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Markt - Heimtraining

Indoor in der Krise?

Große Namen, schlechte Nachrichten. Im Markt mit dem Indoor-Radeln rächen sich mit Ende der Pandemie die Management-Fehler. Aber das Geschehen bleibt durchaus sportlich.

Zuhause in die Pedale treten und so Gesundheit und Fitness im Schlafzimmer verbessern – in den ersten beiden Jahren der Corona-Pandemie war das eines der Trendthemen in der Welt des Sports, sei es bei reinen Gesundheitssportlern oder auch bei Wettbewerbsathletinnen. In dieser Zeit beschleunigte sich auch das Tempo in der atemberaubenden Story des Fitness-Startups Peloton. Im Herbst 2019 war Peloton an die Börse gegangen, mit dem Beginn der Pandemie haussierte die Aktie (velobiz.de-Magazin berichtete in der Ausgabe von Juni 2020 über das Unternehmen als Handelsthema).
Doch seit Ende 2021 produziert das Unternehmen vor allem negative Schlagzeilen: Der Aktienkurs brach ein, der aktivistische Investor Blackwells attackierte die Führung unter Gründer John Foley scharf. Foley trat zurück, der ehemalige Spotify-Manager Barry McCarthy übernahm und verkündete massive Stellenstreichungen. Zuletzt überstieg der Fehlbetrag in den Quartalszahlen den Umsatz. Wird die Firma, bekannt für motivierende Kurse für eine zahlungskräftige Zielgruppe, die Krise überstehen?

Nach der Corona-Krise ist vor der Umsatz-Krise

Weitete man in den vergangenen Monaten den Blick, dann konnte man sich schon fragen, ob der Markt für smarte Heimfitnessgeräte mit dem Abklingen der Corona-Krise ebenfalls schwinden würde. Branchendienste wiesen auf Stellenstreichungen bei Zwift und Wahoo hin. Zwift, der Anbieter einer digitalen Trainingswelt im Abomodell, »pausierte« seine Pläne für die eigene Entwicklung eines Trainingsrades für zu Hause und warf gleich 150 Mitarbeitende raus.

»Die Pandemie hatte sicher eine Booster-Funktion.«

Prof. Dr. Niels Nagel, International School of Management

Lässt sich aus diesen Nachrichten etwas zusammenreimen? Ist das Geschäft mit smarter Trainingstechnologie für daheim bereits zum Problemfeld geworden?
Frank Jeniche, der in der DACH-Region für das amerikanische Unternehmen Wahoo spricht, wehrt sich vehement dagegen, dass Wahoo in der Berichterstattung mit den anderen Playern in einen Topf geworfen wird. Die Nachrichten aus den prominenten Firmen mögen zwar teilweise ähnlich klingen, »schaut man sich die Fälle an, sind sie aber vollständig unterschiedlich«. Bei Zwift strich man nicht nur die Produktverantwortlichen für die Hardware aus dem Organigramm, sondern auch gleich die Country-Manager.

Die Auswertung und Analyse von Trainingsdaten über App und Smartphone ist heute mehr als ein Nice-to-have.

Nicht nur in Deutschland gibt es nun für die Community keinen Ansprechpartner mehr. Das wirkt wie ein enormer Kontrast zum offensiven Auftritt, den das Unternehmen in den vergangenen Jahren mit digitaler und TV-Präsenz hingelegt hatte. Insidern zufolge habe sich Zwift »verzockt«, getrieben von Investoren die eigenen Pläne aufgeblasen, jedoch beim Entwickeln der Plattform gegenüber der Konkurrenz einen Rückstand eingefahren.
Folgt man den Argumenten von Frank Jeniche, den Berichten der Insider, der Kritik in der Analyse von Blackwells an Peloton, dann verweisen die schlechten Nachrichten der Einzelfälle nicht auf einen größeren Abwärtstrend. Vielmehr wären Peloton und Zwift eben genau das: Einzelfälle, in denen Missmanagement bestraft wird.

»Man muss schon sagen, dass sehr viele Menschen, die so ein Gerät haben wollen,in den vergangenen zwei bis drei Jahren ihr Gerät auch gekauft haben.«

Frank Jeniche, PR-Manager für Wahoo DACH

Wahoo-Vertreter Jeniche wehrt sich beispielsweise dagegen, dass der gemeldete Personalabbau bei Wahoo etwas mit einer größeren Krise des Unternehmens oder gar den Schlagzeilen anderer Firmen zu tun habe. Im Gegenteil: Wahoo hat ja im Frühling ebenfalls die Übernahme des Software-Anbieters RGT verkündet und ist damit direkt in den Wettbewerb mit Zwift eingetreten. Mit Wahoo X, so heißt das neue Produkt, kombiniert das Unternehmen aus Atlanta, Georgia, fortan Trainingsplanung und virtuelles Radfahren in einem Abo, Kostenpunkt 14,99 US-Dollar pro Monat. Wahoo, das seine smarten Rollentrainer und stationären Fahrräder ja auch über den Fachhandel vertreibt und vor allem als Hardware-Anbieter operiert, wagt also einen Schritt weiter ins Angebot von Software und verzahnt die beiden Aspekte der Wertschöpfung. Macht das Unternehmen damit einen Schritt in Richtung Abschottung, um Kunden möglichst hohe Austrittshürden in den Weg zu stellen? Mitnichten, argumentiert Jeniche. Wahoo werde weiterhin zuvörderst Hardware-Anbieter bleiben und auf offene Protokolle setzen. »Wir wollen plattformunabhängig bleiben und sind für jeden offen, der seine Schnittstellen auch für uns offen hält«, beschreibt Jeniche den Ansatz bei Wahoo. Aus Sicht von Niels Nagel, Professor für Sportmanagement an der International School of Management in Köln, ist das für den Gesamtmarkt eine begrüßenswerte Vorgehensweise. Je weiter sich die Anbieter in eigene Ökosysteme zurückziehen, je größer die Hürden werden, desto eher teilen sie nur den bestehenden Markt untereinander auf. »So gelingt es allerdings nicht, die Zielgruppe insgesamt zu erweitern.«
Dieses Erweitern des Marktes ist keine einfache Sache. Wahoo etwa richtet sich in seiner Marktansprache an performance- oder sportorientierte Radfahrende, Multisportler und Läuferinnen, nicht so sehr an die eher fitnessorientierte Kundschaft aus einer breiteren Bevölkerungsgruppe. Man grenzt sich von Ergometer- und Spinning-Zielgruppen ab. »Man muss schon sagen, dass sehr viele Menschen, die so ein Gerät haben wollen, in den vergangenen zwei bis drei Jahren ihr Gerät auch gekauft haben«, sagt Jeniche. Das Wachstum gerade bei smarten Rollen und smarten Indoor-Bikes, sei mithin eher gemäßigt zu erwarten, auch Produktzyklen dauern immer zwei bis drei Jahre, sodass das Folgegeschäft auch keinen Schub bringt. Es geht also um genaues Abtasten des Marktes und Ansprache weiterer Zielgruppen, die zu einer Marke passen. »Klar ist, dass wir nicht mehr mit der Perspektive wachsen, mit der wir vor zwei Jahren wachsen konnten«, sagt Jeniche. Deshalb schaut er sich behutsam nach weiteren Milieus um, etwa hat er bei der Kieler Woche, einer jährlich stattfindenden Segelregatta, die Produkte von Wahoo präsentiert und mit Interessierten gesprochen, um Potenziale auszuloten.
Schaut man sich den Markt für Heimfitness allgemein an, dann gibt es optimistische Signale: Anfang des Jahres veröffentlichte der Deutsche Industrieverband für Fitness und Gesundheit e. V. (DIFG) eine Studie, die den Heimfitness-Markt auf Wachstumskurs sah.

High-End-Heim-Training richtet sich bisher vor allem an ambitionierte Athleten. Das dürfte sich ändern.

»Bisher hatte man wenig valide Marktdaten, um die Entwicklung zu evaluieren«, sagt ISM-Professor Nagel, der auch als Geschäftsführer des DIFG fungiert. Der Verband wollte also herausfinden, ob der Aufschwung der vergangenen Jahre nur ein Sondereffekt der Pandemie war. Das Fazit: »Die Pandemie hatte sicher eine
Booster-Funktion. Aber das Bedürfnis nach hybridem Training ist ein größerer Trend, der auch darüber hinaus zu beobachten ist«, fasst Nagel zusammen. Zwar gab es seit dem Befragungszeitpunkt einige eintrübende Faktoren, allen voran den Krieg in der Ukraine und die Inflation, aber auf der anderen Seite zeigt die DIFG-Studie eine solide Basis für Marktentwicklung auch mit Ergometern und smarten Trainingsgeräten. 17 Prozent der Befragten gaben in der Studie an, dass sie sich 2022 ein Cardio-Gerät für zu Hause kaufen wollten. Nagel rät dazu, diese Menschen in den Blick zu nehmen und nicht zu sehr die sehr sportaffinen Zielgruppen von Zwift und Co. im Fokus zu haben. »Das ist wie bei E-Sports und Gamern, da gilt es ebenfalls, sich nicht nur auf die zirka sieben Millionen deutschen E-Sportler zu fokussieren, sondern auch das Potenzial des Gesamtmarktes mit 35 Millionen Gamern zu nutzen«, sagt Nagel. Daraus erwächst für Nagel auch ein mögliches Interesse des Radhandels, mit neuen Kunden aus der eher fitnessorientierten Zielgruppe über Ergometer ins Gespräch zu kommen. Bislang ist der Verkauf von High-Tech-Rollen ja eher ein Nischenthema für sehr sportive Radläden.

Mit mehr Design zu breiteren Kundenschichten

Oder eben für einige Ketten wie Stadler und Fahrrad XXL, die in ihrem Angebot auch Fitnessgeräte für das Training zu Hause anbieten: Rudermaschinen, Laufbänder und Ergometer. Darunter auch Geräte von Kettler (Kettler Holding GmbH, bekanntlich nicht zu verwechseln mit dem Fahrradhersteller Kettler Alu-Rad GmbH). Das Geschäft mit Fitnessgeräten unter der Traditionsmarke gehört inzwischen dem Schweizer Unternehmen Trisport. Dessen nächster Schritt zeigt, dass sich Spezialisten vom Markt mit Indoor-Geräten durchaus etwas versprechen. Kettler hat für den Herbst die designorientierte Produktgruppe »Frame-Bike« angekündigt, bei der es sich um eine Variante des Spinning-Bikes handelt, und adressiert damit sehr sportive Kunden und Kundinnen, die das Rad auch mit virtuellen Trainingsplattformen verbinden können. Die Geräte sind von einem ehemaligen Apple-Designer mit Hintergrund in der Luxus-Autoentwicklung entworfen worden und werden zwischen 1.699 Euro und 2.799 Euro kosten. »Wir erwarten mit diesem Produkt kein Massengeschäft, aber sehen es als sehr wertvoll für unser Image an«, sagt Ulrich Kürschner, Sales Director für Kettler. »Das Ziel ist, dass diese Entwicklung unserer gesamten Marke dient«, ergänzt er. Denn das Geschäft mit günstigeren Ergometern passt viel eher zu dem, was die DIFG-Studie herausfand: 451 Euro sind die Menschen im Durchschnitt bereit, für ein Cardio-Gerät auszugeben. Und dieser Markt ist, ganz anders als die Nische der extrem sportlichen Kundschaft, noch lange nicht abgeschöpft. //

1. August 2022 von Tim Farin

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