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Leserbrief

„Die Strukturen werden unwiderruflich zerstört sein“

Direktvertrieb ist ein Problem der Branche. Händler Bernd Zingelmann sieht aber deutlich größere Probleme auf den Fachhandel zurollen, wie er in seinem Leserbrief festhält. Fairness, Finanzen, Forderungen – wenn die Branche nicht aufpasst, drohe eine rauhe Entwicklung, die alle Seiten schädigt.

Bernd Zingelmann fragt sich, ob 22/23 das große Sterben beginnen wird. In seinem Leserbrief stellt er die Gründe dar, welche Umstände gerade für eine solche Entwicklung sprechen:

"Jeden Tag neue Hiobsbotschaften der Fahrradhersteller mit dem Inhalt, dass die Liefertermine nicht gehalten werden können. Es ist schon klar, dass kein Hersteller freiwillig keine Räder liefert.

Aber, das was sich da gerade am Horizont zusammenbraut, kann den Handel der Branche nachhaltig verändern. Wer sich mal die Konditionen der letzten 4 Jahre anschaut, sollte eigentlich feststellen, dass er weniger Marge im EK hat. Es werden Vororder mit Mengenbonus vereinbart, die von den Herstellern dann einseitig gekürzt werden. Pech gehabt. Es werden deutlich kürzere Zahlungsziele aufgerufen, mit dem Versprechen, zu den festgelegten Terminen zu liefern. Die Termine werden um bis zu einem Jahr verschoben, zum Teil in den Winter. Über die Zahlungsziele will der Hersteller nicht sprechen.

Testräder werden gar nicht und der Rest der Fahrräder werden so spät geliefert, dass ein Überschneiden mit der Folgeorder 23 unausweichlich ist. Über ein faires Abrechnen von Garantie und Gewährleistungen ganz zu schweigen. Wie soll der Handel sowohl monetär als auch logistisch dieses Problem bewältigen? In den letzten Jahren sind die Anforderungen an den Handel massiv gewachsen.
Wer auf der Höhe der Zeit bleiben will, (auch durch Forderungen der Hersteller) der muss investieren oder hat investiert.

Ob Werkstatt, Digitalisierung, Personal, Immobilie oder Betriebskosten, alles geht durch die Decke. Die Fahrräder werden immer teurer, ohne dass der Handel im Verhältnis davon profitiert. Der schleichende Margenverfall ist unübersehbar. Aus bekannten Gründen kann, das durch höhere Stückzahlen nicht kompensiert werden.

Wenn sich hier nicht umgehend die Hersteller als wirkliche Partner präsentieren, wird es ab Spätherbst, aus der Not des Handels und der Hersteller heraus, einen temporären Preisverfall für die Branche geben.

Der nötige Cashflow kann bei vielen zum Winter nicht aufgebaut werden, weil einfach keine Ware da ist. Also muss schnell über den Preis verkauft werden. Selbst wenn das funktioniert, werden wir den Geist nicht wieder in die Flasche bekommen. Der Kunde wird nicht mehr bereit sein, den regulären Preis zu zahlen. Selbst bei einer Verknappung des Angebots.

Die Strukturen werden dann zum Teil unwiderruflich zerstört sein und dann auch nachhaltig die Hersteller treffen. Hier geht es dann nicht um Insolvenzen durch Überschuldung, sondern auch um die Berücksichtigung des Nachfolgebedarfs in der Branche. Es wird einige geben, die sich das nicht antun, und wenn es keinen großen Händler / Kette gibt, der übernimmt, den Betrieb einfach zu schließen. Es ist auch sehr beängstigend, dass es bei einigen Herstellern diese Erkenntnis schon gibt, aber hinter vorgehaltener Hand geflüstert wird: mal schauen, wer das überlebt. Das ist mehr als bitter.

Fazit: Wahrscheinlich sind die Pfade für alternative Vertriebswege schon längst geebnet, ob eigene Shops, große Vertriebler aus dem Automobilhandel oder neue Abnehmer im europäischen Ausland werden den Fahrradherstellern schon die Ware abnehmen. Der Handel in seiner jetzigen Form hat seine Schuldigkeit getan und wer hier ins Straucheln kommt, hat eben Pech gehabt. Die Hersteller sollten aber bedenken, dass das, was nach dem Verkauf der Ware kommt, einen enorm großen Stellenwert hat und bedient werden muss.

Es bleibt dem Handel nur zu wünschen, dass die Hersteller, ohne dass jeder einzelne Händler vorstellig wird, rechtzeitig den Dialog suchen und im eigenen Interesse Hilfestellung für diese besondere Situation anbieten."

24. Februar 2022 von Leserbrief
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