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Kolumne - Gegenwind

Der goldene Platten

Herzlichen Glückwunsch, liebe Fahrradmarken! Ihr habt es mal wieder geschafft: »Gold-medaille in Kundenvertrauen«, »Bike of the Year«, »Beste Marke«. Die Urkunde hängt schon im Showroom, das Reel ist auf Instagram und der Produktmanager klopft sich auf die Schulter. Verdient! Schließlich...

... haben die Leser abgestimmt. Also: die LeseR. Denn wenn wir uns die Teilnehmerstruktur solcher Leserumfragen mal nüchtern anschauen, sind im Durchschnitt über 90 Prozent männlich. Die restlichen paar Prozent waren vermutlich versehentlich auf »Senden« gekommen, als sie eigentlich nur nach dem Wetter googeln wollten. Das Alter liegt meist irgendwo zwischen »Ich erinnere mich noch an Cantilever-Bremsen« und »Mein erstes E-Bike hat noch einen Schlüssel zum Starten«. Einkommen? Hoch. Meinung? Stabil. Diversität?

Nur was passiert, wenn ausgerechnet diese Ergebnisse zur Blaupause für Marketingstrategien, Produkte und Kundenansprache werden? Dann glauben viele Brands tatsächlich, ihre Zielgruppe bestehe ausschließlich aus gut situierten Ü50-Männern, die noch nie einen Podcast gehört, aber fünf Helmlampen getestet haben.

Na ja. Same old Story – aber jetzt mit Award. Kein Wunder, dass Marken die Umfrage-Ergebnisse feiern wie früher den ersten Montag nach der Eurobike. Sie sind öffentlich, sie schmeicheln und hey, sie kosten nichts. Nur was passiert, wenn ausgerechnet diese Ergebnisse zur Blaupause für Marketingstrategien, Produkte und Kundenansprache werden? Dann glauben viele Brands tatsächlich, ihre Zielgruppe bestehe ausschließlich aus gut situierten Ü50-Männern, die noch nie einen Podcast gehört, aber fünf Helmlampen getestet haben. Und wo sind die Frauen? Ach, die. Die haben offenbar Wichtigeres zu tun, als seitenlange Umfragen in Fachmagazinen auszufüllen. Oder sie fühlen sich dort einfach nicht angesprochen.

Das mag daran liegen, dass die Sprache in vielen Magazinen klingt wie ein Stammtisch nach der Vereinsausfahrt oder die Inhalte oft tief im Tech-Sprech versinken, irgendwo zwischen Carbonfaser und Schaltlogik. Oder daran, dass Frauen sich nachgewiesenermaßen anders informieren als Männer. Nicht schlechter, nicht besser: anders! Vor allem durch Interaktion. Sei es live über Empfehlungen, Communitys oder digital über soziale Medien – also dort, wo Menschen miteinander sprechen und sich austauschen. Sie lesen die Zeitschriften erst gar nicht, wissen aber trotzdem, wie sie ihren Reifen wechseln.

Und genau hier wird’s heikel. Wenn Unternehmen diese Umfragen als »objektives« Feedback interpretieren, laufen sie schnurstracks in die Einbahnstraße. Die weibliche Zielgruppe – kaufkräftig, meinungsstark, loyal – bleibt auf der Strecke. Nicht, weil sie nicht existiert. Sondern, weil sie nie gefragt wurde. Oder schlimmer: nie gesehen.

Was jetzt? Vielleicht wäre es an der Zeit, auch mal die Menschen zu befragen, die nicht auf Fahrradmessen herumlaufen oder Fahrradmagazine lesen. Oder eine Umfrage zu starten, bei der man nicht erst ein Technikdiplom braucht. Hier geht es nicht um Verständnis, hier geht es um das Grundinteresse an bestimmten Spielarten. Vielleicht sollten Hersteller sich weniger fragen: »Wie komme ich ins Magazin?« und öfter: »Wen erreiche ich eigentlich NICHT?« Denn sonst bleibt es bei goldenen Pokalen in der Vitrine – und verpassten Chancen draußen auf der Straße.

Karla Sommer von Velokin und Dani Odesser von Dani O. Communication bringen gemeinsam mehr als 30 Jahre Berufserfahrung in der Branche mit.

Donnerstag um 06:00 von Karla Sommer und Dani Odesser
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