
Kolumne - Gegenwind
Die Sache mit den blauen Augen
... man ein- bis zweimal im Jahr sieht. Plaudert über die Jobsituation, nickt verständnisvoll, wenn es um Theorien zur Entwicklung der Industrie und des Verlagswesens geht, fragt ganz höflich, ob privat alles im Lot ist, und bleibt ansonsten dort, wo man eben hingehört: auf professionellem Smalltalk-Niveau.
Man kennt sich, aber nicht wirklich. Hat sich über die Jahre mal bei Redaktionsbesuchen, mal auf Events getroffen. Keine Nähe, keine Vertrautheit, keine persönliche Verbindung. Nur das freundliche Nebeneinander, das unsere Branche so gerne kultiviert.
Die Überraschung kommt einige Tage später, im Posteingang: »Schön war’s, mal wieder in deine unverschämt blauen Augen zu gucken und mit dir zu quatschen. Ich finde helle Augen so schön, leider hab ich so langweilige braune wie 80 Prozent der Weltbevölkerung.«
Gefolgt von einer sachlichen Bitte um eine Information. Moment. Die »unverschämt blauen Augen«?
Was auf den ersten Blick wie eine leicht tapsige, aber vermeintlich harmlose Floskel daherkommt, ist in Wirklichkeit eine Grenzüberschreitung. Eine dieser Situationen, in denen man sich innerlich die Luft aus dem Gesicht fächert und fragt: Ist das gerade wirklich passiert? Und wie reagiert man auf so etwas, ohne aus der Rolle zu fallen, ohne als humorlos zu gelten, ohne gleich die Sexismuskeule zu zücken, wie es dann gerne heißt?
Die unisono Einschätzung aller Frauen, denen wir die Situation geschildert haben, war, »man könne als Frau nur verlieren, wenn man darauf reagiert.« Oder ganz einfach: Man benennt es.
Denn was hier passiert ist, ist kein nettes Kompliment, sondern eine klassische Übergriffigkeit in digitaler Form. Eine Bemerkung über das Aussehen, körperbezogen, emotional aufgeladen, ohne beruflichen Kontext, ohne Einladung dazu. Und das vor dem sachlichen Hintergrund einer beruflichen Bitte.
Wer meint, das sei doch nur charmant gemeint gewesen, offenbart, wie wenig er verstanden hat. Denn ein professioneller Kontakt – kein Freund, kein Partner, kein langjähriger Vertrauter – hat keinen Anlass, in eine E-Mail körperliche Attribute einfließen zu lassen.
Der Satz wirkt nicht verbindlich, sondern anbiedernd. Er stellt keine Nähe her, sondern eine unangenehme Schieflage. Weil er aus dem beruflichen ein persönliches Verhältnis macht, das nie bestanden hat. Weil er eine Situation erzeugt, in der das Gegenüber reagieren muss, ohne sich wehren zu können. Und weil er suggeriert, dass die eigene Wahrnehmung, also die der blauen Augen, wichtiger sei als der eigentliche Grund des Kontakts.
Es geht hier nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern um professionelle Standards. Um Respekt. Um die Fähigkeit, berufliche Gespräche als solche zu führen, ohne sie mit privaten Fantasien anzureichern. Und um das Bewusstsein, dass solche Sätze nicht nur unangenehm, sondern strukturell wirksam sind.
Denn sie verlagern die berufliche Rolle der Empfängerin auf eine private Ebene. Sie reduzieren auf das Äußere, nicht auf die Expertise. Und sie führen dazu, dass Frauen, mal wieder, nicht für das gesehen werden, was sie tun, sondern dafür, wie sie aussehen. Oder würde ein Mann einem männlichen Kollegen diese E-Mail schreiben?
Karla Sommer von Velokin und Dani Odesser von Dani O. Communication bringen gemeinsam mehr als 30 Jahre Berufserfahrung in der Branche mit.
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