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Umfrage:

Fahrrad hat Potenzial für betriebliche Mobilität

Beruflich bedingte Mobilität macht mit 41 Prozent (Mobilität in Deutschland 2023) den Löwenanteil der von den Deutschen zurückgelegten Personenkilometer aus. Vor allem für die kürzeren dieser Wege können Fahrräder und E-Bikes noch viel mehr leisten. Wir haben sechs Expertinnen und Experten gefragt: „Wo sehen Sie ungehobenes Potenzial für das Fahrrad in der betrieblichen Mobilität und wie lässt sich dieses Potenzial erschließen?“

Carina Heinz, Referentin Deutsches Institut für Urbanistik:

Aus kommunaler Sicht liegt im Einsatz von Fahrrädern und insbesondere Lastenrädern in der betrieblichen Mobilität ein erhebliches ungenutztes Potenzial. Viele innerstädtische Fahrten, die heute mit Pkw oder Kleintransportern durchgeführt werden, könnten effizienter, kostengünstiger und umweltfreundlicher mit dem Rad erledigt werden. Davon profitieren nicht nur Betriebe, sondern auch Städte insgesamt: weniger Verkehr, geringere Emissionen und eine bessere Nutzung des öffentlichen Raums.

Um dieses Potenzial zu heben, sind Kommunen in einer Schlüsselrolle: Sie sind Treiber! Einerseits können sie selbst mit gutem Beispiel vorangehen – etwa durch die Integration von Lastenrädern in kommunale Eigenbetriebe, Stadtwerke oder Verwaltungsfuhrparks. Andererseits können sie die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, damit auch Unternehmen auf das Rad setzen: durch die Ausweisung geeigneter Liefer- und Ladezonen, sichere Abstell- und Ladeinfrastruktur, gezielte Förderprogramme sowie die Unterstützung von betrieblichen Mobilitätsmanagement-Prozessen.

Zugleich können Kommunen als Moderatoren wirken, indem sie Netzwerke und Modellprojekte initiieren, in denen Betriebe, Logistikunternehmen und Verwaltung gemeinsam Lösungen entwickeln. So lassen sich gute Beispiele verstetigen und Wissen verbreiten.

Mit diesen Maßnahmen tragen Kommunen dazu bei, das Fahrrad in der betrieblichen Mobilität zu einem zentralen Baustein nachhaltiger Stadtentwicklung zu machen – mit Vorteilen für Unternehmen, Beschäftigte, die Stadtgesellschaft und das Klima.

Eileen Niehaus, Geschäftsführerin Cargobike.jetzt:

Wir sehen enormes Potenzial in der Nutzung des Fahrrads im gewerblichen Bereich. Das heißt kleine und größere Gewerbe profitieren vom Einsatz des (Lasten-)Fahrrads oder -Anhängers für Service- oder innerstädtische Lieferfahrten mit mittelschwerem und nicht allzu sperrigem Transportgut. Insbesondere als Ergänzung zum bestehenden Fuhrpark bietet das Fahrrad enorme Vorteile: zeitliche Einsparungen durch Stauumfahrungen und wegfallende Parkplatzsuche, Ersparnisse in Anschaffung und Unterhalt, Mitarbeitende ohne Führerschein sind einsetzbar, und vieles mehr. Es gibt Wege im Betrieb, die sich gut oder sogar besser mit dem Rad umsetzen lassen. Handwerksbetriebe oder Elektriker:innen beispielsweise müssen nicht immer viel Material mitnehmen. Aber selbst größere Gegenstände und Leitern sind mit dem Rad beziehungsweise Anhänger transportierbar. Es gibt etliche Modelle oder spezielle Firmen auf dem Markt, die für unterschiedliche Gewerbe passende Aufbauten anbieten.

Das Potenzial lässt sich durch das Lückenschließen von fehlender Information erschließen. Dafür haben wir im Rahmen eines Förderprojekts die Website cargobikes4business.com erstellt. Sie liefert Gewerbetreibenden von A-Z alle Infos zum Thema Lastenrad und Anhänger für den Betrieb. Sie gibt Hinweise, welcher Rad- oder Anhängertyp für meinen Einsatzzweck am besten geeignet wäre. Außerdem sehen wir einen Hebel im Ausprobieren. Wenn Betriebe Fahrräder oder Anhänger testen, können sie am besten erkennen, wie sinnvoll der Einsatz ist und dass es sogar Spaß macht.

Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer (HWK) Dortmund:

Statistiken zeigen: In Deutschland legen Menschen zunehmend mehr Wege und längere Strecken mit dem Fahrrad zurück. Auch in Handwerksbetrieben nimmt die Radnutzung zu. Dennoch gibt es weiterhin bei der Mitarbeitermobilität sowie im Werkverkehr ungenutzte Potenziale.

Einige Betriebe, sowohl im urbanem als auch im ländlichen Bereich, bieten ihren Beschäftigten bereits ein Dienstrad an. Die Gründe dafür sind vielfältig. Neben Umwelt- und Gesundheitsaspekten kann ein solches Angebot die Arbeitgeberattraktivität stärken – ein wichtiger Faktor im Wettbewerb um Fachkräfte.

Ob das Fahrrad für den Arbeitsweg geeignet ist, hängt von den Rahmenbedingungen ab. Besonders vielversprechend ist die Möglichkeit, verschiedene Verkehrsmittel zu kombinieren. Solche vernetzten Konzepte gilt es weiterzuentwickeln.

Im Werkverkehr nutzen vor allem Gewerke wie Bäcker oder Schornsteinfeger schon länger das Rad. Leistungsfähige Technik und vielfältige Ausstattung machen es auch für andere Gewerke interessant. Entscheidend ist auch hier, Verkehrsmittel effizient zu kombinieren – nicht „entweder oder“, sondern „sowohl als auch“.

Der MobilityHub Handwerk, gefördert vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr NRW, wirbt gemeinsam mit beteiligten Handwerkskammern, zu denen auch die Handwerkskammer Dortmund gehört, für das Fahrrad als Teil eines nachhaltigen Mobilitätsmixes.

Amelie Suttner, Projektleiterin Konferenzen & Community Velokonzept:

Das Fahrrad gewinnt im betrieblichen Mobilitäts-Management immer mehr an Bedeutung. Damit es sein volles Potenzial entfalten kann, braucht es jedoch mehr als Abstellanlagen, Umkleiden oder Leasingmodelle. Entscheidend sind die Menschen, die Begeisterung ins Unternehmen tragen – Botschafter_innen und Motivator:innen, die Kolleg:innen mitnehmen, inspirieren und Lust aufs Radfahren machen. So entsteht Schritt für Schritt eine Mobilitätskultur, in der das Radfahren selbstverständlich wird – und aus Angeboten ein echter (Verhaltens-)Wandel.

Axel Schäfer, Geschäftsführer Bundesverband Betriebliche Mobilität e.V.:

Das Fahrrad hat im betrieblichen Mobilitätsmix noch deutlich ungehobenes Potenzial. Unsere Befragung – der BBM Mobility Survey – zeigt: Mehr als ein Viertel aller Beschäftigten hat einen Arbeitsweg von maximal fünf Kilometern – ideale Bedingungen also für Rad- oder E-Bike-Nutzung. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass heute noch mehr Menschen mit dem PKW unterwegs sind als mit dem Fahrrad. Gleichzeitig planen 21 Prozent der Arbeitnehmenden, ihr Mobilitätsverhalten in den kommenden Jahren zu ändern, wobei das Fahrrad eine zentrale Rolle spielt. Die Bereitschaft, auf das Fahrrad umzusteigen, ist damit gegeben – doch es bedarf gezielter Maßnahmen, um dieses Potenzial voll auszuschöpfen.

Was können wir tun? Die Befragten nennen bessere und sichere Radwege sowie Abstellmöglichkeiten als wichtigste Hebel, um ihr Mobilitätsverhalten nachhaltig zu verändern. Unternehmen können dieses Potenzial erschließen, indem sie Radfahren aktiv erleichtern: Dienstrad-Leasing, sichere Stellplätze, Ladeinfrastruktur für E-Bikes sowie Duschen und Umkleiden am Arbeitsplatz sind zentrale Faktoren. Entscheidend ist aber auch, dass die Kommunen für durchgängige und sichere Radwege sorgen. Erst die Kombination aus Arbeitgeberangeboten und guter Infrastruktur schafft die Grundlage, damit das Fahrrad zur echten Alternative im Arbeitsalltag wird.“

Sarah-Helene Sowa, Head of Sustainability bei Riese & Müller

Das E-Bike hat für Unternehmen ein enormes Potenzial, das bislang oft noch nicht voll ausgeschöpft wird. Es eröffnet Mitarbeitenden die Möglichkeit, auch längere Pendelstrecken und Arbeitswege problemlos zurückzulegen und dabei aktiv, aber dennoch entspannt am Arbeitsplatz anzukommen. Gerade im städtischen Umfeld zeigt sich der Vorteil sehr deutlich: keine Staus, kein langes Suchen nach Parkplätzen und in vielen Fällen sogar deutlich schnellere Wege als mit dem Auto. Lastenräder erweitern dieses Spektrum zusätzlich, weil sie den nötigen Stauraum für Arbeitsmaterial oder private Erledigungen bieten.

Damit solche Lösungen im Alltag tatsächlich genutzt werden, braucht es zunächst die passende Infrastruktur – also Abstellanlagen, Lademöglichkeiten und Duschen – und attraktive Angebote wie Dienstrad-Leasing. Wichtig ist aber, auch den ersten Schritt zu erleichtern. Angebote wie Test-Bikes oder eine kleine Leihflotte schaffen die Chance, dass Mitarbeitende den Nutzen einmal selbst erfahren können. Und diese persönliche Erfahrung wirkt meist stärker als jede theoretische Argumentation.

Eine wesentliche Rolle spielt zudem das Management: Wenn Führungskräfte selbst aufs Rad steigen, senden sie ein klares Signal: Nachhaltige Mobilität ist nicht nur ein Konzept, sondern Teil einer gelebten Unternehmenskultur.

Donnerstag um 09:37 von Sebastian Gengenbach
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