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Recht - Haftungsfragen bei Lieferverzögerungen

Die Ware kommt nicht: Was kann man tun?

Die große Nachfrage nach Fahrrädern seit Corona ist ein Segen für die Branche, die damit einhergehenden Lieferengpässe aber häufig ein großes Ärgernis. So mancher Händler und auch Hersteller wird sich fragen, welche Möglichkeiten er hat, vertraglich eingegangene Verpflichtungen auch rechtlich einzufordern. Rechtsanwalt Johannes Brand schlüsselt die Thematik auf.

Die Corona-Pandemie hat dem Fahrrad einen Boom beschert. Diese Entwicklung schuf eigene Probleme. Räder und Zubehör sind nach wie vor vielfach ausverkauft und Hersteller wie Großhändler in Lieferengpässe geraten, die auch die Händler treffen. Hinzu kamen grundsätzliche, pandemiebedingte Transportschwierigkeiten.
Daraus kann Streit resultieren, etwa wenn bereits georderte Ware zu spät oder gar nicht kommt. Die Situationen, dass Händlerinnen und Händler mehr verkaufen könnten, wenn ihnen denn die Ware zur Verfügung stünde, zugesagte Liefertermine platzen, Händler oder Hersteller die Order zurückziehen wollen, sind an dieser Stelle Diskussions- und Streitpunkte.
Wie sollten Verträge gestaltet sein, damit sie am Ende vor Gericht halten? Worauf müssen Händler auf Käuferseite achten? Worauf müssen Hersteller und Großhändler auf Verkäuferseite achten? Wie wichtig eine saubere vertragliche Grundlage und ein Grundverständnis für die rechtlichen Mechanismen ist, soll hier ebenfalls ausgeführt werden.

Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist …

Wenn die Ware verspätet oder gar nicht kommt, helfen Ratschläge à la »Hättest Du doch bloß …« wenig. Hersteller oder Handel haben weder den Boom noch ausverkaufte Lager noch pandemiebedingte Transportschwierigkeiten vorhersehen können. Üblicherweise wird ein solcher Streit in einer Aufarbeitung der eigenen rechtlichen Lage, einer außergerichtlichen Verhandlung und schlimmstenfalls in einem Gerichtsverfahren entschieden werden.

Recht haben …

Wer – gerichtlich oder außergerichtlich – verhandeln will, muss seine Position kennen. Aber wer haftet denn nun für die Lieferverzögerungen in der Fahrradbranche? Händler? Hersteller? Die juristisch korrekte Antwort auf diese einfache, aber vielschichtige Frage lautet: Es kommt drauf an. Es gibt kaum ein Rechtsgebiet, das in seiner Komplexität so unterschätzt wird wie das Kaufrecht. Ware, Kaufpreis, Vertragsparteien – fertig ist der Liefervertrag. So lautet eine gängige Sichtweise. Der Teufel steckt aber im Detail und die Detailfragen entscheiden über die Ansprüche, wenn die Lieferung zu spät oder gar nicht kommt.
Vor allem unterscheiden sich nationale von internationalen Fällen. Bleiben wir zunächst bei den rein nationalen Fällen. Das sind auch solche, in denen der Hersteller oder Großhändler die Ware erst aus dem Ausland beschaffen muss, aber beide Vertragsparteien deutsche Unternehmen sind. Da es sich bei den Lieferbeziehungen um einfache Kaufverträge handelt, ergeben sich die Regelungen aus Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) und Handelsgesetzbuch (HGB). Sie geben dem Händler zwei Möglichkeiten, wenn Hersteller oder Großhändler nicht rechtzeitig liefern:

(1) Rücktritt und/oder

(2) Schadensersatz.

Für den Rücktritt wird der Händler meistens eine Nachfrist setzen müssen. Nur bei einem Fixhandelskauf ist eine solche Nachfrist entbehrlich. Das ist der Fall, wenn beide Seiten klargestellt haben, dass der benannte Liefertermin nicht reine Fälligkeit ist, sondern so wesentlich, dass danach die Durchführung des Geschäftes nicht mehr von Interesse ist. Bei Fahrrädern oder Zubehör ist das selten der Fall. Unter Umständen haben die Händler das aber vertraglich durchsetzen können. Dann kann der Händler mit Ablauf der Frist zurücktreten.


Der Teufel steckt im Detail, weswegen Händler und Hersteller in Vertragsfragen große Sorgfalt walten lassen müssen.

Der Schadensersatz kann in entgangenem Gewinn wartender, dann aber doch abspringender Kunden bestehen. Der Händler muss aber die Höhe des Schadens nachweisen. Außerdem hat er eine Obliegenheit zur Schadensminderung, muss also nachweisen, dass er den Kundenwunsch nicht anderweitig bedienen konnte, etwa durch andere Ware oder ein anderes Fahrrad.
Letztlich wird ein Schadensersatzanspruch aber am fehlenden Verschulden des Verkäufers scheitern. Denn das fordert das deutsche Recht. Der Verkäufer muss die Verzögerung fahrlässig oder vorsätzlich verursacht haben. Das ist weder bei der Suez-Kanal-Blockade noch bei pandemiebedingten Transportproblemen der Fall.
Die Schilderungen lassen sich mühelos auf Radhersteller übertragen, die auf Teile von Zulieferern warten. Auch dann gilt: Rücktritt nach Nachfristsetzung möglich, Schadensersatz eher ausgeschlossen.
Streit tritt häufig auch bei nachträglichen Preiserhöhungen auf. Grundsätzlich gilt: pacta sunt servanda – Verträge sind zu erfüllen. War die Vororder verbindlich, ist selten Platz für eine nachträgliche Preisanpassung. Unter bestimmten Umständen können die pandemiebedingt gestiegenen Lieferkosten für Anpassungen aufseiten der Großhändler und Hersteller führen. Das ist aber sehr abhängig von der konkreten Vertragsgestaltung.


Nachträgliche Preiserhöhungen? Verspätete Lieferungen? Diese Punkte sorgen regelmäßig für Ärger und sollten im Kaufvertrag geregelt sein.

In internationalen Fällen, insbesondere bei Direktbestellungen bei Herstellern in Frankreich, Italien oder den USA, wird es komplizierter. Dann ist zu ermitteln, welches nationale Recht die Fragen zu Rücktritt und Schadensersatz beantwortet. Das gilt spiegelbildlich auch für den Großhändler, der beim Hersteller im Ausland bestellt. Die Konstellationen werden hier zu komplex, um einheitliche Antworten zu geben. Es kommt häufig auf die Rechtswahl an. Die ergibt sich meistens aus dem Vertrag oder den AGB. Aber die müssen wirksam einbezogen werden. In den unterschiedlichen Rechtsordnungen gibt es große Unterschiede hinsichtlich Rücktritt und Schadensersatz.
Das UN-Kaufrecht, eine Art weltweites Einheitskaufrecht, was häufig Anwendung findet, ist beim Schadensersatz deutlich großzügiger als das deutsche Recht. Der Verkäufer muss die unterbliebene Lieferung nicht verschuldet haben, damit der Käufer Anspruch auf Schadensersatz, zum Beispiel entgangenen Gewinn, hat. Allerdings scheidet der Anspruch bei höherer Gewalt aus. Wesentlich für die höhere Gewalt ist die Unvorhersehbarkeit. 15 Monate nach Pandemieausbruch sind Transportprobleme nicht mehr unvorhersehbar, weshalb die Einwendung seitens der Lieferanten schwierig wird.
Während juristische Laien in nationalen Sachverhalten häufig mit dem »gesunden Menschenverstand« gar nicht so falsch liegen, ist eine Beurteilung internationaler Lieferbeziehungen ohne Fachkenntnis kaum abschließend möglich. Zu komplex ist das Zusammenspiel unterschiedlicher Rechtsordnungen, völkerrechtlicher Verträge und des EU-Rechts sowie des Internationalen Zivilprozessrechts.

… verhandeln …

Häufig bietet es sich daher an, eine kommerzielle Einigung zu finden. Die Fahrradbranche ist – trotz aller Wachstumszahlen – immer noch klein und ist eher gut miteinander vernetzt. Alle Parteien wollen sich gute Lieferbeziehungen, die sie über Jahre hinweg erarbeitet haben, nicht durch ein paar Lieferschwierigkeiten zerstören lassen.
Beauftragt eine der Parteien dann einen Anwalt, sollte dieser das schnell erkennen und mit Fingerspitzengefühl an die Verhandlungen gehen. Hart in der Sache, aber sanft zur Person. Das geht nicht mit dem Vorschlaghammer. Es geht auch nicht ohne Kenntnis der Sache, also der rechtlichen Situation, Ansprüche und Erfolgsaussichten vor Gericht. Bestenfalls schließen die Parteien einen sauber ausformulierten Vergleich, denn nur so lassen sich Folgestreitigkeiten vermeiden.

… und Recht bekommen.

Manchmal scheitern die außergerichtlichen Verhandlungen. Wenn es nicht mehr anders geht, geht es vor Gericht. Ein Gerichtsverfahren kostet Zeit und Geld. Inklusive der Berufungsinstanz kann ein Verfahren zwei oder drei Jahre dauern und beispielsweise bei einem Streitwert von EUR 50.000,00 grob EUR 20.000,00 an Kosten verschlingen.
Bei Fällen mit Auslandsbezug wird es nicht nur komplexer, sondern auch teurer. Wenn der Rechtsstreit im Ausland stattfindet, müssen Anwälte vor Ort eingeschaltet werden. Bei Prozessen kommen gegebenenfalls Übersetzungs- und Zustellungskosten hinzu. Es lohnt sich also, rechtzeitig vor der Eskalation Rat einzuholen, Ansprüche prüfen zu lassen und sich bei Verhandlungen vertreten oder zumindest beraten zu lassen. Das Kind mag in den Brunnen gefallen sein, aber es ist noch zu retten. Schon die hohen Kosten lassen es angeraten sein, nicht voreilig zu klagen.

Und was lernt man daraus?

Das Wichtigste einer gelungenen Lieferbeziehung ist Vertrauen, das Zweitwichtigste sind klare Regeln. Für das Vertrauen ist ein partnerschaftliches Handeln beider Parteien nötig, für klare Regeln sorgen sorgfältig gestaltete Lieferverträge und Orderprozesse. Um in der obigen Metapher zu bleiben, sorgen diese dafür, dass das Kind auch zukünftig nicht in den Brunnen fällt.
Idealerweise verfügen Einkaufs- und Verkaufsseite über eigene Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) und verwenden diese auch. Idealerweise deshalb, weil sie sich dann zumindest einmal in der Vergangenheit Gedanken über die eigenen Präferenzen bei Einkauf und Verkauf gemacht haben und definiert haben, innerhalb welcher Fristen sie liefern wollen, wann gezahlt und wie die Zahlung (beispielsweise durch Eigentumsvorbehalt) gesichert wird.
Erfahrungsgemäß greifen viele Unternehmer dafür auf Muster aus dem Internet zurück. Gerade im B2C-Bereich hat das grundsätzlich seine Berechtigung. Es gibt Anbieter, die kostenlos oder günstig AGB im Abo anbieten, die regelmäßig aktualisiert werden. Das ist im B2C-Bereich ein guter Service, bei dem die AGB »nach Maß« vom Anwalt preislich, jedenfalls in der Masse, kaum mithalten kön-nen.
Das ist im B2B-Bereich anders. Gegenüber Verbrauchern gilt häufig zwingendes Recht. AGB sind insofern leicht zu stricken und Zweifelsfragen entscheiden die Gerichte. Das lässt sich fortlaufend aktualisieren. Bei B2B-Konstellationen besteht viel mehr Gestaltungsspielraum. Gerade international ist durch die Rechtswahl und optionale AGB-Klauseln viel zu erreichen. Je höher der Warenwert, desto eher werden Klauseln unter Unternehmen auch verhandelt. Lieferfristen, Rücktrittsrechte, Schadensersatzansprüche, das steht alles zur Disposition und wird verhandelt. Haben Sie dagegen jemals einen Verbraucher
die AGB verhandeln sehen?
Und dann ist die saubere Anwendung der AGB wichtig, gerade im internationalen Bereich. Wussten Sie
beispielsweise, dass die reine Bezugnahme auf AGB in Bestellung oder Bestätigung grenzüberschreitend nicht ausreicht? Daran scheitern häufig auch die Rechtswahl oder der Gerichtsstand. Plötzlich wird der Käufer dann vor einem Gericht im Ausland verklagt.
Haben Sie außerdem jemals vom »battle of the forms« gehört? Dabei geht es um den Kampf der widerstreitenden AGB. Beide Seiten beziehen sich in Auftrag und Auftragsbestätigung auf ihre eigenen AGB. Welche gelten nun? Das ist wiederum abhängig von den beteiligten Nationen. Jedes Land regelt das anders. Häufig gilt die sogenannte »last shot rule«. Es gelten also die letzten AGB, auf die Bezug genommen wird. Die Vertragsausführung gilt als Einverständnis.
Die »richtigen« AGB gibt es im B2B-Geschäft nicht, sondern nur die »jeweils richtigen«, die das bestmögliche Verhandlungsergebnis reflektieren. Ohne Schulung des Einkaufs oder Verkaufs und richtigen Einsatz der AGB im Einzelfall (vollständige Übersendung, Widerspruch bei »gegnerischen« AGB) lässt sich ein rechtssicherer Einkauf oder Verkauf nicht gewährleisten. Gleichermaßen sollten Einkauf und Verkauf ein Grundverständnis der Incoterms haben und bei Bestellungen anwenden können. Eine Incoterms-Klausel ist zum Beispiel das bekannte »EXW« – »ex works«, also die Abholverpflichtung des Käufers und damit die verkäuferfreundlichste Klausel. Der Einkauf muss nicht nur den Preis, sondern auch die Lieferbedingungen rechtssicher verhandeln können oder sich Hilfe holen.
An der rechtssicheren Gestaltung von Orderprozessen sollten insbesondere Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer ein Interesse haben. Sie müssen selbstverständlich nicht jede einzelne Bestellung prüfen. Aber sie dürfen nicht sehenden Auges Einkauf und Verkauf ohne Unterstützung bei der rechtssicheren Gestaltung von Lieferbeziehungen lassen. Dazu gehört die professionelle Ausgestaltung von AGB und die Schulung des Einkaufs sowie Verkaufs.
Letztlich soll eine rechtsichere Gestaltung der Prozesse aber auch gewährleisten, dass sich alle Seiten um das kümmern, was sie gut können: Fahrräder und alles, was dazugehört, mit Spaß und Freude zu verkaufen. Streit gehört dazu, lässt sich aber durch saubere Orderprozesse häufig vermeiden.

8. Juli 2021 von Johannes Brand
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