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Börse - Fahrradaktien

Mit dem Rad zur Börse

Nur wenige Unternehmen der Fahrradbranche sind bislang börsennotiert. Doch das scheint sich gerade ein wenig zu ändern. Auch in Deutschland. Ist das schon ein kleiner Trend?

Anmerkungen: Angaben in Landeswährung  KBV = Kurs-Buchwert-Verhaeltnis, KUV = Kurs-Umsatz-Verhaeltnis, KGV = Kurs-Gewinn-Verhaeltnis 

Mit dem E-Bike-Zulieferer hGears und dem Online-Händler Bike24 wagten in diesem Jahr bereits zwei Branchenvertreter den Sprung aufs Börsenparkett. Der Batteriehersteller BMZ und der Handelskonzern Signa Sports dürften folgen – und nicht die letzten Börsenneulinge aus dem Umfeld der Fahrradbranche bleiben.
Die vier Unternehmen haben abgesehen von der Fahrradbranche auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Sie kommen sowohl aus der Industrie als auch aus dem Handel und die Wege an die Börse sind ebenfalls unterschiedlich.
Wachstumsfinanzierung ist ein klassisches Motiv für den Schritt an die Börse, das auch auf die meisten Kandidaten aus der Fahrradbranche zutrifft. »Mit den Erlösen aus dem Börsengang stellen wir den Aufbau von Produktionskapazitäten für ein beschleunigtes Wachstum sicher«, sagte etwa Daniel Basok, Finanzvorstand von hGears, im Vorfeld des Börsengangs. Es wurde schließlich ein Bruttoemissionserlös von 62 Mio. Euro, der in die Kassen des E-Bike-Zulieferers floss.
Die Frankfurter Beteiligungsgesellschaft Finatem trennte sich im Zuge des Börsengangs von hGears-Anteilen, ist aber mit gut 35 % weiterhin größter Aktionär. »Wir haben vor knapp zehn Jahren die Herzog GmbH erworben und 2014 mit der ebenfalls von uns akquirierten mG miniGears in Italien im Rahmen einer Buy & Build-Strategie zu dem Unternehmen hGears fusioniert«, berichtet Christophe Hemmerle, Geschäftsführer und Gründungspartner bei Finatem. In seiner jetzigen Aufstellung ist hGears also das Konstrukt eines Finanzinvestors. Seinen Anteil dürfte Finatem mittelfristig dennoch weiter reduzieren.

Öffentlich und privat

Bei hGears hatten Privatanleger bereits während der Angebotsfrist kurz vor der Notierungsaufnahme an der Frankfurter Börse die Möglichkeit, Aktien zu zeichnen. Es handelte es sich um ein sogenanntes öffentliches Angebot. Der Online-Händler Bike24 wählte dagegen den Weg der Privatplatzierung. Die Bezeichnung ist ein wenig irreführend, denn Privatanleger hatten keine Möglichkeit, Aktien vor dem Börsengang zu zeichnen. Eine Privatplatzierung richtet sich ausschließlich an institutionelle Investoren.
Wie bei hGears ist bei Bike24 eine Beteiligungsgesellschaft, in diesem Fall Riverside, im Spiel, die sich im Zuge der Privatplatzierung von Anteilen trennte. Bike24 erzielte einen Bruttoemissionserlös von rund 100 Mio. Euro, was eher am unteren Ende der Erwartungen lag. Das frische Kapital soll ebenfalls in die Wachstumsfinanzierung fließen, und zwar zur »Beschleunigung des internationalen Wachstumskurses der E-Commerce-Plattform«.
Für Anlegerinnen und Anleger der ersten Stunde hat sich die Bike24-Aktie bisher gelohnt. Der Kurs liegt bei Redaktionsschluss derzeit knapp 8 % über dem Einstandspreis. Anders sieht es beim hGears-Papier aus, bei dem es nach einem guten Börsenstart im Anschluss eher abwärts ging.

Fusion mit einer Hülle

Einen speziellen Weg an die Börse wählt Signa Sports. Das Berliner Unternehmen, zu dem unter anderem fahrrad.de gehört, fusioniert mit dem SPAC Yucaipa Acquisition Corporation und übernimmt dessen Börsennotierung. Bei einem SPAC handelt es sich um eine zunächst leere Unternehmenshülle, die ausschließlich zu dem Zweck gegründet wird, um Unternehmen den Weg an die Börse zu erleichtern.

Namhafte Unternehmen mit Fahrradbezug finden zuletzt häufiger ihren Weg an die Börsen dieser Welt oder planen, dies zu tun.

Der Vorteil dieser Konstellation für Signa Sports ist, dass ein Großteil der oft langwierigen Vorbereitung eines »klassischen« Börsengangs wegfällt. Das betrifft etwa formelle Anforderungen und das »Klinkenputzen« bei Investoren im Vorfeld der Aktienplatzierung. Denn darum hat sich ja bereits Yucaipa gekümmert. Findet die Transaktion planmäßig statt, ist Signa Sports im Laufe des zweiten Halbjahrs an der New Yorker Börse notiert.
Dem Vernehmen nach erhält der Handelskonzern durch die Börsennotierung 350 Mio. US-Dollar zusätzliche Liquidität. Diese kann Signa Sports für weitere Übernahmen gut gebrauchen. Die Akquisition des britischen Online-Fahrradhändlers Wiggle wurde sicher nicht zufällig gleichzeitig mit den Börsenplänen veröffentlicht.
Für europäische Unternehmen ist es inzwischen keineswegs ungewöhnlich, beim Börsengang direkt den Weg über den großen Teich zu wählen. Sie versprechen sich dort – häufig nicht zu Unrecht – ein größeres Investoreninteresse und damit eine bessere Kursentwicklung. Die durch mehr oder
weniger erfolgreiche Corona-Impfstoffprojekte bekannten deutschen Medikamentenentwickler Biontech und Curevac sind beispielsweise jeweils direkt in New York an die Börse gegangen.
Unternehmen, die den Börsengang durch die »Hintertür« über einen SPAC anstreben, sind in den USA ohnehin besser aufgehoben. Denn dort sind allein 2020 über 100 dieser Mantelgesellschaften gelistet worden. Nach Europa schwappt dieser Trend nur langsam herüber. Für Privatanlegerinnen und -anleger sind SPACs allerdings eine riskante Angelegenheit. Sie kaufen quasi die »Katze im Sack«. Wenn der SPAC seine Unternehmenshülle ausgefüllt hat, wie Yucaipa mit Signa Sports, kann man sich als Privatanleger die Aktie ja immer noch anschauen und weiß, was man da kaufen würde.

Batteriehersteller unter Strom

Ein bereits nicht nur in der Fahrradbranche bekanntes Unternehmen ist BMZ. Ob und in welcher Form der Batterie- und Akkuanbieter an die Börse gehen wird, lässt sich noch nicht absehen. Das Unternehmen selbst hat bis zum Redaktionsschluss noch nichts Konkretes verlauten lassen. Medienberichten zufolge sind allerdings Banken bereits mit der Vorbereitung des Börsengangs betraut.
Dass Batteriehersteller an der Börse gefragt sind, zeigt Varta. Der Aktienkurs des schwäbischen Traditionskonzerns hat sich binnen eines Jahres mehr als verdoppelt.

Unternehmen der Fahrradbranche, die an der Börse gelistet sind, finden sich in aller Herren Länder. Hier findet sich eine kleine Auswahl.

Verschiedene Faktoren kommen also zusammen, die Unternehmen aus dem Umfeld der Fahrradbranche derzeit verstärkt an die Börse bringen. Eine wichtige Rolle spielt der Kapitalmarkt. Insgesamt scheint es ein gutes Jahr für Börsengänge zu sein. Allein in Deutschland wagten bereits im ersten Halbjahr 2021 mehr Unternehmen den Schritt aufs Parkett als im Gesamtjahr 2020. Dabei wurde auch bereits deutlich mehr Geld eingesammelt.

Interessierte Investoren

Gerade aus der Fahrradbranche könnten in den kommenden Jahren weitere Börsendebütanten hinzukommen. Besonders das boomende E-Bike-Segment rief in den vergangenen Jahren Branchenneueinsteiger auf den Plan. Dabei handelte es sich bekanntlich sowohl um etablierte Unternehmen aus anderen Bereichen als auch um Start-ups. Besonders Letztere benötigen in der Regel Anschubfinanzierung, wodurch Investoren verstärkt auf die Fahrradbranche aufmerksam wurden.
Hier häufen sich tatsächlich in den letzten Monaten die Meldungen, dass junge Unternehmen erfolgreich Finanzierungsrunden abschließen. Da es zum Geschäftsmodell der dort beteiligten Investoren gehört, nach gewisser Zeit ihr Engagement möglichst mit sattem Gewinn zu beenden, sind diese jungen Unternehmen potenzielle Börsenkandidaten der Zukunft. Ein Börsengang ist dabei freilich nicht die einzige Ausstiegsoption für die Investoren. Noch häufiger streben sie einen Verkauf an, entweder an ein Unternehmen aus der Branche (»Trade Sale«) oder an einen anderen Finanzinvestor (»Secondary Deal«).

»Im ersten Halbjahr 2021 flossen weltweit 2,64 Mrd. Euro über Venture-Capital-Finanzierungsrunden in junge Unternehmen – ein absoluter Rekordwert.«

Unternehmen, die bereits Investoren an Bord haben, sollte der Schritt an die Börse vergleichsweise leichtfallen. Die für börsennotierte Gesellschaften geltenden Regulierungen mögen zwar häufig abschrecken. Wer jedoch bereits im Vorfeld mit externen Geldgebern zu tun hat, muss diesen gegenüber in finanzieller Hinsicht ohnehin »die Hosen runterlassen«.
Das Geld bei den Investoren sitzt jedenfalls locker. Einer aktuellen Studie zufolge flossen im ersten Halbjahr 2021 weltweit 2,64 Mrd. Euro über Venture-Capital-Finanzierungsrunden in junge Unternehmen – ein absoluter Rekordwert und 2,3-mal so viel wie im Vorjahreszeitraum. Gleichzeitig summierte sich das Transaktionsvolumen von Private-Equity-Deals in Europa, womit Anteilskäufe an reiferen Unternehmen zusammengefasst werden, in den ersten sechs Monaten des Jahres auf über 150 Mrd. Euro. Das ist mehr als jeweils in den kompletten Jahren 2010 bis 2019.
Investments von Private-Equity-Häusern gelten häufig als letzte Vorstufe für einen Börsengang. Der umgekehrte Weg ist jedoch auch nicht unüblich. Gerade wenn die Kassen der Investoren – wie zurzeit – gut gefüllt sind, kaufen sie mitunter bereits börsennotierte Unternehmen auf und nehmen sie von der Börse. Eine spätere Rückkehr auf den Kurszettel ist dabei nicht ausgeschlossen.

Unterschiedliche Erfahrungen

Bike24 und hGears sind seit längerer Zeit die ersten börsennotierten Unternehmen aus Deutschland mit einem starken Standbein in der Fahrradbranche. Mit den »Vorgängern« Mifa und Derby Cycle machten die jeweiligen Aktionäre höchst unterschiedliche Erfahrungen. Während die Mifa Mitteldeutsche Fahrradwerke AG den Weg in die Insolvenz antreten musste, wurde Derby Cycle bekanntlich nach recht kurzer Börsenhistorie von der niederländischen Pon Holdings aufgekauft. Früh investierte Aktionäre konnten damit ihr Investment mehr als verdoppeln. An die Börse gebracht worden war Derby Cycle übrigens wie kürzlich hGears von der Beteiligungsgesellschaft Finatem.
Neben den beiden genannten Neulingen sind natürlich noch weitere deutsche börsennotierte Unternehmen in der Fahrradbranche tätig. Konzerne wie Continental und Varta haben ihre Schwerpunkte jedoch in anderen Segmenten, deshalb lohnt sich ein Blick ins benachbarte Ausland. Die niederländische Accell Group mit ihren zahlreichen Marken ist einer der weltweit größten Fahrradhersteller der Welt.
Wie nahezu die gesamte Branche konnte Accell 2020 kräftig zulegen. Der Umsatz stieg 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 16,7 % auf knapp 1,3 Mrd. Euro. Für 2022 wird ein Umsatz zwischen 1,4 und 1,5 Mrd. Euro angepeilt. Detailliertere Umsatzziele nennt das Unternehmen nicht. Angesichts der Gesamtentwicklung ist es nicht verwunderlich, dass sich die Accell-Aktie in diesem Jahr deutlich besser schlug als der Markt und erst kürzlich ein neues Allzeithoch erreicht hat.
Das Hauptgeschäft der österreichischen Pierer Mobility AG sind zwar Motorräder, die von Susanne und Felix Puello aufgebaute Fahrradsparte ist jedoch kräftig gewachsen. Im ersten Quartal 2021 wurden mehr als doppelt so viele E-Bikes und Fahrräder verkauft wie im Vorjahreszeitraum. Die Pierer-Aktie weist für 2021 keine ganz so starke Performance wie das Papier der Accell Group auf, erreichte aber ebenfalls Ende Mai ein Allzeithoch.

Fahrradaktien weltweit

Die Aktien der Fahrradbranchen-Schwergewichte Giant und Merida sind zwar auch börsennotiert, allerdings nur in Taiwan. Damit sind sie für europäische Privatanleger kaum zugänglich. Die Aktien der nordamerikanischen Unternehmen Dorel Industries und Fox Factory mit ihren großen Fahrradsparten werden dagegen an deutschen Börsenplätzen gehandelt. Das gilt ebenso für die Aktien von Shimano.
Wer also Geld in die Fahrradbranche investieren möchte, hat durchaus einige Optionen. Sogar deutsche Fahrradaktien finden sich seit Kurzem wieder auf dem Kurszettel. Und es könnten in naher Zukunft noch mehr werden.
Das Risiko eines Aktieninvestments sollte man dabei immer im Blick haben. Schließlich weiß man im Vo­raus nicht, ob die Entwicklung eher in Richtung Mifa oder Derby Cycle geht (wobei man als Branchenkenner in diesen beiden Fällen womöglich eine Ahnung hätte haben können). Die Aktie des breit und international aufgestellten Fahrradherstellers Accell Group hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Ähnliches könnte dem Online-Händler Bike24 gelingen, der ebenfalls auf Internationalisierung setzt. Sollten sich zudem die kolportierten Börsenpläne von BMZ konkretisieren, spricht zumindest der steigende Bedarf an Akkulösungen für eine erfolgreiche Zukunft. Und die wird an der Börse schließlich gehandelt.

5. August 2021 von Oliver Bönig

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