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Report - BMX

Jungbrunnen zum Fahren

Sie springen zahlenmäßig nicht ins Auge,
doch die Räder gehören seit den 80ern in jedes Stadtbild. BMX wirkt wie eine Fun-Sportart im Dauertrend, wenn auch auf kleiner Flamme. Was hat es mit der Nische auf sich, und ist das eine gute Chance für Händler?

Wir sind offen für Leute, die sich für unseren Sport interessieren, aber skeptisch, wenn es um den Mainstream geht«, sagt Jann Roßkamp, 47 Jahre alt und BMX-Händler. Er kann für die BMX-Szene sprechen, war und ist er doch selbst Teil davon. Gleichzeitig weiß er: »Das ist einer der Gründe, warum BMX immer noch so klein ist. Das Nerdige.« Ein Beispiel liefert der Geschäftsführer des BMX-Shops Parano Garage gleich mit: »Wenn mich ein Flatlander anruft, kann ich den nur bis zu einem gewissen Grad beraten, wenn ich das nicht selbst betreibe«, erklärt er. Dabei hat er den Laden angefangen, weil er selbst passionierter BMXer und es schwierig war, an Teile zu kommen. Das ansonsten »eher langweilige« Wirtschaftsstudium half ihm 1999 bei der Ladengründung im Hinterzimmer eines Skate-Ladens. »In meiner Kleinstadt gab‘s 20 BMXer«, erinnert er sich, »das waren meine Kunden. Ein richtiger Trend war es damals nicht«, so Roßkamp, »aber mit Aktionen konnte man viele Jugendliche begeistern.« Aus Hobby wurde Beruf. Der entscheidende Schritt war aber 2001 der in den Online-Handel. »2007 hatte ich plötzlich einen der größten Mailorder Europas, zusätzlich hatten wir einen Großhandel unter anderem Namen.« 24 Leute arbeiteten in zwei großen Lagerhallen. Zu viel für seinen Geschmack. »Ich hatte kaum mehr Kontakt mit den Kunden. Je größer der Laden, desto weniger hat man mit der Materie zu tun. Ich wollte raus aus dem Trubel, unter Menschen sein, die BMX im Herzen tragen«, erklärt er seine Entscheidung, aus der Kleinstadt aufs Land zu gehen und wieder zu verkleinern. Heute hat der aktive BMXer zwei Angestellte und berät in einer kleinen Ecke seines Lagers, in einem kleinen Verkaufsraum mit Ausstellung.
90 Prozent des Verkaufs geschehen
online.

Eine Nische voller Überraschungen

Wer sich mit BMX beschäftigt, muss sich weit einarbeiten, vieles ist sehr speziell. Das fängt bei den Laufradgrößen an. Sie startet für Youngsters bei 16 Zoll, Erwachsene fahren meist 20 Zoll. Aufgrund der Robustheit wird bei den Rahmen auf Stahl gesetzt, wenige Hersteller bieten Alu an. Viele Hardcore-BMXer schwören auf die Robustheit von Stahl. Zehn Kilogramm wiegt ein leichtes Rad. Dann geht’s an die Feinheiten: Rahmengeometrien, Lenkerformen, Lenkerhöhen, Felgen, Reifenart und -profil, alles ist wichtig. Wer eine Bremse am Vorderrad hat, braucht einen Rotor, eine Art Kupplung, die es ermöglicht, das Vorderrad endlos zu drehen, ohne dass ein Kabel abrupt den Weg begrenzt. Einen eigenen, ganz ins Steuerrohr integrierten Rotor hat man bei KHE ( https://www.khe-bikes.com ) entwickelt. »Das macht das Rad filigraner und harmonischer«, sagt Thomas Göring vom deutschen Hersteller KHE in Dettenheim, nördlich von Karlsruhe. Er hat mit seinem Bruder Wolfgang 1988 KHE gegründet und baut seit 1990 BMX-Räder. Denn »mit dem Aufkommen des MTBs haben sich Firmen wie GT oder Schwinn immer weniger um den BMX-Sport gekümmert.« Lange Jahre war das Konzept, den stationären Handel über einen Großhändler zu beliefern. Das scheiterte vor sieben Jahren. Es gab einen »Neuanfang«, seither wird nur noch online verkauft. »Wir haben jetzt wieder mehr Draht zum Endkunden«, sagt Göring, »wie am Anfang als Fahrer.«
KHE verkauft in die USA, nach Kanada und andere Länder in Übersee. Beim Hersteller kann man fast alle Komponenten aus der eigenen Produktion kaufen, vom Lenker über die Pegs (Rohre an Vorder- und Hinterachse zum »Grinden«) bis zum hin zum leichten Reifen mit Kevlar-Karkasse. »Das ist für Einsteiger interessant, die etwas Erfahrung haben und erste Verschleißteile ersetzen wollen, aber in den gängigen Mailorder-Shops nur hochpreisige Komponenten finden.« Da ist er wieder, der Nerd-Faktor. Tatsächlich sind Komponenten für den After Market meist für ambitionierte Fahrer und Fahrerinnen konzipiert, daher in höheren Preiskategorien zu finden.


Manche Marken wie Sunday oder KHE schaffen es von Deutschland aus in die USA. Meist herrscht aber die Gegenrichtung.

»Wir machen genauso viel Umsatz an Rädern wie an Teilen«, erzählt Göring. »Bei 18-Zöllern, also Räder für Kinder um die zehn Jahre, sind wir der Platzhirsch.« Etwa 10.000 Räder gehen jährlich über den Online-Ladentisch. Dabei hilft auch Decathlon seit einiger Zeit mit. KHE verkauft beim französischen Riesen auf Marktplätzen. Vertrieb über Händler gibt’s nur noch in der Schweiz und über einen großen deutschen Filialisten.

Vom Fahrer zum Vertreiber

Michael Müllmann, auch ein aktiver BMX-Fan, konnte sich Anfang der 80er-Jahre die Importrechte für GT sichern, die groß in den aufstrebenden BMX-Markt eingestiegen waren. Dafür gründete er Sport Import und vertrieb neben amerikanischen BMX-Rädern schon bald auch andere Marken, auch in anderen Segmenten.
»Wir sind Marktführer in Deutschland«, erklärt Bodo Hellwig, der heutige Category Manager BMX von Sport Import. Drei bis vier große weitere Player gibt es seiner Einschätzung nach in Deutschland neben Sport Import, die heute in Edewecht bei Oldenburg sitzen. Hellwig hat erlebt, wie der BMX-Markt in den letzten Jahren arg durcheinander geschüttelt wurde. »Der Freestyle-Bereich ist in den Corona-Jahren stark gewachsen, was auch an vielen neuen Skateparks und Pumptracks lag. Dadurch haben die Kids viel mehr Möglichkeiten.« Trotzdem ging es im BMX in den letzten Jahren mehr noch als in den andern Bike-Segmenten stark auf und ab. Spätestens im zweiten Pandemiejahr ausverkauft, schwappt die Welle danach stark zurück. Grundsätzlich aber ist man positiv gestimmt. »80 Prozent der Kids benutzen das BMX-Rad auch für den Schulweg« sagt Hellwig und zeichnet damit ein Bike-Segment, das vor allem von Fans und Bike-Freaks definiert wird und durch junge Einsteiger auch Zukunft hat.
Derzeit beliefert Sport Import etwa 15 reine BMX-Shops regelmäßig mit Marken wie Sunday, Wethepeople, Si-BMX, DK oder Tempered. Dazu kommen einige große Unternehmen wie Stadler oder XXL-Bikes, die nebenher auch BMX im Programm haben. Meist geht es um reine Kinder- oder Einsteiger-Bikes. Wer Publikum will, das auch hochpreisige High-End-Produkte kauft, muss auch in fachkundige Beratung und Service investieren. Und das ist bei BMX nicht so einfach, es braucht Erfahrung. »Um die 25.000 BMX-Räder pro Jahr groß ist der Markt in Deutschland«, schätzt Hellwig. Außen vor bleiben bei dieser Zählung Baumarkt- und sonstige Räder, die sich für sportives Fahren nicht eignen. Der Einstiegsbereich liegt bei gut 400 Euro. »Vor Corona waren das noch 300 Euro.« Auch für die Nachwuchsförderung tut man etwas: Sport Import hat im Freestyle-Bereich mehrere Fahrer-Markenbotschafter, und auch im Race-Bereich wird ein Fahrer gesponsert.

Ungewohnte Strukturen

2008 wurde in Köln Traffic Distribution gegründet, ursprünglich als Vertreiber und Produzent von Fixedgear- und BMX-Marken. Darunter sind auch Eigenmarken wie Eclat (Komponenten) und Radio Bikes. Mittlerweile bestimmt ein ganzes Konglomerat von Tochter- und Mutterfirmen das Erscheinungsbild von Traffic. Auch sonst läuft nicht alles auf den typischen Wegen: Bestimmte Eigenmarken werden von Sport Import oder anderen Unternehmen vertrieben, während Traffic selbst wiederum andere Marken hier und in anderen Ländern vertreibt. Einer der heute bekanntesten Namen ist Bombtrack.


Kultige Produkte bedeuten nicht eine überladene Optik, wie der People‘s Store in der Kölner Südstadt zeigt.

Martin Kiesewetter, Head of Sales und Purchasing der Kölner erklärt: »Wir decken Europa komplett ab. Wo es Vertriebe zwischenzeitlich nicht geschafft haben, das komplette Angebot abzubilden, haben wir den Vertrieb unserer Marken wieder selbst übernommen. Es gab in letzter Zeit viele Vertriebswechsel.«
Auch hier teilt man vor allem in Race- und Freestyle BMX. »In Race gibt es den Einstiegsbereich und dann vor allem die gehobene Mittelklasse bei uns«. Bei BMX Street dagegen gibt es viele verschiedene Preisniveaus. Hier bietet Traffic sogar ein Bike mit Carbon-Rahmen an. »Damit sind wir die Ersten!« Auch bei Traffic ist der Einstiegspreis seit 2019 stark gestiegen – von etwa 300 auf knapp 500 Euro. Darunter scheidet manches aus: »Springen ist mit einem günstigeren Bike nicht lange drin.« Auch wenn man hier gerade viel auf und ab erlebt hat, freut man sich über einen breiter werdenden Zuspruch in Deutschland.
Der Lifestyle einer Sportart wird auch von den dazu gehörigen Accessoires und der Bekleidung transportiert. Deren Verkauf ist bei Traffic zurückgegangen. Den Grund dafür sieht Kiesewetter im schmaleren Geldbeutel der Kunden und Kundinnen, aber auch im Brexit und den gestiegenen Frachtkosten, vor allem für das Shipping aus den USA. Insgesamt ist auch bei Traffic, die nur B2B vertreiben, für BMX Anfang 2022 die Umsatzkurve vorübergehend abgeflacht.

»Der Händler sollte schon aus der Szene sein«

Im Kölner Szeneviertel Südstadt hat Christoph Nöckel seinen BMX-Laden People‘s Store. »Früher war Köln eine Hochburg, schon wegen der Weltmeisterschaft«, sagt Nöckel, selbst seit 1999 BMXer. »Aber auch heute ist viel Potenzial hier. Die Szene braucht einen Laden als Anlaufpunkt, trotz der Online-Shops.« Treffen sind wichtig, um die Szene zusammenzuhalten. Er selbst schätzt sie in Köln heute auf 400 Leute. »Als ich anfing, waren das vielleicht 60. Mittlerweile gibt’s überall Skateparks. Und die Skatehalle ist im Winter so voll, dass es Einlasssperren gibt«, erzählt er. Er sieht BMX in einer ständigen Auf- und Ab-Bewegung auf insgesamt aber steigendem Niveau.
Im Laden hat er Räder in allen Preisbereichen, aber keine Race-Bikes. »Die gehen fast nur fast online«, sagt er. »Natürlich ist das hier mit einem normalen Fahrradladen nicht zu vergleichen – deine Klientel ist absolut Nische.« Seit 16 Jahren hat er seinen Laden, »manchen Kunden oder Kundin kenne ich seit dieser Zeit«, sagt der Kölner lächelnd. Sein Laden in der Szene-Shoppinglage hat 100 Quadratmeter, auf denen er sich auf fünf bis acht Marken konzentriert.

Auch bei Kunstform in Stuttgart ist die Präsentation auf das Wesentliche reduziert. Das Produkt spricht für sich. Prominente Produktgruppe, die sonst nicht oft im Radladen zu finden ist: Sneaker.

»Wir haben uns für die Räder und Komponenten entschieden, hinter denen wir wirklich selbst stehen.« Drei Leute bilden das Team von Nöckel, ein weiterer Mitarbeiter arbeitet im Online-Shop.
»Für 350 bis 600 Euro bekommt man ein sehr vernünftiges Rad. Alles über 800 ist dann nice to have. Mehr Geld kann man bei Race-Rädern versenken.« Wie sehr der Treffpunkt-Charakter eines Szene-Ladens den Umsatz bestimmt, zeigt die Tatsache, dass über Online und stationären Laden etwa gleich viel verkauft wird.

Eine kleine BMX-Ecke für jeden Bike-Laden?

Den klassischen Weg vom BMXer zum Ladengründer ging auch Daniel Fuhrmann in Eberswalde als Jugendlicher ab 1999. Er wurde selbst BMX-Profi und kam viel herum, lernte viele Fahrer und Fahrerinnen und tolles Material kennen. »Das ›Megacoolste‹ gab‘s damals nur in USA«, erzählt er. Und deshalb wurde
in seiner BMX-WG in Stuttgart vor allem von dort bestellt. Schleichend kam die Entwicklung hin zum Shop. 2008 wurde der offiziell eröffnet. Irgendwann geriet das Informatik-Studium in den Hintergrund, weil dafür zu wenig Zeit war. Heute hat er zwei Läden namens Kunstform, einen in Stuttgart mit 500 Quadratmetern und seit 2019 einen halb so großen in
Berlin.
In den Corona-Zeiten gab es lange Schlangen vor den Läden, August 2020 »haben wir überlegt zu schließen, weil kaum mehr was da war«, erinnert er sich. Etwa 10.000 Räder verkaufte er 2021, in normalen Jahren pendelt es sich bei gut 2000 bis 3000 ein.
»Wir verkaufen bewusst nur zuverlässige Räder und Marken. Wenn ich im Skatepark bin, will ich nicht angesprochen werden, dass etwas an dem Rad,
das ich verkauft habe, nicht funktioniert«, sagt er.
Auch hier wird online verkauft. Satte 90 Prozent des Umsatzes macht Kunstform damit. Marketing? Fuhrmann setzt unter anderem auf Anzeigen in der einzigen deutschen BMX-Zeitschrift Freedom BMX. Im Laden hat er immer drei bis fünf Einsteiger-Räder mit 18 und 20 Zoll, das Gros ist aber Mittel- und Oberklasse.
Auch der klassische Radhändler sollten nach
Fuhrmann einige Einsteiger-Bikes im Laden haben, »besonders, wenn ein Bikepark in der Nähe ist.« Die Youngsters kommen vor dem gemeinsamen Ride im Laden zusammen zum Fachsimpeln, können aber dort auch gleich Verschleißteile besorgen oder
sich von einem Bike-Angebot antriggern lassen.
Insgesamt bestätigt sich BMX damit als spannende Nische, die aber hohe Einstiegshürden für den Handel bereithält. Wer keinen Bezug zur Szene und zu ihren verschiedenen Geschmacksrichtungen hat, wird noch mehr als in anderen Segmenten keinen glaubwürdigen Auftritt hinlegen können. Gerade im Kinderbereich lohnt der Blick auf BMX für den breiter aufgestellten Fahrradhandel trotzdem. Man muss einfach festhalten, dass die Räder auch 40 Jahre nach E.T. immer noch ausgesprochen cool sind. //

20. April 2023 von Georg Bleicher

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