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In der Lawine geboren
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Portrait - Evoc

In der Lawine geboren

Für ein immer noch junges Unternehmen kann Evoc bereits eine beeindruckende Bilanz vorweisen: Über 50 Preise und Awards hat der Taschen- und Protek­torenspezialist Evoc seit der Gründung 2008 weltweit eingeheimst. Beim Besuch der beiden Gründer Holger Feist und Bernd Stucke in ihrem Münchner Hauptquartier wird schnell klar, dass solche Erfolge nur möglich sind, wenn man für sein Produkt brennt.

Die ideelle Geburtsstunde von Evoc lässt sich recht genau auf die Milleniumswende datieren. Am 23.12.1999 hatte Holger Feist gerade die unerfreuliche Erfahrung gemacht, wie es ist, wenn man beim Snowboarden von einer Lawine mitgerissen wird. Er trug eine Verletzung am Rücken davon, weil ihn vermutlich der Stiel der Lawinenschaufel durch den getragenen Rucksack verletzte.
»Bei der Lawine habe ich festgestellt, dass es nicht unbedingt sein muss, dass man sich bei einem Sturz verletzt«, notiert Holger Feist lakonisch. »So kam mir die Idee, dass man eigentlich einen Protektor, einen Schutz, integrieren müsste.« Dieser sollte sowohl vor Schlägen von außen als auch harten Gegenständen im Rucksack schützen.
»Danach habe ich mir Gedanken gemacht und überlegt, was man besser machen könnte«. Für die ersten Versuche improvisierte Feist noch. »So habe ich angefangen, mir Protektor-Schindeln aus dem Motorradsport zu organisieren und diese auf eine alte Iso-Matte zu nieten.« Der erste Protektor war geboren.
Nur wenig später, im März 2000, ergab sich für Feist schon wieder eine unbefriedigende Situation wegen des Rucksacks. Unterwegs in Kamtschatka, auf über 3500 Metern Höhe und bei minus 28 Grad Kälte, plagte er sich mit einem unergonomischen Rucksack, der wie eine Kugel am Rücken hin und her baumelte. Bei weiteren Biketrips in Nepal und am Mount Kenya wurde er immer weiter sensibilisiert für die Ansprüche, die ein nach seiner Überzeugung perfekter Rucksack bieten musste. Exakt am 11.09.2001 ergab sich die nächste Gelegenheit, an neuen Ideen zu feilen. Während er für die Akklimatisierung in der Höhe von Kenia viel Zeit mit Warten verbrachte, analysierte er das mitgeführte Material, das zwar nun viel besser, aber immer noch nicht perfekt war. Die Vorstellung eines Bike-Rucksacks mit integriertem Protektor nahm mehr und mehr Form an.

Die ersten Prototypen werden produziert

Nun war es sein Background als Produktmanager für Snowboards, der ihm weitere Türen öffnete. Durch die Verbindung zu verschiedenen Produktionsstätten in Asien war er in der Lage, sich 2004 einen ersten Prototypen fertigen zu lassen. Ein Bike-Rucksack mit integriertem Rückenprotektor und sinnvoller Taschenaufteilung machte seine Mountainbike-Abenteuer zu einem angenehmeren Erlebnis. Auf zahlreichen weiteren Reisen ließ er immer wieder Verbesserungen einfließen. »Eigentlich war der Ansatz bis dahin immer, dass ich nur unzufrieden mit den verfügbaren Rucksäcken war.« Bis 2008 verbessere er kontinuierlich das von ihm verwendete Material und ließ es zunächst nur für sich und Freunde produzieren. Dazu kam nach dem Rucksack auch die erste Bike-Tasche für den Fahrradtransport. Auch hier sah Feist allerhand Verbesserungspotenzial. Große, sperrige, schwere Kisten, die leicht umfielen und das Rad doch nur unzulänglich schützen – auch hier musste dringend nachgebessert werden. Es war während eines Aufenthalts in Hongkong, wo er auf seinen heutigen Geschäftspartner Bernd Stucke wartete, als er die erste Skizze einer besseren Bike-Transporttasche entwarf. »Der Schwerpunkt muss weiter hinten sein, denn du kannst es nicht die ganze Zeit tragen. Es müssen große Rollen sein, und die müssen nicht innen liegen, sondern so weit wie möglich außen, damit es nicht umkippt. Und die Laufräder müssen in einer separaten Tasche außerhalb sein.« Mit solch klaren Vorstellungen ließ er sich auch hiervon Muster für sich und seine Freunde, einschließlich Stucke, produzieren. Auch hier ging es nicht um eine Geschäftsidee, sondern nur um eine bessere Tasche, um selbst besser reisen zu können. Der Produzent kannte und mochte offenbar seine Gesprächspartner und baute gleich zehn Prototypen. Als Stucke schließlich mit seinem Bike in der Tasche zu einem Radhändler in Hongkong ging, um eine Reparatur durchführen zu lassen (in Hongkong dürfen Fahrräder nur verpackt im öffentlichen Nahverkehr mitgeführt werden), wurde dieser Händler auf diese Tasche aufmerksam. Es fragte, ob er sie ebenfalls haben könnte, er würde gerne 50 Stück davon nehmen – der erste Kunde war, wenn auch völlig unverhofft, gefunden und die Startglocke für Evoc endlich geläutet.
In der Folge setzten sich Holger Feist und Bernd Stucke zusammen, um mögliche Pläne zu besprechen. Die beiden Junggründer kannten sich bereits seit 2001 und standen seitdem mal mehr, mal weniger eng in Kontakt, was nicht zuletzt davon abhing, ob Stucke in München lebte oder, wie ab 2004, in Hongkong. Letztlich wurde die Produktion von 100 Stück der Tasche in Auftrag gegeben. Angesichts der damit verbundenen Bürokratie war die Unternehmensgründung schließlich unausweichlich. Es war 2008 und ein neuer Zubehöranbieter geboren.
Wer jetzt aber erwartet, dass die beiden sich wild in ein neues Abenteuer stürzen, verkennt die Bodenständigkeit der Gründer. Die Abenteuerlust mag Teil der Motivation für ihre Reiseprojekte sein, im Geschäftlichen blieben die beiden aber zunächst einmal in ihren Berufen tätig und schufteten noch einige Jahre vor allem abends und an Wochenenden, um ihr junges Unternehmen anzuschieben. Erst 2010 widmete Feist seine gesamte Zeit Evoc, Stucke ging diesen Schritt ein Jahr später. In dieser Zeit wurde auch der erste Mitarbeiter eingestellt. Evoc war da bereits in 15 Ländern vertreten und hatte die Millionen-Umsatzgrenze überschritten.
Inzwischen umfasst das Sortiment von Evoc auch ein umfangreiches Rucksack-Angebot für Snowboarder und Fotografen sowie Reisetaschen. Der gemeinsame Nenner der nun über 100 verfügbaren Produkte ist wohl, das Feist einen persönlichen Bezug zu der Produktgruppe und dem Sport hat.
»Ich fahre seit 1987 Snowboard und Mountainbike«, erklärt Feist. Beide Sportarten gehören zur Identität von Evoc, auch wenn das Fahrradsegment klar dominiert. Auch umsatzmäßig, wie Stucke erklärt: »Die Gründe sind, dass wir nun in über 30 Ländern vertreten sind, aber nur in 15 Ländern Wintersport relevant ist. Dazu kommt, dass nur drei Monate im Jahr Wintersport betrieben wird. Biken kann man in fast jedem Land das ganze Jahr.« Entsprechend erwarten die beiden Geschäftsführer auf absehbare Zeit keine gravierende Verschiebung der Umsatzanteile.

Qualitätsbewusstsein von Anfang an

»Von Anfang an war uns klar, dass die Ergonomie sehr gut sein muss. Ebenso muss die Funktion stimmen. Was für mich als Produktentwickler ganz wichtig war, ist die Qualität der Produkte.« Tatsächlich treibt man bei Evoc einen bemerkenswerten Aufwand, um die optimale Qualität zu bieten. »Wir verwenden stets die besten Materialien und entwickeln mit den Zulieferern die ganzen Rohmaterialien. Jedes Produkt und jedes Detail ist eine Eigenentwicklung. Selbst der kleinste Zipper-Puller ist bei uns eine Eigenentwicklung.« Das Ergebnis dieser Mühe äußert sich auch in einer Rücklaufquote, die weit unter einem Prozent liegt, wie Feist zufrieden anmerkt. »Die ist fast nicht messbar. Das ist uns schon wichtig. Wenn die Leute ein Premiumprodukt kaufen, dann soll es perfekt funktionieren, gut aussehen und auch lange halten.« Sein Anspruch ist es, Qualität als Selbstverständlichkeit mitzuliefern. »Qualität ist kein Thema, mit dem der Kunde irgendwie in Berührung kommen sollte. Der Kunde soll ein Produkt wählen, das ihm Freude bringt und funktioniert.«
Gerade am Anfang war der hohe Qualitätsanspruch bei den herstellenden Fabriken keineswegs gerne gesehen. »An so einem kleinen Rucksack sind über 200 Teile dran, die allesamt händisch definiert werden müssen«, erklärt Feist. »Das ist richtig viel Arbeit, da arbeiten zehn Leute wochenlang dran«. Wenn dann ein kleines Unternehmen nur kleine Stückzahlen abnimmt, rechnet sich das für die Fabrik nicht. So galt es zu Beginn, zunächst eine geeignete Fabrik zu finden, die die eigenen Ideen nicht nur umsetzen konnte, sondern dem Projekt auch wirtschaftlich eine Chance geben wollte. Erst mit dem dritten Produzenten fand man in Vietnam einen Partner, der willens war, das Risiko einzugehen und auch die Vorstellungen der jungen Marke umsetzen konnte. »Unser Glück war, dass wir damals einen Tag vor der Ispo noch beim Notar unsere Unternehmensgründung abschlossen und direkt einen Brand-New-Award gewonnen hatten und so in den Medien präsent waren. Wir haben einem Bike-Magazin einen Rucksack mitgegeben und waren drei Monate später Testsieger bei einem Rucksack-Test. Kurz darauf hat dann auch unser Bike Bag einen großen Preis gewonnen. Plötzlich wollten viele Leute unsere Produkte haben.«
Dennoch waren die ersten drei Jahre kein Zuckerschlecken, wie Feist einräumt. »Es gibt in dieser Zeit so viele Möglichkeiten, wo du in eine Sackgasse fährst oder nicht mehr weiterkommen kannst. Diese Situationen kommen auch später, aber wenn man ein gewisses Level erreicht hat, dann gehen manche Sachen etwas einfacher.«

Produkt im Vordergrund

»Wir sind weniger eine Sales-getriebene Firma, sondern mehr eine Produkt- und Marketing-getriebene Firma«, erläutert Feist. In den Ländern, in denen Evoc vertreten ist, arbeitet das Unternehmen mit Importeuren zusammen. Im Münchner Hauptquartier, einer ehe­ma­ligen Druckerei, gibt es kein Verkaufs­team, sondern vor allem Produktentwickler und Marketingexperten. Insgesamt arbeiten heute an der stetigen Weiterentwicklung des Sortiments 15 Personen, die maßgeblichen Anteil am Unternehmenserfolg haben, wie die beiden immer wieder betonen.
»Worauf wir sehr stolz sein können, ist unser Team«, lässt Stucke wissen. »Wir haben bisher keinen einzigen Mitarbeiter verloren.« Es gibt keinerlei Fluktuation im Unternehmen. »Man muss sagen, dass wir ein super Team haben, ohne das wir heute nicht hier wären«, ist Stucke überzeugt. »Wir haben es zudem geschafft, auch mit unseren Produzenten eine enge, persönliche Bindung aufzubauen. Wir sind zum Teil häufiger dort, als es größere Kunden sind«, erklärt Feist.
Belohnt wurde dieses Engagement nicht zuletzt mit starken Wachstumsraten, die seit dem Vollzeitengagement der Gründer zu Wachstumsraten von jährlich 40 bis 50 % führten.
Was allerdings auch nicht ausblieb, waren die Wendepunkte im Unternehmen. Stucke spricht vom »verflixten siebten Jahr« in der Geschäfts- und Freundschaftsbeziehung. »Wenn man vorher als Freunde miteinander gereist ist und nur Spaß miteinander hatte, und dann plötzlich gar nicht mehr der Spaß im Vordergrund steht, sondern in den Gesprächen stets die Arbeit im Vordergrund steht, dann droht die Freundschaft auf der Strecke zu bleiben«, stellt er im Rückblick fest. »Wir hatten einfach Sachen, die wir wieder zusammenrücken und optimieren mussten«, ergänzt Feist. Insbesondere bei der Unternehmensausrichtung haben sich die Vorstellungen mit den Jahren auseinanderentwickelt. Hier galt es, wieder einen gemeinsamen Kurs zu finden. »Letztlich ist eine Geschäftspartnerschaft nicht anders als eine Ehe. Wenn man zusammen bleiben will, muss man einen Kompromiss finden, mit dem beide glücklich sind. Und das mussten wir im vergangenen Jahr tun«, erklärt Stucke die damalige Lage. Den wieder gefundenen, gemeinsamen Weg fasst Feist in wenigen Worten zusammen: »Wir machen Taschen. Von uns wird es auch in Zukunft keine Produkte geben, die nicht in das vorhandene Sortiment reinpassen«, sagt Feist. »Unser Slogan ist ‚Protective Sports Bags‘. Da passt die Fototasche und die Protektorlinie rein. Aber wir wollen nicht die hundertste Bekleidungsfirma werden.«

Die nächsten Ziele vor der Brust

Die beiden wissen seit jeher, dass sie zusammen ein bemerkenswert schlagkräftiges Team sind. »Wir sind sehr unterschiedlich in unserer Arbeitsweise. Ich finde das positiv, weil wir uns sehr ergänzen. Wir wissen, dass unsere Fähigkeiten zusammen funktionieren«, ist Lucke überzeugt. In der näheren Zukunft werden sie die Köpfe wieder zusammenstecken, um die geplante, weitere Internationalisierung voranzutreiben. Ebenso ist ein wichtiges Ziel, eine breitere Produktpalette im Handel zu platzieren. Dazu entwickelt Evoc gerade ein umfangreiches und durchaus attraktives Shop-in-Shop-Konzept, das mit ansehnlicher Warenpräsentation überzeugen möchte und schon in Kürze unter dem Namen »Evoc-Program-Stores« ausgerollt wird. »Wir glauben an den Einzelhandel, stellen aber fest, dass er nicht erfolgreich sein kann, wenn er fünf Rucksäcke nimmt und diese im Laden verteilt«, erläutert Feist das Konzept. »Wir glauben, dass mit einer stimmigen Präsentationsfläche der Kunde ganz anders an das Produkt und die Marke herangeführt wird und damit natürlich die Abverkaufsraten für den Handel viel besser sind.« Der erste Händler aus Hongkong ist übrigens immer noch einer der besten Evoc-Kunden weltweit.

27. Juni 2016 von Daniel Hrkac

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