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Die Podiumsdiskussion führte Christian Rocha (2. von rechts) mit (von links) Beat Zaugg, Urs Keller und Matthias Klopfenstein.
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Schweizer Info-Tech-Forum:

Industrie stellt sich Fragen zu Lagerbeständen und Konjunktur

Die Podiumsdiskussion ist traditioneller Bestandteil der Schulungsveranstaltung. Aufs Tablett kamen zwei Themen, die die Branche nicht nur schweizweit aktuell bewegen.

Zu Beginn des vergangenen Jahres schien es für die Velobranche nach der überstandenen Corona-Krise nur eine Richtung zu geben: Bergauf zu neuen Rekorden. Aber mit seinem Angriff auf die Ukraine sorgte der russische Präsident Wladimir Putin dafür, dass die Energiepreise in die Höhe schossen und die Konsumentenstimmung in den Keller sackte. Während die Nachfrage drastisch abnahm, trafen immer neue Lieferungen - häufig mit großer Verzögerung - bei den Importeuren und danach beim Fachhandel ein, bis die Lager voll und die Sorgen groß wurden. Inzwischen plagen manche Händler wegen Liquiditätsengpässen Existenzängste, während sich alle Handelsstufen Sorgen wegen einer anstehenden Rabattschlacht machen. Darum war es keine Überraschung, dass bei der Infotech das Thema Konjunktur und die Folgen für die Velobranche und den Fachhandel im Zentrum des Branchen-Forums standen.

„Krise light“ in der Schweiz

Zu diesem Thema brachte Velosuisse ein hochkarätig besetztes Podium auf die Bühne. Zunächst umriss Dr. Klaus Abberger vom ETH-Konjunkturforschungsinstitut KOF die aktuelle Lage. Auch wenn die Konsumentenstimmung in der Schweiz vergangenes Jahr auf rekordtiefe Werte abgesackt sei, gebe es ausreichend Gründe zur Zuversicht: So ist die Inflation in der Schweiz mit rund 3 Prozent weit weniger stark als im EU-Raum. Zudem dient die im Vergleich zum angrenzenden Ausland weit höhere Sparquote der Haushalte als Puffer, um existentielle Nöte zu vermeiden. Entsprechend sei der Konsum nie so stark geschrumpft wie andernorts. Auch die Erholung von der Corona-Krise sei schneller von Statten gegangen als von den meisten Experten erwartet, so der Wirtschaftsexperte. Daher hat diese Krise keinen dauerhaften Wohlstandsverlust nach sich gezogen.

Nach diesem ermutigenden Inputreferat bat Moderator Christian Rocha die drei Protagonisten des Podiums auf die Bühne: Mit Beat Zaugg als CEO von Scott Sports, Urs Keller als DACH-Geschäftsführer von Trek und Matthias Klopfenstein als Market Leader Schweiz von Specialized war dieses hochkarätig, aber auch etwas einseitig besetzt. Das mag auch einer der Gründe dafür gewesen sein, dass sich die Meinungsverschiedenheiten auf dem Podium während der folgenden Stunde in engen Grenzen hielten - und einige Statements so geschliffen daher kamen, dass sie direkt aus einer Pressemitteilung hätten stammen können.

Wechselbad der Gefühle

In der Beurteilung der vergangenen 2.5 Jahre waren sich die drei Branchen-Topshots einig: Nach einer ersten Verunsicherung in Folge der geschlossenen Ladenlokale habe die hohe Nachfrage für einen hartnäckigen Mangel an Handelsware gesorgt. Während im Jahr 2020 noch Lager abgebaut werden konnten, verschärfte sich dieser Mangel danach. Und führte an der Verkaufsfront für manch frustrierende Diskussionen wegen verzögerter Lieferungen oder nicht lieferbarer Wunschvelos. «Vororders für 2022 wurden erhöht und dann nochmals für 2023, was die Lieferkette an die Grenzen ihrer Kapazitäten brachte. Als sich dann die Stimmung im Frühjahr 2022 ins Gegenteil verkehrte, konnte die global operierende Industrie gar nicht schnell genug reagieren - ähnlich wie ein träger Öltanker», erläuterte Urs Keller.

Sonderstellung Schweiz

Zugleich wurden die drei Podiumsgäste nicht müde, die Unterschiede des Schweizer Markts zu betonen: Online-Anbieter seien weniger stark, der Fachhandel halte noch immer einen Marktanteil von 80 Prozent - was etwas zu hoch gegriffen ist. Matthias Klopfenstein fügte an: «Der Schweizer Markt ist stabiler und neigt weder im Boom noch in der Krise zu Überreaktionen. Deshalb gilt es, diesem Markt Sorge zu tragen und sich von Entwicklungen im Ausland nicht verrückt machen zu lassen.» Aber auch in der Schweiz sind hohe Lagerbestände ein drängendes Problem. Laut Beat Zaugg sei so viel Ware am Markt, dass erst in ein bis eineinhalb Jahren mit einer Rückkehr zu geregelten Verhältnissen zu rechnen sei. «Bei einigen Händlern entspricht der Lagerbestand dem Jahresumsatz, was aus betriebswirtschaftlicher Sicht haarsträubend ist», so Urs Keller.

Lagerbestände als zentrale Herausforderung

Dass der Abbau dieser Überlager zu einer Erosion der Preisgefüge führen dürfte, ist für die drei Podiumsteilnehmer naheliegend. «Die Hauptbeschäftigung der Branche liegt aktuell in der Annullierung der Produktion, um den Markt nicht mit noch mehr Ware zu fluten», führte dazu Beat Zaugg aus. Laut gut unterrichteten Insidern haben Anbieter wie Trek, Specialized und die Accell Group zusammen über 2,5 Millionen Velos storniert. Wenn es zu Liquiditätsengpässen kommt, dürften die Preise ins Rutschen geraten. Just beim Thema Lagerbestände zeigte sich eine der wenigen Differenzen zwischen den Topshots: Während Beat Zaugg auf Deutschland verwies, wo Fachhandelsverbünde wie Bico dank der Kooperation mit der DZB-Bank hohe Lagerbestände ohne direkte Risiken für den Fachhandel erlaubten, plädierte Urs Keller für ein Primat der Liquidität und möglichst geringe Bestände, um flexibel zu bleiben.

27. Januar 2023 von Laurens van Rooijen

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