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Bewährter Veranstaltungsort der BFS - die Station Berlin.
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Berliner Fahrradschau 2018

Lang lebe Lifestyle!

Gefühlt war zunächst alles wie die letzten Jahre auf der Berliner Fahrradschau 2018 – naja, nicht ganz: Das Freitagabendpublikum kam vielleicht etwas weniger zahlreich als die letzten Jahre und war im Schnitt auch deutlich

Infento: Fischer-Technik lässt grüßen - Fahrrad aus dem BaukastenBewährter Veranstaltungsort der BFS - die Station Berlin.Geos: Im Rahmen findet alles seinen Platz: Akkus, Verkabelung ...Kruschhausen: Teilbares Rad für urbane PendlerKruschhausen: Teilbares Rad für urbane PendlerInfinity: Integration bei E-Bikes auf die Spitze getriebenInfento: Fischer-Technik lässt grüßen - Fahrrad aus dem BaukastenManiac & Sane: Cargo-Bike für FreaksOriginelles für den Kopf: DacksmackFahrradtaschen der etwas anderen Art: BiketankKetten-Cowboy in Berlin

gesetzter. Weniger euphorisch als die letzten Male war vieler Befragten nach auch die Stimmung Freitagabend. Aber schon zu diesem Auftakt konnte man in den Hallen der Station Berlin feststellen – doch die Atmo stimmt, und die Messe hat ihre Freunde und Berechtigung. Und schon das große Event-Angebot der Messe mit Rennen und anderen, teils alternativ angehauchten Mitmach-Veranstaltungen stellt eine ziemlich einzigartige Mischung dar.

Wer durch die Messetüre kam, lief direkt auf die Fazua-Leute zu: Der kleine Motor der findigen Münchner steckte in Bikes mit von Künstlern dekorierten Rahmen. Schon die Zuteilung dieses Standort für den Motorbauer zeigt: Die Messe will mehr für die Allgemeinheit interessant werden. Zugleich stand Fazua an diesem Wochenende aber auch für einen Trend, der in der E-Bike-Branche schon fast zum Standard geworden ist, hier aber im Gewand einiger Beispiele noch einmal besonders auf die Spitze getrieben war: Integration und Minimalismus.

Das Herz ist das Limit: Infinity

Da fand sich das Infinity aus Italien; ein Rad, das vor allem als „pulsgesteuertes“ E-Bike beworben wird. Alu- oder Carbonrahmen, Heckmotor mit 35 Newtonmeter Drehmoment, Sram 11-fach-Schaltung und einer 250-Wattstunden-Akku (optional 375Wh) im Flaschenhalter. Die Motorsteuerung geschieht mittels der Herzfrequenz, gemessen über Brustgurt. Eine nach medizinischen Gesichtspunkten arbeitende Software verbandelt die Daten des Pulsmessers mit der Software des Motors und unterstützt je nach Bedarf mehr oder weniger. Natürlich kann auch ohne Pulsmesser ganz normal gefahren werden. Zugriff gibt’s für den Fahrer wie üblich über eine App. Keine ganz neue Technologie, aber eine, die, trotzt vieler Möglichkeiten bisher kaum irgendwo wirklich konsequent angewandt wird. Vor allem aber spielt die Optik hier eine große Rolle: Der sehr sportive Auftritt des Infinity weist auf Wünsche potenzieller Käufer hin, trotz Fitness- oder gesundheitlicher Probleme dynamisch daher zu kommen. Im Online-Shop gibt es das Infinity für ab 3.680 Euro.

Die Kunst des Weglassens: Geos

Mit deutlich mehr, nämlich etwa 4.800 Euro, steigt man bei einem weiteren Newcomer der Klasse ein: Das neue Geos aus Berlin (velobiz.de berichtete) ist zunächst ein sehr schönes, klassisch wirkendes Stahlrahmen-Bike mit fast lautlosem Ansmann- Heckmotor. Der fein gearbeitete Rahmen ist nickelbeschichtet, was die Oberfläche kratzfest machen soll; er nimmt sämtliche Züge und Leitungen auf. Auf Federelemente wurde zugunsten von Wartungsfreiheit verzichtet, stattdessen werden in der Gravel-Variante etwas breitere Reifen in 27,5 Zoll eingesetzt, die Straßenvariante läuft auf 28 Zoll. Der Clou des E-Bikes aber ist der 378-Wattstunden-Akku: Durch einen neuen, modulartigem Aufbau verschwindet er zusammen mit der Steuerung im relativ normal dimensionierten Ober- und Unterrohr des Rahmens. Die Öffnung dazu verbirgt sich hinter der integrierten Frontleuchte. Laut Geschäftsführer Peter Hanstein will das Rad vor allem Menschen ansprechen, die sich ein klassisches Fahrrad wünschen – und mit seinen 15 Kilogramm Gewicht soll es auch ohne zugeschaltetem Antrieb genauso fahrbar sein. Der Fokus liege auf Nachhaltigkeit und Wartungsarmut, so gibt es das Geos nur mit Riemenantrieb und Singlespeed beziehungsweise Zweigang-Tretlagergetriebe von Kappstein.

Normalrad-Look als Verkaufsargument: Ampler

Ein optisch ähnliches Konzept – wenn auch weniger aufwendig in der Konstruktion und damit nicht auf High-End ausgerichtet – verfolgt Ampler mit seinen Rädern. Die Bikes der Esten haben ein sehr traditionelles, schlichtes Erscheinungsbild. Auch hier steckt ein Motor im Hinterrad und ein (336-Wh-)Akku im Rahmen, geladen wird über eine Buchse im Sattelrohr. Nicht nur schlicht außenverlegten Züge und andere Details zeigen, dass man hier auf eine andere Preisklasse abzielt. Die Modelle starten bei 2290 Euro in den Markt. Beim Singlespeeder ist gegen Aufpreis ein Riemenantrieb erhältlich. Natürlich durfte auch der selbst noch junge Altmeister dieser Klasse nicht fehlen: Coboc war auch dieses Jahr mit einem Stand vertreten, die vor Jahren eher von der hippen Seite her die „Minimal-E-Bike-Klasse“ quasi ins Leben gerufen hatten.

Eleganter Zweiteiler: Kruschhausen

Interessant war die Messe schon immer wegen der innovativen Schübe „von unten“: Junge Unternehmen, die einen eigenen technischen Weg zu bestimmten Problemlösungen zeigen. Das macht auch Produktdesigner Tobias Kruschhausen mit seinem Projekt eines teilbaren Rads für urbane Pendler. Mit dynamisch verkürzten, flacheren Sitzstreben zeigt es sich optisch voll auf Höhe der Zeit. Von der Oberrohr-Mitte läuft ein Verbindungssteg zur Mitte des Unterrohr. Wird am darüber liegenden Hebel gezogen, stellt sich diese Verbindung allerdings als Trennschiene heraus. Mit einem Handgriff lassen sich Vorder- und hinteres Teil des Rads auseinander nehmen und seitlich mit einem Verbindungsanker aneinander befestigen. Wer vorher den Lenker an einem Vorbau-Gelenk löst und dreht, hat so ein schlankes Paket mit etwa 12 Kilogramm Gewicht. Die Passung der Verbindungsschienen wirkt sehr genau, laut Hersteller soll der vom Institut Zedler getestete Prototyp eine sehr hohe Rahmensteifigkeit aufweisen. Derzeit läuft eine sechswöchige Crowdfunding-Kampagne für das Rad auf Startnext. Auf dem Markt soll das Rad für 2.890 Euro kommen. www.kruschhausen-cycles.de

Fischertechnik für junge Biker: Infento

Eine ganz andere Sicht auf Räder hat das niederländische Unternehmen Infento: Es vertreibt Bausätze für Kinderdreiräder aller Couleur. Vom Chopper-ähnlichem Bike bis hin zum klassischen Dreirad für Zweijährige – alles steckt in den unterschiedlichen Baukästen und wartet auf die Kreativität des Kunden. Für Deutschland war die Fahrradschau Infento-Premiere, doch in den Niederlanden habe man schon 3.000 Bausätze verkauft, erklärt Spencer Rötting, Miterfinder und Gründer von Infento. Vor allem an niederländischen Schulen kommen die Räder gut an. So lassen sich aus den Baukästen, die von 139 bis 649 Euro kosten, bis zu 14 verschiedene Fahrzeuge bauen. Das Basiselement kennt man aus den Fischertechnik-Baukästen: Dort sind es Bauklötze, die oben einen Zapfen und unten eine Nut besitzen, die diese Zapfen aufnimmt, wie auch die vier Nutenschienen an den vier Langseiten. Bei Infento ist der Werkstoff Aluminium. Zum Basisteil gesellen sich kugelgelagerte Räder, auf die Schienen schiebbare Tretlager und ein Riemenantrieb. Alles wird miteinander per mitgeliefertem Werkzeug verschraubt. Eltern und Kinder können so zusammen Trikes konstruieren, die auch noch richtig Fahrspaß bereiten sollen. Auf die Produktsicherheit angesprochen, erklärt man bei Infento, dass man natürlich keinerlei Gewährleistung für die aus der Kreativität der Kunden entstandenen Fahrzeuge übernehmen kann. Da die so entstehenden Räder Spielzeuge sind, die ohnehin nicht auf Straßen gefahren werden dürfen, sieht man rechtlich keine Schwierigkeiten in Sachen Produkthaftung, lässt aber dem Kunden einen Haftungsausschuss unterschreiben. www.infentorides.com

Lastentransport für Freaks

Der Hype Cargobike reißt nicht ab – er hat die Carbonbauer erreicht: Maniac & Sane nennt sich ein Projekt der Composience GmbH, die ansonsten als Autozulieferer unterwegs ist. Das Vollcarbon-Rad – ein Frontlader a la Bullitt – soll in der leichtesten Version mit Carbon-Rennrad-Laufrädern um 10 Kilogramm wiegen. Als Singlespeeder ist es allerdings eher was fürs Training denn fürs Business. Natürlich gibt’s auch andere Ausführungen. Wer schwerere Lasten fahren will, sollte lieber in die 15-Kilogramm-Version mit breiten Reifen und ein paar Gängen investieren, am besten auch in einen Motor. Geplant hat Entwickler Martin Fleischhauer eine Mini-Serie. Um die 10.000 Euro dürfte der Einstieg in die Cargo-Carbon-Welt kosten. www.maniac-sane.cc

Von der Felge auf den Kopf

Andere, große Themenschwerpunkte der Messe waren auch dieses Mal Recycling und Retro – am liebsten zusammen. Originell: Die sehr schönen Kappen für Radler von den Schweden Dacksmack. Ein Streifen Rennrad-Pneu stellt die verstärkende Basis über den Scheitel, links und rechts davon schafft dünnes Leder eine sehr weiche, angenehme Haptik. www.dacksmack.se

Noch ausgefallener ist die Idee von „Kettencowboy“ Semjon Bakroew. Auch hier geht es um eine Lederfläche, die mit einer Art Gürtelschnalle am Unterschenkel befestigt wird und so das Hosenbein vor der Kette schützt – vor allem aber echte Cowboy-Optik bringt, wie sie vor allem auf Retro-Rädern gut wirkt. www.kettencowboy.de

Auch um Retro-Optik kümmert sich Biketank: Das sind Gepäcktaschen im Stil der Motorrad-Tanks aus den 20er-Jahren. Die Gepäcktaschen werden am Oberrohr festgeschnallt und bieten etwa 2-3 Liter Volumen für Regenjacke, Geldbörse und andere kleine Dinge. Dank Fidlock-Verschluss lässt sich die Lasche am vorderen Ende gut öffnen und sicher schließen. Der Fokus liegt aber auf dem Design: Das Laser-Dekor kann man sich auch nach eigener Idee gestalten lassen. Ab 49 Euro. www.biketank.de

Wie viele hippe Messen braucht Berlin?

Vor der diesjährigen Messe hatten die Verantwortlichen des Messeteams gewechselt. Nach dem Weggang von Fares Hadid, der die Fahrradschau zuletzt als Geschäftsführer leitete, erwartete mancher eine Ausstellerabwanderung in Richtung „neuer“ Velo Berlin. Die von Velokonzept veranstaltete Verbrauchermesse verspricht mit dem Wechsel zum Standort Flughafen Tempelhof eine Ausrichtung, die stärker als bisher in Richtung Lifestyle geht. Inwieweit wirklich Aussteller abgewandert sind, ist derzeit noch nicht belegbar. Wer durch die Gänge der Fahrradschau lief, konnte aber relativ einfach feststellen, dass weniger Raum als im Vorjahr mit Ausstellern gefüllt war. In der Haupthalle waren lange Meter als Fotogalerien zum Thema Radsport gefüllt. Auch erzählten Aussteller, dass sie einfach den Verlockungen von sehr günstigen Standpreisen oder dazu geschenktem Raum nachgegangen seien. Nach dem etwas geringeren Ansturm am Freitag jedenfalls waren die drei Ausstellungshallen Samstag ab Mittag durchaus gut besucht. Auch ließ sich die Fortsetzung der Entwicklung hin zu einem breiteren Familien-Publikum beobachten. Fragte man am Sonntag die Aussteller, bekam man allerdings nahezu einhellig berichtet, dass die Erwartungen an das Publikum nicht erfüllt wurden.

„Am Sonntag war es schwach, meinte Brompton-Vertreiber Hennig Voss, der erstmals selbst mit seinem Angebot auf der Messe war. Trotzdem war er letztendlich mit der Fahrradschau zufrieden – auch weil er sieht, dass seine Produkte bei dem immer noch eher jungen Publikum in Berlin durchaus gut ankommen. „Das Konzept ist richtig,“ meint er. Auch Patria stellte zum ersten Mal auf der Fahrradschau aus und parkte unter anderem sein neues Lastenrad Atlas in den Vordergrund. Markus Hennig vom Stand zog eine insgesamt positive Bilanz und lobte die sehr interessanten Gespräche mit gut vorinformiertem Publikum. Auch wenn der Sonntag nicht gehalten hätte, was er versprach: „Hierhin kann man gut wiederkommen“. Auch Versender Rose nutzte die Möglichkeit zum Kundenkontakt auf der BFS. Er präsentierte seine Partnerschaft mit Life Cycle – ein Konzept, das dem Endkunden Service vor Ort verspricht, etwa den fachmännischen Aufbau des neu gekauften Rads. Grundsätzlich hätte man sich aber etwas mehr Publikum gewünscht, so Marketingmann Anatol Sostmann, der für das Unternehmen vor Ort war. Klarer sagte es Kay Tkatzik am Riese und Müller-Stand: „Wirtschaftlich war es ein Reinfall.“ Allerdings schrieb er den Misserfolg auch dem Besucherstrom zu, der meist auf anderen Bahnen durch die Hallen zog – „wir würden sicher auch nächstes Jahr wieder hier sein, wenn wir einen besseren Platz bekommen könnten. „Der `Themenpark-Bildung´ ist doch gerade bei solchen Veranstaltungen kontraproduktiv.“

Natürlich sollte man auch den Veranstalter zum Konzept befragen – auch wenn das organisatorisch – wie schon die letzten Jahre – nicht ganz einfach ist. Wir fanden schließlich Sebastian Bentzin, Kommunikationsmanager der Fahrradschau. Er sieht keine großen Veränderung im Konzept: „Wir wollen noch etwas mehr den Festival-Charakter der Messe herausarbeiten und haben mit dem Sektor Cycle Politics versucht, auch gesellschaftliche Belange mehr hereinzubringen.“ Das passt auch dazu, dass man sich internationaler geben will. Neu waren in diesem Jahr die „Talks“, Vorträge zu Themen wie „Tubeless is the Answer“ von Schwalbe oder „All about Bearings“ vom Aussteller Acros, gut besucht waren sichere Klassiker wie die Rennen „Last man standing“ oder das „Cross Race“.

Also alles beim Alten? Neu ist jedenfalls, dass die BFS nach zwei Jahren wieder eine Besucherzahl angibt: 14.000 sollen es dieses Jahr gewesen sein, und 170 Aussteller. Die Besucherklientel scheint sich etwas zu gesetzterem Publikum hin zu wandeln, und die große Sogwirkung ist – wenn man den ruhigen Sonntag ansieht, wohl zumindest vorübergehend ausgesetzt. Wie es wirklich in der Berliner Fahrrad-Messelandschaft weitergeht, kann man aber erst nach der VeloBerlin sagen.

27. März 2018 von Georg Bleicher
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