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Markt - Lastenräder

Belastungstest für Cargobike-Markt

Nach vielen wachstumsverwöhnten Jahren wurden 2024 weniger Lastenräder als im Vorjahr verkauft. Etabliert sich im Markt gerade sein neues Basis-Niveau? Oder wird der Boom noch kräftig nachhallen?

Ein Blick in die Marktzahlen des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) verrät, wie sich der Lastenradmarkt im vergangenen Jahr entwickelt hat. 220.500 Cargobikes wurden hierzulande 2024 an die Kundinnen und Kunden gebracht. Das sind rund 15.000 Lastenräder weniger als 2023. Die langjährige Wachstumskurve ist damit zunächst einmal unterbrochen. Doch es lohnt sich, genauer hinzusehen.
Eindeutig sind die Zahlen des ZIV beim Trend zum Hilfsmotor: Elektrisch unterstützte Lastenräder kommen für einen zunehmend großen Anteil an den verkauften Cargobikes auf. Während ihre Verkäufe mit 184.500 Einheiten nur 5500 unter dem Vorjahreswert zurückbleiben, ist der Markt für nicht elektrische Cargobikes seit 2021 rückläufig und 2023 um weitere rund 10.000 Stück auf 36.000 verkaufte Einheiten gefallen. Unter den E-Bikes stellen Lastenräder gleichbleibend neun Prozent der verkauften Fahrzeuge. Bei den unmotorisierten Fahrrädern sind sie mit einem Anteil von zwei Prozent (2023: drei Prozent) eher eine abnehmende Randerscheinung.
Detailliertere Daten zu den Lastenfahrrädern sammelt der ZIV gegenwärtig nicht. Wie sich der Markt entwickelt, nehme man dennoch wahr, wie Katharina Hinse, Leiterin für Wirtschafts- und Industriepolitik beim Verband, beschreibt: »Wir beobachten seit geraumer Zeit, dass sich die angebotenen Lastenradmodelle immer weiter diversifizieren, sodass verschiedene Ansprüche der Konsumentinnen und Konsumenten berücksichtigt und bespielt werden und die Herstellervielfalt und das Produktportfolio wachsen. Insgesamt sind Lastenfahrräder heutzutage modularer gestaltbar durch die Kundinnen und Kunden.«

Gutes oder schlechtes Jahr?

Handelsseitig dürften die wenigsten Akteure das Cargo-Jahr 2024 mit den leicht rückläufigen Verkäufen als Totalausfall werten. In der Industrie finden sich sowohl Stimmen, die das vergangene Jahr als gut lobpreisen, als auch solche, die es beklagen. Laut Jan Begemann, kaufmännischem Werksleiter bei Kettler Alu Rad, war das vergangene Geschäftsjahr im Lastenradsegment »ähnlich enttäuschend wie der Rest«. Begemann sieht eine gewisse Sättigung des Marktes, die auch Cargobikes betrifft. Der Markt sei für Kettler kein Lichtblick, sondern verhalte sich eher noch extremer als andere Absatz-Segmente.

Im Premium-Segment kauft die Kundschaft gerne reichlich Zubehör und Ausstattung.

Auch Chike-Geschäftsführer Manuel Prager spricht für die Industrie von einer herausfordernden Zeit, aber mit positivem Trend: »Es war ein relativ schwieriges Jahr. Das neue Jahr hat besser angefangen bei uns.« Der Kölner Hersteller dreirädriger Lastenräder mit Neigetechnik hat zuletzt aktualisierte Modelle vorgestellt, die nun frisch in die Auslieferung gehen.
Positiv ist auch der Hersteller Riese & Müller aus dem Krisenjahr gekommen. Auch wenn das Mühltaler Unternehmen letztes Jahr ebenfalls einen leichten Rückgang erlebt hat, wächst der Anteil der Cargobikes an den verkauften E-Bikes laut Benjamin Wenz aus dem Kommunikations-Team stetig. So auch im vergangen Jahr. Immer beliebter seien Longtails, sagt Wenz. »Wir sind in der Summe sehr zufrieden mit den Verkäufen. Zu Beginn des Jahres gab es stellenweise noch Zurückhaltung, die natürlich daher kommt, dass bei einigen die Lager noch gut bestückt sind – noch nicht mal zwangsläufig mit unseren Rädern. Trotzdem gehen die Bestellungen jetzt wieder hoch, was erfreulich ist und uns zeigt, dass viele Händler an Cargobikes glauben und ihre Zielgruppe gefunden haben.«

Andere Anforderungen im Gewerbe

Viel Potenzial für weiteres Wachstum attestiert Wenz dem gewerblichen Absatzmarkt, also Betriebs- und Behördenflotten, Sharing-Anbietern oder Lieferdiensten. »Das ist schon etwas, das Riese & Müller seit einigen Jahren ganz strategisch verfolgt«, erklärt er. Das Unternehmen prüft, welche Branchen man ansprechen kann und welche Modelle für diese geeignet sind. Dabei profitiert Riese & Müller von seiner großen Modellauswahl.
Auch bei Kettler Alu Rad weiß man um das Potenzial des gewerblichen Markts. Laut Werksleiter Begemann lässt sich dies bislang noch nicht angemessen abrufen. Zum einen liege das daran, dass die Marke traditionell einen starken Fokus auf den Einzelhandel hat. Aber auch technisch hätten Flottenbetreiber grundlegend andere Anforderungen an die Fahrzeuge: »Unsere Räder sind auch nicht für den B2B-Bereich entwickelt worden. Wenn man von einer Business-Anwendung spricht, geht es schon damit los, dass die Kilometerleistung solcher Räder ein Vielfaches dessen ist, was ein Privatanwender fährt«, so Begemann.


Kinder zu transportieren ist das klassische Anwendungs-Szenario. Speziell auf Hunde abgestimmte Angebote werden aber auch häufiger.

Manuel Prager und das Team von Chike messen den gewerblichen Nutzerinnen und Nutzern ebenfalls eine nicht unwichtige Rolle bei. Unter anderem Apotheken zählen zu den Kunden der Kölner. Künftig will das Team die Zielgruppe mit einem neuen Modell mit maximalem Stauraum ansprechen, sagt Prager: »Wir bringen zur Eurobike eine neue Cargo-Version namens Cargo Pro raus. Es war immer ein Kritikpunkt an unserem bestehenden Cargo, dass die Box nicht abschließbar ist.«

Jung, urban, mit Nachwuchs

Eltern seien jedoch wichtiger fürs Geschäft, betont Prager. Gerade junge Familien, die eine Lösung für alltägliche Wege suchen, kaufen Chike-Räder. Das Lastenrad muss sich für sie gut fahren lassen und sicher sein. Die meisten Kunden fahren Chike aus pragmatischen Gründen. »Es muss praktisch sein«, resümiert Prager.
Bei Omnium sieht man Cargobikes als primär urbanes Thema, sagt der für Deutschland zuständige Account Manager Jorrit Spoelstra. In der Anwendung stellt die dänische Marke mit Wurzeln in der Kurierszene inzwischen gern die Vielseitigkeit des Produkts hervor. Neben diversen Transportanwendungen nutzen die Kundinnen und Kunden Omnium-Räder mitunter für Radreisen. Auch Kinder lassen sich transportieren. Gerade, wenn diese gegen die Fahrtrichtung sitzen, störe der fehlende Regenschutz nur wenig, so Spoelstra.
Wer laut ihm ein Omnium kauft, hat eingesehen, dass sich damit schneller von A nach B kommen lässt. Neben dieser rein pragmatisch denkenden Kundschaft sieht Spoelstra auch jene Kundinnen und Kunden, die grundsätzlich besonders vom Radfahren überzeugt sind: »Es gibt auch einfach Leute, die das Verständnis zu haben scheinen und immer schon Fahrrad gefahren sind.«
Die Marke zeigt zudem, dass Cargobikes ohne Motor als praktische Lösung sehr wohl eine Zukunft haben. Zwar bietet Omnium auch E-Lastenräder an, diese machen aber einen kleinen Teil der Verkäufe aus. »Wir hatten ein sehr gutes Jahr«, ordnet Spoelstra für 2024 ein. Auch die neue Saison sei zufriedenstellend angelaufen. In Deutschland als wichtigestem europäischen Absatzmarkt bedient Omnium eine hohe zweistellige Händlerzahl. Auf der Eurobike 2024 hat die Marke ein sogenanntes Tilting Bracket eingeführt. »Damit kann man die Ladefläche vertikal stellen oder komplett abnehmen. Die erste Charge war innerhalb von 2 Stunden ausverkauft«, so Spoelstra.


Auch Lastenräder ohne Hilfsmotor haben eine Zukunft, wie die dänische Marke Omnium zeigt.

Das platzsparende Abstellen ist offenbar gefragt. Hier glänzen auch Longtails, die laut Benjamin Wenz als Türöffner für das Cargo-Segment fungieren können. Auch das Kompakt-Modell Carrie könne dies leisten, sagt Wenz: »Das Bike spricht auch Menschen an, die vielleicht gar nicht auf dem Schirm hatten, dass ein Cargobike etwas für sie wäre.«
Weiter gefasst beobachte man bei Riese & Müller, dass sich Kundenbedürfnisse wandeln. »Wir sehen eine Nachfrage nach immer spezialisierterem Zubehör«, so Wenz. Cargobikes würden generell gerne mit reichlich Ausstattung gekauft. Zubehör für den Hundetransport sei immer gefragter. Junge Familien sind auch für Riese & Müller wichtig, die Altersgrenze würde aber vermehrt durchbrochen. Wenz: »Auch deutlich ältere Zielgruppen erkennen, dass man nicht unbedingt kleine Kinder haben muss, um ein Lastenrad zu fahren.«

Knackpunkt Kosten?

Jan Begemann von Kettler Alu Rad nimmt wahr, dass es viele kostensensible Kunden und Kundinnen gibt, bei denen praktische Faktoren maßgeblich sind für die Kaufentscheidung. »Das Fahrrad-Design spielt eigentlich nur eine untergeordnete Rolle. Das ist gar nicht so relevant. Das entscheidende Kaufkriterium ist immer die Transportanwendung.« Im Markt fehle es an wirklich guten Lastenrädern in der Preislage um 5000 Euro. »Unserem Qualitätsanspruch entspricht das nicht«, kommentiert er das bisherige Angebot in diesem Segment.
Qualität und niedrige Preise in Einklang zu bringen sei deshalb schwer, weil die Produktionskosten hoch und die Volumen im Vergleich zu anderen Segmenten doch noch überschaubar seien. Hohe Werkzeugkosten bei der Produktion von EPP-Schaum-Boxen nennt Begemann hier als beispielhaften Faktor.
Parallel zur pragmatischen Kundschaft sieht der Kettler-Werksleiter im Premium-Segment steigende Ansprüche und den Wunsch, viel Zubehör zu haben und zwischen verschiedenen Anwendungen schnell wechseln zu können. »Da ist man dann in einem Bereich, wo so ein Rad mit Transportlösung 8 – 12.000 Euro kostet. Wenn man sich dann überlegt, dass das eigentlich ein Produkt für junge Familien ist, ist die Frage, wer sich das leisten kann.«

Longtails sind laut Benjamin Wenz von Riese & Müller Türöffner des Cargobike-Segments.

Auch der Umsatzbringer Leasing sei bei derartigen Preislagen nur bedingt die Lösung. Zum Beispiel ist für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst der Verkaufspreis schließlich auf 7000 Euro inklusive Zubehör limitiert.

Verlässlicher Mobilitätsmarkt

Ein Selbstläufer scheint der Lastenradmarkt auch wegen derartiger Hürden nicht zu sein. Dennoch sind die befragten Hersteller insgesamt zuversichtlich, was die Zukunft angeht. »Ich halte es für ausgeschlossen, dass Cargobikes wieder sterben werden«, sagt Begemann. Er rechnet damit, dass es in diesem Segment noch viele spannende Entwicklungen geben wird.
Omnium-Verteter Jorrit Spoelstra geht ebenfalls von viel Innovation aus und davon, dass der Markt noch verlässlicher werden wird. Über den leichten Rückgang des Markts im vergangenen Jahr habe er sich nicht gewundert. »Das konnte so nicht weiter gehen, das ist klar«, so Spoelstra.
»Cargobikes bleiben beliebt«, heißt es von Benjamin Wenz zur künftigen Entwicklung. Anders als so manches sportliche Rad seien die Lastenräder weniger auf den Freizeitbereich zugeschnitten und dürften langfristig als Mobilitätslösung weniger krisenanfällig sein, so Wenz: »Wer die Anschaffung eines E-Bikes plant, um eher am Wochenende zu fahren, überlegt es sich in wirtschaftlich unsicheren Zeiten vielleicht noch einmal. Wer aber ein Cargobike als Fahrzeug für die alltägliche Mobilität nutzt, ist darauf angewiesen und rechnet die Kosten dafür auch ein. Das ist wie die Monatskarte für den ÖPNV – etwas, das zum Alltag dazugehört und das man immer einplant.«
Wie viel stärker sich Cargobikes als Mobilitätslösung etablieren können, hänge auch von der Politik der nächsten Bundesregierung ab, mahnt Manuel Prager. Dass die allermeisten großen Hersteller den Lastenradmarkt bedienen, wertet der Chike-Geschäftsführer als Zeichen ungehobenen Potenzials: »Ich sehe den Cargobike-Markt der Zukunft sehr positiv. Ich bewege mich natürlich auch in einer Bubble, aber wie ich es mitbekomme, nehmen die Menschen Cargobikes sehr positiv auf.« //

24. April 2025 von Sebastian Gengenbach

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