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Segmente - Falträder

Entfaltung einer neuen Mobilität

Das Segment der Falträder hat seine klapprigen Ursprünge bereits im letzten Jahrhundert hinter sich gelassen. Mit neuen Mobilitätsbedürfnissen und -gewohnheiten gibt es spannende Entwicklungen für das Segment. Steht den »Faltern« eine zweite Metamorphose bevor?

Es ist ein alter Gag in der Fahrradwelt, zu fragen, ob das Wort »Klapprad« vom »Klappen« oder vom »Klappern« kommt. Vor allem deswegen wird zumindest von den Herstellern der Begriff »Faltrad« heute bevorzugt. »Das Wort Klapprad ist stark geprägt aus den 70er-Jahren, als das Auto ein Fortbewegungsmittel war und das Fahrrad ein Spielzeug. Da kam das Klapprad auf den Markt, um in den Kofferraum des Autos zu passen, damit man am Wochenende raus ins Grüne fahren und dort seine Zwei-Kilometer-Tour machen konnte«, erklärt Markus Riese, Geschäftsführer von Riese & Müller. Die Anfänge des Hersteller, der heute in erster Linie für E-Bikes bekannt ist, liegen bei einem Rad, das in Abgrenzung zu den Freizeiträdern des 20. Jahrhunderts seit 1995 als Faltrad Birdy vermarktet wird. Der Ansatz des Modells geht nicht vom Auto aus. Das Birdy soll ein vollwertiges Fahrrad sein, das man zusätzlich praktisch mitnehmen kann. Auch Valentin Vodev, Geschäftsführer des Österreicher Herstellers Vello sieht es als notwendig an, sich vom ersten Entwicklungsstadium der faltbaren Fahrräder abzugrenzen. »Ein Klapprad klappert und unser Faltrad klappert nicht.« Dennoch wolle man online auch diejenigen ansprechen, die das Netz eben doch nach Klapprädern durchforsten. Und das mit gutem Grund, wie eine Google-Trends-Recherche zeigt. In den letzten fünf Jahren wurde der Begriff Klapprad 70 Prozent häufiger gesucht als das Wort Faltrad. Und die Entwicklung in den Google-Suchen geht eher in Richtung des historischen Begriffs. In den letzten zwölf Monaten lagen die Suchanfragen für Klapprad fast doppelt so hoch wie für Faltrad.

Möglichkeiten, die normale Räder nicht bieten

Sehr verbreitet sind die Räder mit dem Namensproblem unter pendelnden Menschen. Neben den verbreiteten Nutzungsszenarien gibt es aber auch einige Nebenschauplätze, auf denen die Räder ihre Stärken ausspielen.

Vielseitigkeit ohne Einschränkungen bei der Nutzbarkeit, das sind die Eigenschaften, die die Fans des Faltrades begeistern.

»Die Hauptgruppe sind urbane Pendler. Aber auch wenn manche über die Camper und die Jacht-Besitzer lachen, sind sie nach wie vor eine nicht zu vernachlässigende Gruppe. Es sind etwas ältere Leute, die ein bisschen mehr Geld haben und dann auch gleich zwei Stück kaufen«, so Pascal Storer, Marketingleiter bei Vello. Mit Reisefalträdern begann die Entstehungsgeschichte der Wiener Firma im Jahr 2015. Valentin Vodev baute drei Prototypen für eine Reise nach Kuba, von der er begeistert berichtet. »Du kommst in Havanna mit einem Bus an, steigst aus, nimmst die Räder und dann zischst du in einer Stadt, wo du noch nie warst, mit deinem eigenen Rad davon. Das ist einfach so geil.«
Markus Riese bestätigt die Vorzüge der Räder, auch bei ungewöhnlicheren Reisen. »Ich kenne jemanden, der hat mit dem Birdy eine Kombinationstour gemacht aus Pack-Raft und Birdy. Zu Land hat er sein Boot auf dem Birdy und wenn er zum Fluss kommt, pumpt er sein Boot auf und lädt das Birdy auf. Das sind natürlich Möglichkeiten, die man mit einem normalen Rad überhaupt nicht hat.«
Nicht für alle Nutzer und Nutzerinnen ist das kompakte Faltmaß der ausschlaggebende Punkt, warum sie ein Faltrad kaufen. Manche Kunden und Kundinnen benutzen das Birdy als Familienrad. Weil es leicht ist und der Verstellbereich der Sattelstütze groß, können sehr unterschiedliche Personen das Fahrrad fahren. Falträder nicht zu falten, mag zunächst widersprüchlich klingen. Die Hersteller wissen aber, dass die kleinrädrigen Fahrräder auch deshalb in der Stadt genutzt werden, weil sie wendig sind und schnell beschleunigt werden können.

Ein leichtes E-Bike unter 10 kg Gewicht: auch das lässt sich mit einem Faltrad bewerkstelligen, wie Vello neu zeigt.

Die Transportkapazitäten mancher Modelle ermöglichen sogar Bikepacking-Abenteuer. Damit Standardtaschen nicht der Faltbewegung im Weg liegen, bietet Brompton eigene Taschen an, die direkt am Rahmen befestigt werden. »Taschen sind für uns die Verlängerung des Bikes«, meint Jan Brinkmann, Marketing-Manager für die DACH-Region beim Londoner Hersteller.

Andere Länder, anderes Image

Spezielles Faltradzubehör hat vor allem in asiatischen Ländern Hochkonjunktur. In Hongkong oder Singapur sind Falträder nicht nur ein praktisches, sondern ein populäres Lifestyle-Produkt. In den meist eher kleinen Wohneinheiten und Fahrstühlen spielen Falträder alle Trümpfe aus. Um das Birdy hat sich eine kleine Tuning-Kultur entwickelt, von Menschen, die mit dem Faltrad Radsport betreiben. Sie verbauen Aero-Felgen und -Lenker oder Titanschrauben. Auch Falträder von Tern, vor allem das 26-Zoll-Modell, kommen im sportlichen Bereich zum Einsatz, wie Jimmy Riddle, Produktmanager für Tern bei Hartje berichtet.
Die andere Wahrnehmung von Falträdern im asiatischen Raum spiegelt sich auch in den anderen wichtigen Märkten wider. Für Vello spielen neben Österreich, Deutschland und Frankreich vor allem Singapur, Thailand, Hongkong und Südkorea eine große Rolle. Brompton nennt neben einigen europäischen Ländern auch die USA, Singapur, Indonesien und China. Bei Dahon sieht man neben Europa, Südostasien und den USA auch Japan als Schlüsselmarkt.
Auch wenn das Standing des Faltrads in Europa noch ausbaufähig ist, irrelevant ist das Segment nicht. Die Entwicklung des Faltradmarkts entspreche etwa der des gesamten Fahrradmarkts, beobachtet Jan Brinkmann von Brompton. Die Firma verkauft derzeit knapp 100.000 Räder pro Jahr und blickt optimistisch in die Zukunft. Vor einigen Wochen gab Brompton den Bauplan eines neuen Werks im Londoner Raum bekannt. In der futuristisch anmutenden Fabrik sollen ab 2027 dann 200.000 Räder pro Jahr entstehen.
»Der Stellenwert von Falträdern kommt ein bisschen aus der Nische heraus. Wir sehen das auch an den Verkaufszahlen«, sagt Valentin Vodev von Vello. Die noch vergleichsweise junge Firma will ihre Produktionszahlen von 5000 Rädern im letzten Jahr in diesem Jahr verdoppeln.

»Der Stellenwert von Falträdern kommt ein bisschen aus der Nische heraus.«

Valentin Vodev, Vello

Zu den ganz großen Gewinnern der Pandemie scheint die Fahrradgattung aber nicht zu gehören. »Öffentliche Verkehrsmittel wollten viele Menschen vermeiden, aufgrund der Ansteckungsgefahr. Dennoch verzeichnete der Markt Konstanz bis leichtes Wachstum«, stellt Jimmy Riddle für Tern fest. Die großen Wachstumssprünge waren anderen Segmenten vorbehalten.
Dennoch erwarten Analysten insbesondere global betrachtet eine wachstumsgeprägte Zukunft des Segments. Eine Marktanalyse von Fortune Business Insights prognostiziert, dass der Markt von 820 Millionen US-Dollar im Jahr 2021 auf 1,61 Milliarden in 2028 anwachsen soll.

Zu groß für den Zug?

Damit dieses Wachstum gelingen kann, müssen die Regularien für Falträder passen. Bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) dürfen Falträder bis zum Faltmaß von 90 cm Breite x 60 cm Höhe x 40 cm Tiefe in allen Zügen umsonst mitfahren. In Nahverkehrszügen und gekennzeichneten Bereichen der Railjet-Züge dürfen auch Falträder mitfahren, die 20 Zentimeter breiter und 20 Zentimeter höher sind. In den Schweizer Bundesbahnen und den Zügen der Deutschen Bahn gibt es kein festgelegtes Faltmaß.
Valentin Vodev setzt sich mit Vello für größere Faltmaße ein. Die eigenen Räder passen zwar ins ÖBB-Maß, aber zu enge und verschiedene Regularien könnten der Branche schaden. Sie stiften Verwirrung und schrecken die Menschen ab, weil sie sich vor einer Reise über die bei verschiedenen Verkehrsträgern geltenden Bestimmungen informieren müssen. »Es ist wie bei den Corona-Regeln irgendwann. Es schafft Unsicherheit. Deshalb finde ich es in Deutschland sehr gut, dass es einfach nur faltbar sein muss«, so Vodev.

Neue Mobilität als Zielgruppe

Nicht nur bei den Gepäckabteilen der Züge hat sich das Rechteck als Standardform von Gepäck durchgesetzt. Damit sie dort Platz finden, bieten die meisten Falträder zusammengeklappt ein weitgehend rechteckiges Profil. Das kommt auch Händlern zugute, die die Räder, vor allem wenn sie noch in handlichen Kartons verpackt sind, gut lagern und stapeln können. Das Faltrad ist ein Lageristentraum und kommt meist fertig montiert an. Hinzu kommt, dass es zumindest aus Herstellersicht das Händlersortiment erst richtig komplettiert. »Für gewisse Anwendungen gibt es keine Alternative zum Faltrad«, sagt Markus Riese. Wenn man für jeden Kunden und jede Kundin ein Produkt im Angebot haben möchte, dann gehört also auch das Faltrad dazu. Riese attestiert dem Produkt, dass es eine besondere Beratungsqualität braucht. Die Kundschaft wolle die Vor- und Nachteile der Ausstattungslinien verstehen. Begeisterung für das Produkt lasse sich außerdem besser im persönlichen Test vermitteln.
Die grundsätzliche Nachfrage nach neuer Mobilität beweist auch die Popularität von E-Kickscootern und Leihrädern in Städten. Diese dienen als Ergänzung für Autofahrten, aber vor allem für den öffentlichen Nahverkehr. Auch Kompakträder sind ein Zeichen neuer Bedürfnisse, da die Nutzer und Nutzerinnen sie in enge Fahrradkeller oder die eigene Wohnung tragen können.

Was sonst ein Problem ist, ist die Kernkompetenz von Falträdern: die Mitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Der Londoner Hersteller Brompton reagiert auf diese neuen Entwicklungen, und bietet mit der Tochterfirma Bike Hire Möglichkeiten zum Leihen und Testen an, anstatt sich von ihnen in die Zange nehmen zu lassen. »Da sind wir einfach ein Teil der Mobilitätslösung der Zukunft mit unserem Rad«, sagt Jan Brinkmann von Brompton. An verschiedenen Bahnhöfen im Vereinigten Königreich können Kunden und Kundinnen Falträder aus Automaten ausleihen. »Für mich geht das bis zu einem bestimmten Punkt, bei dem die Kosten des Leihens an die Kosten einer Neuanschaffung herankommen«, so Brinkmann. Gerade hat der Hersteller auch ein Pilotprojekt mit der Deutschen Bahn und dem Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart ins Leben gerufen. Für 29 Euro im Monat bekommt man zum Jahresabo ein Brompton zur Verfügung gestellt. Nach Ablauf der 12 Monate gibt es einen Rabatt beim Kauf eines Faltrads.
Markus Riese sieht ebenfalls die andere Seite der Mobilitätsentwicklungen. Die Infrastruktur wird besser und normale Fahrräder lassen sich einfacher am Auto oder im Zug transportieren. Auch Sharing-Systeme sorgen dafür, dass sich die Notwendigkeit für ein Faltrad für viele Leute reduziert. Bei Dahon glaubt man an die Relevanz privater Räder. »Weil Sharing-Bikes hauptsächlich fürs Pendeln genutzt werden, legen sie kein großes Augenmerk auf die Performance. Private Räder erfüllen auch kulturelle Aspekte, zusätzlich zu den grundlegendsten Pendelfunktionen«, so Marketingleiterin Tina Yan. Viele Menschen dürften Gefallen daran finden, auf ihrem eigenen Rad zu sitzen und dieses ohne Extra-Ticket schnell und komfortabel verstaut zu bekommen.
Damit das gelingt, ist die Performance des eigentlichen Faltmechanismus ausschlaggebend. Von diesem erwartet die Kundschaft, dass er schnell, unkompliziert und reibungslos funktioniert. Ist das Rad dann zusammengefaltet, muss es rollbar sein und stabil aufrecht stehen können. Die Räder von Vello setzen auf einen magnetischen Faltmechanismus für das Hinterrad. Der Hauptrahmen hat keine Scharniere, sondern besteht aus einem Stück. Das ist eher die Ausnahme, die meisten Modelle, etwa von Tern oder Dahon haben einen in der Mitte faltbaren Rahmen.

Elektrisierende Zukunft

Für die Performance kann auch ein elektrischer Antrieb vorteilhaft sein. An der Frage, ob den ein Faltrad braucht, scheiden sich die Geister. Ein elektrisches Birdy wurde gegen Ende der 2000er für einige Jahre verkauft. Aufgrund fehlender Nachfrage stellte Riese & Müller die Produktion aber ein. Auch bei Brompton weiß man, dass die Integration eines Motors in den Faltmechanismus herausfordernd ist. Aber: Ein Viertel der Brompton-Verkäufe sind inzwischen elektrisch unterstützt.
2017 brachte Vello mit dem Bike+ das erste elektrische Faltrad mit Rekuperation auf den Markt. Das Rad kann, entweder völlig automatisch oder durch Rückwärtstreten aktiviert, die Fahrt verlangsamen und die entnommene Energie dem Akku zuführen. In London präsentierten die Österreicher Ende April 2022 zudem das mit 9,9 Kilogramm leichteste Elektro-Faltrad der Welt.
Dass andere Hersteller den Schritt zur Rekuperation nicht gehen, führt Valentin Vodev darauf zurück, dass sie Vello nicht nachahmen wollen. »Zumindest in der Faltradbranche ist es so: Du nimmst nicht das, was von der Stange ist, so wie einen Bosch-Motor, sondern jeder macht seine eigenen, spezifischen, maßgeschneiderten Systeme.«
In Zeiten von Lieferengpässen kann der große Anteil nicht standardisierter Teile auch zum Verhängnis werden, meint Jimmy Riddle. »Das ist eher ein Nachteil, weil die Lieferanten so zugeschüttet sind mit Aufträgen, dass sie schnelle Bestellungen gar nicht umsetzen können.« Der Tern-Zuständige gibt zwar keine genauen Anteile an, verrät aber, dass E-Bikes unter den Falträdern der Marke eine sehr wichtige Rolle spielen. Dahon rechnet damit, dass die Industrie für elektrische Falträder in Europa deutlich wachsen wird.
Dass die Nachfrage nach elektrischen Falträdern da ist, lässt vermuten, dass sich ihre Nutzungsradien und das Potenzial vermiedener Pkw-Fahrten vergrößern dürften. Gerade bei den aktuellen Kraftstoffpreisen könnte die Nachfrage weiter steigen. Ob Falträdern nun eine Metamorphose im Zentrum einer neuen Mobilität bevorsteht, lässt sich nur bedingt prognostizieren. An mangelndem Selbstbewusstsein der Hersteller wird es nicht scheitern. Das verstaubte Bild der klapprigen Räder aus vergangenen Zeiten haben sie schon längst korrigiert.

5. Mai 2022 von Sebastian Gengenbach

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