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Gut behütet?
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Report - S-Pedelec-Helme

Gut behütet?

Die Verkaufszahlen von S-Pedelecs könnten hierzulande deutlich besser sein. Was wohl nicht zuletzt an komplizierten oder schlicht unzweckmäßigen und europaweit wenig einheitlichen Regeln liegt. Vor allem Touristen im europäischen Ausland sollten sich über die Rechtslage informieren, bevor es zu einem »bösen Erwachen« kommt. Wir werfen einen Blick auf die aktuelle Lage.

Es gibt Dinge, die sind wie sie sind, kommen im normalen Leben aber kaum zum Tragen. Wussten Sie zum Beispiel, dass ein offengelassenes Schiebedach beim Auto 15 Euro Strafe kostet, während Sie ein Cabrio ungestraft oben ohne stehen lassen dürfen? Ja, das ist tatsächlich so, auch wenn der Sinn sich nicht oder nur mittelbar erschließt. Eine andere Merkwürdigkeit ist die Diskussion um das Tragen eines Helms auf dem Fahrrad, die mit der Verbreitung der E-Bikes und mit Blick auf die Klasse der schnellen S-Pedelecs wieder neue Nahrung bekommt.

Verunsicherung bei S-Pedelec-Fahrern

Gerade für Pendler, die regelmäßig größere Entfernungen zurückzulegen haben, wären S-Pedelecs als Ersatz für den Pkw eigentlich ideale Fahrzeuge. Wenn nur die Entscheider aus der Politik und wichtige Einflussgruppen näher an der Praxis wären. Geradezu ein No-Go ist die Tatsache, dass S-Pedelecs auf Fahrradwegen selbst außerorts verboten sind und eine Erlaubnis zum Befahren von ausgewiesenen Radschnellwegen bislang am Widerstand von Politik und Interessenverbänden scheitert. Wo, fragt sich der angehende schnelle E-Biker, soll er denn mit seinem geschätzten Durchschnittstempo von 30–35 km/h fahren? Auf der stark frequentierten Bundesstraße, während ihn der Rennradfahrer auf dem daneben liegenden RS1 oder dem »E-Radschnellweg« Göttingen locker überholt? Dann würde wenigstens ein guter Helm Sinn machen, den der schnelle Radsportler ebenso wenig benötig wie Spiegel, selbstklappenden Seitenständer & Co.

Schlechter Rat im Internet

Folgt man den Ratschlägen im Internet, bekommt man oftmals zu hören, mit einem Tuning-Chip wäre man sowieso besser bedient. Wer brauche schon S-Pedelecs? Selbst eingefleischte S-Pedelec-Fans tauschen sich offen über »auf der Fahrt zufällig abgefallene Kennzeichen« aus. Und einen Mofahelm auf dem S-Pedelec? Den kann und will sich so recht kaum jemand ernsthaft vorstellen. So wird der eigentlich gute Wille der Gesetzgeber ins Gegenteil verkehrt. Laut deutschem Gesetz ist bei S-Pedelecs ein »geeigneter Schutzhelm« zu tragen. Aber was ist das eigentlich? Nach strenger Auslegung gemäß der ECE-Richtlinie Nr. 22 ein Mofa- oder Motorradhelm. Bis auf weiteres werden hierzulande aber normale Fahrradhelme toleriert. Aber Vorsicht, nur hierzulande! Denn im europäischen Ausland, wie beispielsweise in Italien sieht das ganz anders aus, wie unser Beispiel zeigt.

Bewegung bei ECE-Richtlinie in Sicht

Weiter als bei uns ist man laut Zweirad-Industrie-Verband bei unseren niederländischen Nachbarn. ZIV-Geschäftsführer Siegfried Neuberger erläutert im Gespräch, dass in den Niederlanden aktuell zusammen mit Helmherstellern an einer neuen Norm gearbeitet wird. Diese soll nach Fertigstellung als Vorlage für eine europäische Norm dienen. Der ZIV plant die neue europäische Norm »Helme für schnelle E-Bikes« dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) vorzulegen und den Antrag zu stellen, diese in der Folge auch in Deutschland anzuerkennen. Spätestens dann wären die technischen Grundlagen für Helme geschaffen, die für die Nutzung bei schnellen E-Bikes geeignet sind. Damit würde auch das Interesse der Hersteller wachsen, hier in Entwicklungen zu investieren und neue Modelle auf den Markt zu bringen.

»Für S-Pedelecs wird ein Fahrradhelm als ausreichend angesehen«

Fragen an den ADFC-Rechtsexperten Roland Huhn

{b}Wie schaut die rechtliche Regelung zum Helmtragen innerhalb Europas / der EU aus?{/b}
Beim Helmtragen geht es um das Verhalten im Straßenverkehr. Für diese rechtlichen Regeln sind die
Mitgliedsstaaten zuständig.

{b}Wird an einer gemeinsamen Norm gearbeitet oder macht jedes Land seine eigenen Regeln?{/b}
Es gibt für Fahrradhelme eine europäische Norm EN 1078. Und es gibt eine gemeinsame Vorschrift der UNECE für die Zulassung von Motorradhelmen (United Nations Economic Commission for Europe): UNECE-Regelung 22.05

{b}Wie ist der Stand in Deutschland?{/b}
Zu Erfüllung der Helmpflicht für S-Pedelecs, die stärker als 250 Watt oder beim Mittreten bis zu 45 km/h schnell sind, wird in Deutschland ausnahmsweise ein Fahrradhelm als ausreichend angesehen. Das beruht auch auf dem nicht ganz eindeutigen Wortlaut von § 21a Abs. 2 StVO: »Wer Krafträder oder offene drei- oder mehrrädrige Kraftfahrzeuge mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von über 20 km/h führt sowie auf oder in ihnen mitfährt, muss während der Fahrt einen geeigneten Schutzhelm tragen.« »Geeigneter Schutzhelm« meint einen Helm nach UNECE R 22.05, auch wenn das aus schwer zu erklärenden Gründen nicht im Gesetz stehen darf. Die Gesetzesbegründung sagte 2005 ausdrücklich, dass »Bauarbeiter-, Feuerwehr-, Radfahr- oder Stahlhelme der
Bundeswehr« nicht als geeignet anzusehen sind.

{b} Umstritten ist sogar, ob für S-Pedelecs überhaupt eine Helmpflicht besteht, denn das hängt nach § 21a Abs. 2 StVO von der bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit ab: Beträgt sie 20 km/h (die allein mit Motorkraft erreicht werden) oder mehr, bis zu 45 km/h (die beim Mittreten erreicht werden)?{/b}
Ich halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass ein S-Pedelec-Fahrer ein Bußgeld zahlen muss, wenn er nur einen Fahrradhelm trägt. Wahrscheinlich müsste sich der Amtsrichter selbst erst umfassend über diese ungeklärte Rechtsfrage informieren – und dann kann er ja wohl schlecht einen Laien verurteilen, der es auch nicht besser wusste (»Verbotsirrtum«).

{b}Wo / bei wem kann ich mich als Nutzer / Urlauber ggf. informieren?{/b}
Es kann schwer werden, auskunftsfähige Ansprechpartner zu finden. Botschaften, Tourismus-Verbände können erste Ansprechpartner sein. Häufig fragen diese dann bei den Radfahrverbänden oder Automobilclubs nach. Es gibt in dieser Frage aber überall ein Zuständigkeitsvakuum.

{b}Worauf sollte ich – ggf. zusätzlich – achten? Was kann auf mich zukommen?{/b}
In Deutschland sollten S-Pedelec-Fahrer zumindest einen Fahrradhelm tragen. Wer in Nachbarstaaten fährt, sollte sich vorher über die dort geltenden Regelungen informieren. Wie ein Verstoß gegen eine damit eventuell nicht erfüllte Pflicht zum Tragen eines Motorradhelms (das kann auch ein Jet-Helm nach UNECE R 22.05 ohne Gesichtsschutz sein) sanktioniert wird, ist in jedem Land unterschiedlich. In Deutschland wird das Zweirad im Unterschied zu Italien nicht von der Polizei sichergestellt, sie kann aber die Weiterfahrt untersagen.

23. August 2016 von Reiner Kolberg
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