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Kolumne - Marius Graber

Kriegen wir die Kurve?

Da bin ich voll auf die Fresse gefallen. Zum Glück sah das die Kundin nicht. Sie interessierte sich für ein E-MTB, und bevor ich sie auf die Probefahrt schickte, wollte ich noch kurz überprüfen, ob mit dem Velo alles in Ordnung war. War es auch, doch als ich...

... auf meiner Mikro-Probefahrt wenden wollte, schafften das olle Bike und ich die Kurve nicht. Peng. Ich war komplett perplex, schließlich bin ich diese Testrunde schon hundertfach gefahren und dachte nicht im Traum daran, dass es ein Bike geben könnte, welches die enge Kurve nicht kriegt. Als ich mich aufrappelte, wurde mir dann klar: integrierte Kabel, Lenkeinschlagbegrenzung, was dazu führt, dass dieses E-MTB einen Kurvenradius von 2 Metern bekommt. Eine komische Priorisierung, denke ich: Da waren dem guten Produktmanager die integrierten Kabel wichtiger als ein E-MTB, das auf dem Trail funktioniert. Wurden die Kundinnen und Kunden mal befragt, ob ihnen die integrierten Kabel wichtiger sind als ein kleiner Kurvenradius? Dasselbe letzthin bei einer Sattelklemmung an einem 3500-Schweizer-Franken-E-Bike. Sieht zwar hübsch aus, doch funktioniert nur mit zwei Schräubchen, welche in der richtigen Reihenfolge und mit dem richtigen Drehmoment angezogen werden müssen. Wäre das an einer 12.000-Franken-Zeitfahrmaschine, könnte ich mich für eine solche Lösung begeistern. Doch wie würden die Kundinnen und Kunden entscheiden, wenn sie gefragt würden, ob sie gerne erst eine Bedienungsanleitung lesen wollen, wenn die etwas kleinere Freundin mal eben das Rad ausleihen möchte?
Gut: Ein gewisses Verständnis habe ich und stelle mir vor, dass die guten Produktmanager nach dem Taiwan-Messetag beim Bier zusammenhocken und fachsimpeln. Da will keiner hintenanstehen und sagen, »nein, nein bei uns gehen die Kabel noch immer außen durch«. Und mit einer schnöden Sattelklemmbride kann man da nicht protzen. Ich aber bezweifle, ob die letzten Designtrends bei den Velos wirklich im Sinne der Kundschaft sind. Zur Funktions- kommt dann auch noch die Wartungskosten-Thematik dazu, darüber hatte ich mich ja schon ausgelassen. Wer mich nicht kennt, mag mich nun für einen Innovations-Zauderer halten. Doch wie heißt es so schön: Der Köder muss dem Fisch gefallen, nicht dem Fischer.
Ich reibe mein Handgelenk und hoffe fest, dass die Branche auch diesbezüglich die Kurve kriegt.
Die Kundin kommt zurück. Mir bangt, denn ich fürchte, dass ich nun zu einem Exkurs über Lenkeinschlagwinkel und Fahrtechnik genötigt bin. Sie: »Schönes Rad«. Ich: »Ja, toll gemacht, harmonische Rahmenform, aufgeräumtes Cockpit und alle Kabel schön integriert.« Sie schaut mich verdutzt an: »Nein, nein, ich meine die Farbe. Das ist genau mein Lieblingsblau.«

Marius Graber ist seit über 35 Jahren Fahrradhändler in Luzern und schreibt seit 25 Jahren für Fachmagazine über Fahrradtechnik, Reisen und die Branche.

11. August 2025 von Marius Graber
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