
Markt - Umsatzsteuerstatistik 2023
Gewaltige Strukturverschiebungen
20 Jahre sind eine lange Zeit. Die inzwischen vorhandenen Daten der Umsatzsteuerstatistik vom »Jahrhundertsommer« 2003 bis zu den jüngst veröffentlichten Zahlen des Jahres 2023 zeigen, wie massiv sich der stationäre Fahrradhandel in dieser Zeit verändert hat.
Zunächst einmal ein Blick auf die kurzfristige Entwicklung im stationären Fachhandel, der in dieser Statistik abgebildet ist. Erfasst sind hier alle Betriebe, die mindestens 50 Prozent ihres Umsatzes im Einzelhandel mit Fahrrädern, Fahrradteilen und -zubehör erzielen. Nun liegt seit Kurzem die Umsatzsteuerstatistik für das Jahr 2023 vor. Sie bestätigt, was die Branche schon längst vermutet, und zeigt auch das ganze Ausmaß der Veränderungen in der Handelslandschaft auf.
Das »big picture« beeindruckt einmal mehr: 2023 war das Jahr 1 nach dem Boom. Genau genommen war es das Jahr, in dem die Branche vom Mangel zum Überbestand an Fahrrädern wechselte. Am Umsatz sieht man das aber noch nicht: Die knapp über 8 Milliarden Euro Umsatz im stationären Fahrradfachhandel sind ein Allzeit-Rekordwert. Einschränkend muss man aber anmerken, dass es zwar nominal ein Plus ist, aber real doch schon in diesem Jahr ein Minus von 0,6 Prozent darstellt.
Kopflastige Umsatzverteilung
Die Umsatzverteilung nach Größenklassen zeigt an, dass der Fahrradhandel inzwischen ziemlich kopflastig geworden ist. Von den 8 Milliarden Umsatz in 2023 haben laut Statistik allein die größten drei Handelsunternehmen knapp über eine Milliarde erwirtschaftet. Zur Wahrung des Steuergeheimnisses wird die genaue Zahl erst ab einer gewissen Anzahl an Unternehmen in einer Größenklasse veröffentlicht. Wir gratulieren aber schon mal H&S Bike Discount zu ihrem Umsatzerfolg (über 300 Mio. Euro Umsatz). Wer die anderen beiden im Bunde sein sollen, ist unklar. Lucky Bike blieb mit 248,7 Millionen Euro Umsatz knapp unter der Hürde. Der Umsatz des naheliegenden Tipps Zweirad Stadler verteilt sich auf mehrere Einzelunternehmen und sonst ist nicht ersichtlich, wer infrage kommt. Wer kennt noch zwei Fahrradhändler, die zusammen 702 Millionen Euro Umsatz machen?
Es gibt sie nicht, sodass zu vermuten ist, dass hier Vertriebsgesellschaften von Fahrradherstellern fälschlich als stationärer Fachhandel kategorisiert wurden, der tatsächliche Fachhandelsumsatz also 700 Millionen Euro niedriger liegt als ausgewiesen. Andererseits sind auch die Fahrradumsätze im Sporthandel nicht abgebildet, und die könnte man als Fachhandelsumsatz betrachten.
Die Entwicklung der Umsatzsteuerstatistik der vergangenen 20 Jahre von 2003 bis 2023 zeigt eindrucksvoll die Veränderungen im stationären Fahrradfachhandel. Von der heutigen Handels-Power aus betrachtet wirken die damaligen Zahlen fast schon bescheiden.
Trotzdem handelt sich um eine gewaltige Entwicklung, die es richtig einzuordnen gilt. Es empfiehlt sich der Blick in die Vergangenheit: 2005, also 18 Jahre zuvor, haben die drei größten Fahrradhandelsunternehmen zusammen knapp unter 100 Millionen Umsatz erzielt. Es gab damals kein einziges Unternehmen, das in der Umsatzkategorie über 50 Millionen gespielt hätte. An der Spitze hat sich also eine Vervielfachung des Umsatzes in diesem Zeitraum ergeben.
Die sechs nächstgrößten Handelsbetriebe haben die nächste Milliarde Umsatz erwirtschaftet. Dabei handelt es sich um Betriebe in der Größenklasse zwischen 100 und 250 Millionen Euro. Glückwünsche gehen also raus an Rose, Multicycle, B.O.C., Little John Bikes, Fahrrad XXL Franz und Lucky Bike.
Wie viele Händler braucht man, um knapp die nächste Umsatzmilliarde zusammenzubekommen? 21. Das sind die nächstgrößten Händler mit Umsätzen zwischen 25 bis 100 Millionen Euro, die zusammen 936 Millionen Euro zum stationären Fachhandel beitragen.
Immer kleinere Kleine
Am anderen Ende der Umsatzsteuerstatistik findet sich die Schar der kleineren Händler mit Umsätzen bis zu 500.000 Euro. Sie bilden einen besonders starken Kontrast zu den Umsatzriesen. Denn hier machen fast 3000 Händler zusammen 526 Millionen Euro Umsatz. Anders formuliert: Diese 56,7 Prozent der Händler haben zusammen einen Marktanteil von 6,55 Prozent im stationären Fachhandel. Das ist eine enorme Verschiebung, die sich in zwei Jahrzehnten ergeben hat. Im Jahr 2003 war diese Gruppe der Hauptmarkt: Die damals 5015 Handelsbetriebe in dieser Größenklasse (also fast so viele, wie es heute insgesamt gibt) stellten 83,6 Prozent des stationären Fachhandels und haben knapp 813 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet, was 36 Prozent Marktanteil bedeutete.
4,6Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete die »neue Mitte« des stationären Fahrradfachhandels im Jahr 2023. Vor 20 Jahren waren es knapp über 1,2 Milliarden Euro für diese Größenklassen.
Natürlich muss man das relativieren und in Bezug zur Umsatzentwicklung setzen. Immerhin haben sich die Fachhandelsumsätze in den zwanzig Jahren etwa vervierfacht. Viele Betriebe sind mit den Umsätzen gewachsen. Die Mitte des Handels ist heute eine andere.
Die neue Mitte
Die unteren und oberen Umsatzenden sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Großteil des Geschäfts heute von den Handelsbetrieben gemacht wird, die vermutlich auch in den meisten Köpfen das Bild des stationären Fahrradfachhändlers bestimmen. Mittelständisch geprägte Unternehmen, die sich von ihren kleineren Wurzeln zur heutigen Evolutionsstufe des Fachhandels entwickelt haben.
Die letzten Jahre haben im Fahrradhandel zu einem großen Umsatzsprung geführt.
Wenn man diese Betriebe mit Umsätzen von 500.000 Euro bis 25 Millionen Euro zusammenfasst, dann werfen diese 2131 Betriebe satte 4,6 Milliarden Euro in die Umsatz-Waagschale. Man kann sich natürlich darüber streiten, wo genau man die Grenze nach oben ansetzen soll, wann ein Unternehmen nicht mehr zur »Mitte«, sondern schon zu den »Großen« gehört. In jedem Fall bleibt der Mittelbau der tragende (Umsatz-)Pfeiler des stationären Fahrradhandels.
Zahl der Händler nimmt wieder ab
Obwohl die Warenbestandskrise im Jahr 2023 ein noch recht junges Problem war, hat sie sich schnell auf der Handelsseite ausgewirkt. Dabei geht es weniger um die Zahl der Insolvenzen, die in überschaubarem Rahmen blieben: 17 Insolvenzverfahren wurden 2023 gegen Fahrradhändler eröffnet, im Jahr darauf waren es weitere 20, im Jahr davor noch 12. Das dürfte insgesamt weniger sein, als viele befürchtet haben. Allerdings haben Fahrradhändler selbst in der Krise oft eine erhebliche (Waren-)Substanz. So kommt noch die Zahl derjenigen Unternehmen dazu, die ohne Insolvenzanmeldung einfach abgewickelt oder durch expandierende Handelsbetriebe übernommen wurden.
Der stationäre Fahrradfachhandel hat auch nach Corona sein hohes, neues Umsatzniveau halten können.
Schon länger wurde befürchtet, dass die in den zwei Jahren zuvor steigende Zahl an Fahrradläden nur ein befristetes Phänomen sein könnte. Tatsächlich lässt sich schon für das Jahr 2023 festhalten, dass diese Neugründungsphase wieder vorbei ist. 5103 Handelsbetriebe (zusätzlich ihrer Filialen) sind ein neuer Tiefststand in der Statistik. Nie gab es weniger Fahrradhändler in Deutschland. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es auch weniger Ladengeschäftsfläche im Land gibt, aber genau weiß man es nicht mehr. Destatis erhebt seit 2019 nicht mehr die Größe der Verkaufsfläche. Damals kam man auf über 1,7 Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche im Fahrradeinzelhandel. Im Jahr 2014 lag man noch bei 1,5 Millionen Quadratmetern, obwohl in der Zwischenzeit die Zahl der Händler um 217 gesunken war (auf damals 5197). Man darf vermuten, dass dank Filialisierung im Markt die Verkaufsflächen weiter gestiegen sind. Es spricht zunächst nichts dafür, dass die Zahl der Händler in absehbarer Zeit wieder steigen könnte.
Zwei Jahrzehnte sind eine lange Zeit, im Fahrradhandel sind sie eine Ewigkeit. Der Blick auf die Umsatz- und Händlerzahlen aus dieser Zeit erlaubt wertvolle Einblicke in die Branche und vermutlich auch einen Ausblick, wie die Entwicklung weiter voranschreiten könnte. Rein am Umsatz gemessen kann man festhalten, dass sich die Branche in dieser Zeit prächtig entwickelt hat. Aber das ist nicht die einzige Dimension, die es für eine gedeihende Branche braucht. //
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