Konferenz der Versicherer:
GfK-Wirtschaftstreff nimmt Fahrradbranche unter die Lupe
Die GfK Gesellschaft für Kreditversicherungsservice mbH lud gestern im Veranstaltungsort Flora im botanischen Garten Kölns zu gleich zwei Events ein. Den Anfang machte der GfK Wirtschaftstreff mit einigen Panels und Keynotes. Am Abend wurde nach weiteren Podiumsdiskussionen, Live-Hacking und einigen Möglichkeiten zum Networken dann noch der GfK Innovationspreis verliehen.
Seitens der Fahrradbranche wurde das Event gleich an mehreren Stellen geprägt und unterstützt. Zum einen stellten neben einigen Unternehmen aus der Versicherungsbranche auch Büchel, MyStopy, Schwalbe und Velo de Ville ihre Produkte aus. Zum anderen diskutierten Vertreter von Büchel, AT Zweirad (Velo de Ville) und Ergotec über aktuelle Herausforderungen und die Zukunft des Wirtschaftsbereichs im Branchentalk Fahrrad. Wie die Moderatorin betonte, können diese drei Akteure gemeinsam auf an die 300 Jahre Fahrradgeschichte zurückblicken.
Ist Krise der richtige Begriff?
Die Teilnehmenden ordneten die aktuellen Marktgeschehnisse und die Entwicklungen sei dem Pandemie-Boom ein. Die Stimmung in der Branche sei in einem Wort „super“, so Wilhelm Humpert von Ergotec. Fahrräder und E-Bikes seien tolle, hilfreiche Produkte und entsprechend grundsätzlich gefragt. Auch im Namen der Firma Büchel stellte sich Oliver Venohr dagegen, der Branche eine Krise zuzusprechen und betonte viel mehr, dass trotz der Schwankungen grundsätzlich stabile Absatzzahlen in der Größenordnung um vier Millionen Stück in Deutschland vorzufinden seien. Volker Thiemann von AT Zweirad nahm den Begriff Krise dennoch auf und sagte: „Wer seine Hausaufgaben gemacht hat, wird gestärkt auch wieder aus der Krise herausgehen.“ Die Zeit nach der Pandemie sei nicht die erste und nicht die letzte Krise gewesen, so seine gelassene Sichtweise.
Wie in anderen Branchen geht die Marktbereinigung in der Fahrradindustrie zuletzt mit regelmäßigen Insolvenzverfahren einher. Schaden richten die Preisreduktionen an, mit denen Teile die angestaute Ware derzeit an die Endverbraucher verkauft werden. Generell, so betonte Humpert, seien die derzeitigen Entwicklungen jedoch normal und erwartbar. „Dass Player in einer Branche verschwinden, das gibt es immer“, so Humpert. Mit kleinen Schwankungen könne die Branche jedoch grundsätzlich gut umgehen. Mit Blick auf die Umsätze führe der gestiegene E-Bike-Anteil zusätzlich dazu, dass die Fahrradbranche wachsen konnte und weiterhin deutlich über dem Vor-Corona-Niveau liegt.
Um den Unterschied der derzeitigen Marktentwicklung zu einer echten Krise deutlich zu machen, teilte Humpert Erfahrungen aus der eigenen Galvanik. In dieser Anlage konnte Humpert früher 3 Millionen Lenker im Jahr verchromen. Dieser Prozess sei im Fahrradsegment mittlerweile nicht mehr so gefragt. Die Stückzahl verchromter Lenker liegt mittlerweile nur noch bei einer Viertelmillion. Ohne branchenfremde Teile, die Humpert verchromt, wäre das Geschäftsmodell nicht mehr rentabel, da sich der energieintensive Prozess nur im Dreischichtbetrieb rentiere.
Handarbeit treibt Personalkosten hoch
In einem kurzen Film, der für das Event in der Produktion von AT Zweirad produziert wurde, vermittelte Thiemann als Protagonist, wie komplex die Produktion von Fahrrädern und E-Bikes ist, vom Pulverbeschichten der Rahmen, Laufräder einspeichen, Gabelschäfte kürzen bis hin zur Montage der Komponenten. Die Räder von Velo de Ville montiert der Custom-Made-Hersteller nicht auf Lager, sondern nur bedarfsgerecht, nachdem ein Rad gekauft wurde. Durch die viele Handarbeit sind Personalkosten für die Fahrradbranche ein herausfordernder Kostentreiber.
Für die Zukunft der Branche könne vor allem die Politik die Weichen stellen, indem sie den Radverkehr fördert. Dass das Fahrrad eine echte Chance für den Verkehr darstellt, habe die Politik mittlerweile zu großen Teilen verstanden, so die Ansicht des Podiums. Dazu hat sicher auch die Verbandsarbeit beigetragen. Ein Großteil der deutschen Industrie sei in den wichtigen Wirtschaftsverbänden aktiv. Gerade mit Blick auf Sicherheitsfragen sei die europäische gemeinsame Arbeit in der Vergangenheit wichtig gewesen. Auch wenn man noch immer keine Armada an Lobbyisten und Lobbyistinnen beschäftige, habe sich die Interessensvertretung in den vergangenen Jahren deutlich professionalisiert.
Venohr sprach für die Zukunft der Branche davon, dass Innovationen weiter ein wichtiger wirtschaftlicher Treiber seien, und gab Beispiele aus dem Licht-Segment. Büchel betreibt mehrere Fabriken in Deutschland sowie an asiatischen Standorten und wolle beide Wege weiter forcieren. Mit Blick auf Elektronikbauteile und die Produktion von Rahmen sei die Branche weitgehend abhängig von Asien. Nach Thiemanns Einschätzung genießen in Deutschland hergestellte Produkte allerdings weiterhin ein besonders hohes Ansehen. Venohr beobachte jedoch, dass Gespräche über Reshoring und die Bedeutung von Nachhaltigkeit bei den Kunden zuletzt rückläufig gewesen seien.
Deutsche Wirtschaft vor Herausforderungen
Diese Beobachtung deckt sich mit einer Einschätzung von Tobias Tillmann vom Versicherungsunternehmen Atradius, der in einer Keynote vor dem Branchentalk Fahrrad die grundlegenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland sowie branchenspezifische Herausforderungen, unter anderem aus der Fahrradbranche, kommentierte. Laut ihm seien viele Unternehmen aktuell weniger mit langfristigen Strategien im Rahmen von Mega-Trends wie Strukturwandel, Fachkräftemangel, Nachhaltigkeit oder Digitalisierung beschäftigt, sondern von Ad-hoc-Herausforderungen bedingt durch wirtschaftliche und politische Risiken sowie Risiken in der Lieferkette eingenommen.
Herausfordernd seien unter anderem „Handelskriege“, die Deutschland als exportorientierte Wirtschafsnation besonders betreffen. Hier gelte es, eine klare Position zu finden. Hinzu kommen geopolitische Spannungen, eine zunehmende Staatsverschuldung und eine durch diese Entwicklungen bedingte Unsicherheit, die zu konjunkturell vergleichsweise schwierigen Jahren beitragen. Nicht nur in der Fahrradbranche seien Insolvenzen derzeitig Normalität. Aus den Insolvenzen resultierten 2024 etwa 56 Milliarden Euro an Forderungen der Gläubiger. Dieser Wert lag ein Jahr zuvor noch bei 31,2 Milliarden Euro. Zeitgleich, so Tillmanns Beobachtung, seien Unternehmen zum Teil nicht in der finanzkräftig genug für strategische Investitionen oder handelten zuletzt nach dem Kredo „Cash is King“ und vermieden Investitionen.
Für Deutschland als Industriestandort sieht der Experte hohe Preise für Rohstoffe und Energie, eine vergleichsweise hohe Unternehmenssteuer und Lohnnebenkosten sowie die langsame Digitalisierung als Herausforderungen. Hier entwickle sich zu wenig, etwa mit Blick auf den
Bürokratiekostenindex
. Dieser ist in Deutschland in den letzten 13 Jahren lediglich um 6 Prozent gefallen. Gleichzeitig könne der Standort bei Faktoren wie Humankapital, Bildung und Sicherheit weiterhin punkten.
Abschließend verglich Tillmann die Fahrradindustrie mit den Branchen für Papier und Stahl. Für die Fahrradbranche nannte er nach dem Corona-Boom und insgesamt gestiegenen Umsätzen einen fragmentierten Markt, dessen Akteure von wenigen Lieferanten wie etwa Bosch oder asiatischen Rahmenherstellern abhängig sind, sowie Qualitätsprobleme bei Komponenten als Hürden. Er erwarte eine Konsolidierung im Handel und sehe eine rückläufige Nachfrage, jedoch auch Wachstumspotenziale in hochwertigen Segmenten.
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