen als die puren Leistungswerte: »Unsere Antriebssysteme bieten eine ideale Mischung aus Leistung, Modulation, thermischer Stabilität, Softwarefunktionen, Konnektivität und zahlreiche Individualisierungsmöglichkeiten für eine bestmögliche Nutzererfahrung. Wir arbeiten kontinuierlich daran, das Fahrerlebnis weiterzuentwickeln. Dank unserer ausgefeilten Motorsensorik haben wir beispielsweise die Funktion ›Dynamic Control‹ in unseren neuen eMTB+ Modus integriert. Auf anspruchsvollen Trails mit wechselnden Untergründen und Reifengrip erkennt die Sensorik die Gegebenheiten und sorgt so für eine perfekte Traktion auf technischen Trails: So bleiben Fahrer stets im Flow und das Fahrverhalten souverän, dynamisch und voll kontrollierbar.«
Der beschrittene Weg wird im Markt goutiert. Steffen Krill, Market Manager für Deutschland und Österreich beim französischen Hersteller Moustache, sieht die Prioritäten richtig gesetzt. »Wir gehen mit dem Weg und der Strategie, welche Bosch mit dem Thema nun beschreiten, ziemlich gleich. Der Schritt mit dem Update war irgendwo notwendig, aber nicht nur auf Full Power, sondern auch auf Performance bezogen. Mit Bosch und Pinion haben wir zwei Antriebsoptionen, welche gut zu uns passen und in Sachen Qualität, Service und Performance ähnlich wie wir denken.«

Vielfältige Sortimente

Zwar bestimmt die gegenwärtige Diskussion die Maximalleistung der neuesten Antriebe, doch es ist keineswegs so, dass nur diese Motoren-generation verbaut und verkauft würde. Es gibt sehr wohl auch einen großen Markt für moderatere Systeme.
Allerdings liegen bislang die Verkaufszahlen noch hinter den Erwartungen, die zu Beginn des Light-E-Bike-Trends formuliert wurden. Woran hakt es beim Absatz? »Vor allem die immer größer werdenden Batterien im Unterrohr haben zu einer überproportionalen Gewichtszunahme der E-Bikes geführt. Viele E-Bike-Interessenten suchen daher leichte E-Bikes, sind allerdings nicht bereit, die vielen Kompromisse (Leistung, Kapazität, Komfort, Funktion, etc.) einzugehen. Daher verkaufen sich die leichten Bikes noch schleppend, obwohl es eigentlich eine deutliche zunehmende Nachfrage gibt. Hier wird es bessere Angebote geben. Deutlich leichter, jedoch mit voller Leistung und Funktion«, lautet die Erwartung von Hepha-Frontmann Thusbass.

Im urbanen Einsatz benötigen E-Bikes keine brachiale Elektrounterstützung. Für diese Zielgruppe gibt es ein breites Angebot. Viel spannender ist in diesem Bereich das Gesamtpaket mit Integration bis hin zu digitalen Services.

Bosch versucht diesen Spagat zwischen voller Leistung und minimalem Gewicht bereits abzubilden. »Unsere Lösungen in der Motoren- und Akkutechnologie ermöglichen es Herstellern, auch sogenannte Full-Power-Antriebssysteme in kompaktere und leichtere Bauformen zu integrieren. Mit unserer Perfomance Line CX in Kombination mit dem PowerTube-600-Akku kommen bereits Full-Power-E-Bikes auf den Markt, die sich beim Gewicht den leichten E-Bikes annähern. Sie bieten ein agiles, natürliches Fahrgefühl – ohne Kompromisse bei Performance und Haltbarkeit.«
Wer von dieser Seite nicht abgeholt werden kann, bekommt dann tatsächlich die Leicht-Versionen der Antriebe: »Auch das ›Light E-Bike‹ hat seine Berechtigung. Denn die Ansprüche der E-Bikerinnen und -biker sind sehr unterschiedlich. Nicht in jedem Einsatzbereich zählt maximale Leistung. ›Light E-Bikes‹ sprechen vor allem E-Bikerinnen und -biker an, die ein Fahrgefühl wie beim herkömmlichen Fahrrad für E-MTBs, E-Gravel- und E-Urban-Bikes suchen. Der Fokus liegt auf Effizienz, einem natürlichen Fahrgefühl und dynamischer Leistung.« Diese Kundenkreise können dann auf die Performance Line SX zurückgreifen.
Bei Brose findet man zwar ebenfalls Gefallen an leichten E-Fahrzeugen, sieht die Marktperspektiven aber durchaus skeptisch. Christopher Körper, Produktmanager bei Brose E-Bike, erklärt: »Der zwischenzeitliche Trend von Minimal-Assist-MTBs flacht deutlich ab. Hier erscheinen Full-Power-Light-E-MTBs sinnvoller, also leichte E-Bikes mit einem Full-Power-Antrieb, wobei das Gewicht vor allem durch leichte Rahmen und leichte Akkus realisiert wird. Das Abrufen der Leistung bleibt in diesem Fall dem Nutzer überlassen. Aus Sicht eines
nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen ergeben aber auch E-Bikes mit weniger Leistung und kleinen Akkus Sinn. Ein Beispiel hierfür sind E-Bikes, die vornehmlich in der Stadt zum Pendeln genutzt werden. In der Regel liegen die täglichen Fahrleistungen hier unter 30 Kilometern. Hier genügen oft auch schwächere Antriebe (mit geringerem Verbrauch) und dementsprechend kleinere (und auch schlankere) Akkus.«
Den Ansatz, für jeden Einsatzzweck ein passendes Antriebssystem zu bieten, verfolgt auch Bafang. Dort will man zusätzlich die verschiedenen Weltmärkte berücksichtigen, die verschiedene Regularien aufweisen und zumindest bei Bafang auch tatsächlich zu verschiedenen Systemen führen.
Das Ergebnis ist ein umfassendes, ausdifferenziertes Portfolio, das keineswegs nur auf maximale Leistung setzt, diese aber sehr wohl anbietet. »Die meisten E-Bike-Käufer besitzen bereits ein normales Fahrrad. Der Grund für den Kauf eines E-Bikes ist das komfortablere Fahren und die größere Reichweite. Daher ist es verständlich, dass die Menschen ein höheres Drehmoment und eine größere Reichweite wünschen. Aber benötigt jedes E-Bike zwangsläufig ein hohes Motordrehmoment und eine hohe Akkukapazität?«, fragt Bafang-Marketingmanagerin Water Qiu. Die Antriebsexperten aus der Nähe von Shanghai haben auf diese Frage eine differenzierte Antwort: »Diese sollten auf den jeweiligen Einsatzzweck des E-Bikes abgestimmt sein. Deshalb bietet Bafang verschiedene anwendungsorientierte Systeme an, zum Beispiel für City/Trekking/MTB/Cargo/Gravel/Road, und hat sogar verschiedene Modelle für den EU- und US-Markt. Der maximal mögliche Drehmomentbereich reicht von 70 Nm bis 160 Nm, die Akkuleistung von 360 Wh bis 960 Wh.«
Was spricht dafür, dass sich Menschen für weniger leistungsstarke Systeme entscheiden? »Das Gewicht ist auf jeden Fall ein wichtiger Parameter für ein Antriebssystem«, erklärt Qiu. Eine leichtgewichtige Person hat eventuell weniger Lust auf ein voll ausgestattetes E-Bike mit 25 Kilogramm Gewicht. Der fitte Sportler, der nur leichte Unterstützung benötigt, verzichtet heute auch gerne auf zusätzliches Gewicht. Dabei bedeute das keineswegs, dass mit weniger Gewicht automatisch Leistungsverringerung einhergehe. Beispielsweise bringe das aktuelle M510-System 15 Prozent weniger Gewicht auf die Waage, verfüge aber trotzdem über 20 Prozent mehr Leistung.

Die nächsten Entwicklungen

Was sind die nächsten Evolutionsstufen am E-Bike-Antrieb? Bei Brose hat man da bereits recht deutliche Vorstellungen, in welche Richtung es gehen könnte, wie Produktmanager Körper erklärt: »Neben den klassischen Leistungsdaten sehen wir zukünftig vor allem Potenzial bei der Größe und einer leichten, formschönen Integrierbarkeit. Zudem ist definitiv eine Entwicklung zu Antrieben mit integrierten Schaltungen zu sehen. Diese weisen im Vergleich zu klassischen Schaltungen oftmals auch Vorteile bei Wartung und Verschleiß auf. Generell haben wir bei all unseren zukünftigen Entwicklungen stets Reparatur- und Nachhaltigkeitskonzepte im Fokus, um unseren CO2-Fußabdruck weiter zu reduzieren.«
Thusbass erwartet durchaus noch Leistungszuwächse: »Neben dem oben beschriebenen Ausloten der Leistungsgrenzen wird vor allem die Konvergenz von elektrischem (Motor) und mechanischem Antrieb (Schaltung) die nächsten Jahre massiv bestimmen. Damit einhergehen wird auch eine Zunahme an Assistenzsystemen, wie zum Beispiel die obligatorische Automatikschaltung und Software-basierte Funktionen.«
Bei Bosch wird man das Gesamtpaket noch stärker herausstellen: »Wir werden auch in Zukunft die unterschiedlichen Nutzerbedürfnisse adressieren und im Zusammenspiel aus Hardware, Software und digitalen Features das smarte System weiterentwickeln.«

»Der zwischenzeitliche Trend von Minimal-Assist-MTBs flacht deutlich ab.«

Christopher Körper, Brose

Sehr interessant ist auch die Perspektive des Neuzugangs DJI, die mit ihrem Avinox-System noch neu auf dem Markt sind, aber ganz offenbar langfristige Perspektiven (für den sportlichen E-MTB-Markt) im Blick haben. »Die Zukunft von E-MTBs und ihr größtes Potenzial liegen in folgenden Aspekten: Gewicht, Optik und Fahrgefühl von E-MTBs werden denen herkömmlicher Mountainbikes ähneln. Die Versorgung mit Akkus mit hoher Energiedichte wird durch Nutzerbedürfnisse und Branchentrends erleichtert, und es werden immer mehr Akkutypen für E-MTBs verfügbar sein, wie zum Beispiel austauschbare Akkus, Range Extender. Die Kosten für E-MTBs sind derzeit relativ hoch. Künftig erwarten wir jedoch einen Trend zu kostengünstigeren Modellen. Die Grenzen zwischen Mountainbiken und täglichem Pendeln verschwimmen. Auch die Fahrszenarien werden vielfältiger. Ein weiterer Zukunftstrend ist die zunehmende Elektrifizierung. Fahrrad und Software werden stärker vernetzt, sodass mehr Fahrradteile und das Hauptsystem bei Stromversorgung und Steuerung interoperabel sind.«
Die Kosten im Blick hat auch Panasonic. »Nicht jeder will sich ein E-Bike für 6999 Euro leisten«, weiß Manager Haumon. »Wir wollen Bike-Systeme bieten, die bezahlbar sind.« Das sei insbesondere relevant, wenn man einen Massenmarkt bedienen will. Die Neuheiten auf diesem Gebiet werden schon bald vorgestellt. //

16. Juni 2025 von Daniel Hrkac

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