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Markt / E-Bike-Antriebe

Die Qual der Wahl

Wie viele E-Bike-Antriebe könnten Sie aus dem Stand aufzählen? 10? 20? Mehr? Mit etwas mehr Recherche haben wir über 70 verschiedene Antriebshersteller gezählt und erheben lieber keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Eine hohe Zahl an verschiedenen Anbietern scheint eine Spezialität der Fahrradbranche zu sein. In einem so stark wie sonst kaum irgendwo fragmentierten Markt findet sich diese Konstellation auch bei den E-Systemanbietern. Ebenso vielfältig sind die Lösungen, die sie dem Markt bieten.
Der »Big Boy« unter den Antrieben kommt seit Jahr und Tag von Bosch. Nach einer Phase totaler Marktbeherrschung und Marktanteilen von 80 % suchte die Branche verstärkt nach Alternativen. So galt bis vor zwei, drei Jahren die Schätzung, dass etwa 50 % der Räder mit E-Antrieben von Bosch ausgerüstet sind. Aktuell gehen die Schätzungen wieder von 60 % und vielleicht sogar mehr aus. Die Kombination von Markenvertrauen und -vertrautheit in Verbindung mit einem gut funktionierenden Servicenetzwerk überzeugt offensichtlich Kunden, Händler und Hersteller.
Nächster Verfolger und seit Jahren auf dem Vormarsch ist der Komponentenriese Shimano, der sich mit seinen aktuellen Produkten wahrlich nicht zu verstecken braucht. Die anfänglichen Probleme mit den ersten Antrieben sind nun schon lange überwunden, entsprechend gerne werden die Steps-Antriebe verbaut. Shimano zählt allein auf dem deutschen Markt knapp 100 Marken, die auf die eigenen Motoren vertrauen. Dennoch ist der Abstand zu Bosch noch erheblich.
Danach folgt das Feld der Verfolger, wahrscheinlich angeführt von Brose. Zusammen mit Yamaha, Fazua, Panasonic gehören sie zu dem guten Dutzend Antriebsherstellern, die hierzulande eine echte Marktbedeutung haben.

Heckmotor mit Rückenwind

Ergänzt wird diese Liste an Mittelmotorherstellern durch Anbieter, die auf einen Heckantrieb setzen. Mahle Ebikemotion, Bafang, Ansmann, Heinzmann und einige andere bieten diese Lösung, die optisch sehr unauffällig ist und daher gerne für E-Bikes genutzt wird, die leicht sein sollen und klassischen Fahrrädern zum Verwechseln ähnlich sehen. Da dieser E-Bike-Typus populär ist und die Technik dieser Antriebe robust, erlebt der Hinterradmotor einen zweiten Frühling. Zwischenzeitlich lautete die Prognose, dass sich der Mittelmotor komplett durchsetzt. Davon kann keine Rede mehr sein.
Selbst der totgesagte Frontmotor ist noch längst nicht verschwunden. Insbesondere im Verleihgeschäft wird diese wartungsfreundliche und günstige, aber weniger leistungsstarke Lösung inzwischen gerne verbaut. Es hat sich gezeigt, dass es dem Gelegenheitsnutzer beim Leihrad dann doch nicht auf technische Höchstleistung ankommt.

White Label

Deutlich häufiger geworden ist die Nutzung von bekannten E-Antrieben unter fremder Flagge. So greifen E-Bike-Hersteller inzwischen gerne auf die Kompetenz der Systemanbieter zurück, wollen aber nicht die Markennamen anderer Unternehmen am eigenen Rad lesen. Das »Markengewitter« am Fahrrad ist eine weitere Eigenheit, bei der andere Branchen Gänsehaut bekommen. Die bissig gestellte Frage »Von welchem Hersteller möchten Sie denn Ihr Bosch-Rad?« ist noch nicht vergessen. Große Hersteller wie Specialized oder kleinere Anbieter wie Coboc und VanMoof wollen die eigene Marken-Strahlkraft inszenieren, andere nutzen lieber umgekehrt den Glanz von Bosch, Shimano und Co. für sich. Insbesondere am Hinterrad wird gerne verschwiegen, von wem der Antrieb kommt. White-Label-Produkte sind nicht zusätzlich in der Liste aufgeführt.

Nachrüsten wird häufig angeboten

Auffällig ist an dieser Liste, dass es sehr viele Anbieter von Nachrüst-Antrieben auf dem Markt gibt. Für den Handel ist das Geschäft mit diesen Produkten weitgehend uninteressant aufgrund der entstehenden Haftungs- und Gewährleistungsfragen und auch sonst komplexen Situation. Nur wenige Anbieter legen sich wie Pendix ins Zeug, um Fachhändlern diese Produkte schmackhaft zu machen. Die wenigen Händler, die sich auf Nachrüstungen spezialisiert haben, haben ihrerseits einige wenige Favoriten. Daher darf man davon ausgehen, dass viele der Nachrüster ihr Geschäft direkt mit mehr oder weniger versierten Bastlern machen. In Deutschland dürfte dieser Markt vergleichsweise klein sein, in anderen Ländern scheint das mitunter anders zu sein.
Interessant wird die weitere Entwicklung in diesem für die Branche so wichtigen Bereich sein. Während sich etwa der E-Scooter-Markt in einem knappen Jahr massiv bereinigt und konsolidiert hat, ist dies für Antriebshersteller viel weniger der Fall. Zuletzt gab es mit Continental und Marquardt zwei prominente Aussteiger, die Gründe dafür haben aber weniger mit dem Bike-Business als mit den aktuellen Nöten bei den Automobilzulieferern zu tun. Der Großteil der Anbieter sucht nach wie vor seine Chancen am Markt. Es ist dennoch wahrscheinlich, dass die Zahl der Antriebslösungen in Zukunft weiter schrumpfen wird. Zuletzt gab es kaum noch neue Anbieter, bereits präsentierte Systeme wie Amprio sollen bald verfügbar sein. Der E-Antriebsmarkt ist aus den Startlöchern raus. Mal sehen, wo er hinläuft.

6. August 2020 von Daniel Hrkac
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