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Mit Herz & Hirn
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Handel - Velostyle

Mit Herz & Hirn

An der Kieler Veloroute 10 schlägt ein Fahrradherz aus Backstein: Hier befindet sich Velostyle. Ein Fahrradladen, der nicht nur Bikes verkaufen, sondern sie aktiv in den Alltag seiner Kunden integrieren möchte. Mit cleveren Ideen und viel Herzblut.

Die Veloroute 10 ist die längste autofreie Fahrradstraße in Kiel. Auf 4,2 Kilometern verbindet das vier Meter breite Asphaltband auf einer ehemaligen Gütergleistrasse vielfrequentierte Lokalitäten wie den Citti-Park, das Technologiezentrum KITZ mit mehreren hundert Mitarbeitern, die Universität, den Wissenschaftspark und das Holstein-Stadion. Zwei- bis dreitausend Fahrräder rollen ­täglich über die »Fahrradautobahn«. Ungefähr auf halber Höhe liegt ein Backsteingebäude, das der Sitz von Velostyle ist – einem Radladen, dessen Besitzer mehr wollen, als nur das nächste Fahrrad verkaufen. Von ­seinem Büro aus hat Klaus-Dieter Nebendahl, einer der beiden Gründer, direkten Blick auf die Veloroute 10. Näher am Fahrrad als Fortbewegungsmittel kann man nicht sein. Und genau das will Velostyle: Nah dran sein am Fahrrad als Mobilitätsform – und möglichst viele Menschen aufs Bike bringen. »A bike city is a happy city« lautet das Motto von Nebendahl und seinem Geschäftspartner Alexander Sonders. In weißen Buchstaben auf schwarzem Grund hängt es als Poster in der knapp 80 Quadratmeter großen Werkstatt-Verkaufs-Ausstellungsfläche, auf der sich Urban-Bikes, Holland-, Retro- und Transporträder von hierzulande eher seltenen Marken wie Cortina, Pelago, und Mika Amaro sowie E-Bikes von Coboc und Biomega drängen. Dazwischen liegen bunte Klingeln und Radfahrer-Airbags von Hövding auf Sideboards und stapeln sich farbenfrohe City- und Sport-Helme in Regalen.

Vom Netz ins Netzwerk

Mit denen hat vor drei Jahren alles angefangen. Damals hatten Alexander Sonders und Klaus-Dieter Nebendahl, beide Kollegen in einer Kieler Bank, die Möglichkeit, einen Online-Shop für Fahrradhelme zu übernehmen. »Der Shop existierte und lief schon. Das hat auch den Aufbau des Ladens leichter gemacht«, erinnert sich Sonders. Und der Ladenaufbau ließ nicht lange auf sich warten, rund drei Kilometer nordwestlich der Kieler Altstadt. Ihre Nachbarn sind eine Modemacherin, ein Coachingunternehmen, eine Siebdruckwerkstatt, eine Osteopathin, eine Hausverwaltung, ein Architekturbüro und eine Rösterei mit Café. Letztere ist beliebt in Kiel; viele Kunden wurden und werden auf Velostyle aufmerksam, weil sie sich eigentlich nur einen Kaffee holen wollten. Inzwischen kennen Sonders und Nebendahl gefühlt jeden zweiten Cafébesucher – und auch sonst ziemlich viele Menschen in der Stadt. »Wir sind Netzwerker«, sagen sie. Eine Eigenschaft, die stark dazu beiträgt, dass Velostyle sich seit drei Jahren kontinuierlich in Bekanntheitsgrad und Umsatz steigert. In Kiel blüht gerade eine lebendige Start-up-Szene auf – und zu der pflegen die beiden Velostyle-Gründer regen Kontakt. Einmal im Jahr organisieren sie das Kieler Fahrradfest mit befreundeten Radläden und ihren Nachbarn im Backsteingebäude. Es gibt Craftbeer von einer lokalen Brauerei, Foodtrucks, Musik von der Schlagzeugschule um die Ecke, eine Fahrradschau und natürlich die Möglichkeit zum Probefahren. Menschen, die das Rad nur ab und zu für kurze Alltagswege nutzen mischen sich mit Rennradsportlern, die nach der Wochen­endrunde noch kurz vorbeischauen. Jeder ist willkommen, jeder soll sich wohlfühlen. Ähnlich beim Fahrrad Kino Open Air, wo an einem Abend im Herbst, wenn es früher dunkel wird, ein Velo-Film auf eine Leinwand an der Außenmauer des Laden-Gebäudes projiziert wird, oder dem Wintermarkt, der »kleinen Version« des Fahrradfests mit Burgern und Punsch.

Radservice ist mehr als ­Werkstatt

m Fahrrad ein gutes Gefühl verbinden. Man ist offener für etwas, das einem sympathisch ist«, ist Alexander Sonders überzeugt, selbst passionierter Alltagsradler. Die physische Basis für die Mission der beiden Fahrradfans, das Velo und dessen Nutzung als Fortbewegungsmittel zu fördern, ist der Laden. Dort findet zum Beispiel seit Kurzem die Bike Kitchen statt, ein Werkstatt-Workshop mit Bier, Chips und der Option, sein eigenes Fahrrad unter fachkundiger Anleitung selbst auf Vordermann zu bringen. Die Mission hört aber nicht an der Backsteinwand im Kieler Grasweg auf. Klaus-Dieter Nebendahl und Alexander Sonders sind gute Beobachter. Sie registrieren sehr genau, woran es im Alltag scheitert, dass die Menschen das Rad statt des Autos benutzen und überlegen sich Lösungen. So boten sie während des Mega-Segelevents Kieler Woche bewachtes Fahrradparken an, um das Argument »Mein Rad wird da eh geklaut« zu entkräften. Auf rund 10.000 Räder passten sie in dieser Zeit auf. Es funktionierte. Die Besucher kamen mit dem Rad, manche sogar aus 30 Kilometern Entfernung. Dieses Jahr möchte die Stadt die Anzahl der Parkplatz-Standorte von drei auf fünf erhöhen. Zumal das Aufpass-Konzept nicht nur denjenigen nutzt, die ihr Rad dort abstellen: »Wir können den Leuten unseren Flyer in die Hand drücken, wenn wir ihr Fahrrad aus dem Park holen. Dadurch steigert sich wiederum unsere Bekanntheit«, erzählt Alexander Sonders. Darüber hinaus bietet Velostyle einen ganz besonderen Wartungsservice an: Aus den umliegenden Unternehmen holen Sonders und Nebendahl morgens auf Anfrage die Fahrräder von Mitarbeitern im Büro ab, reparieren und warten sie tagsüber und bringen sie abends zurück in die jeweilige Firma. Die Idee kam den beiden Ex-Angestellten, weil es in der Bank einen solchen Service für Hemden gab. Die Erfahrung aus ihrem früheren Berufsleben macht sich bei Sonders und Nebendahl auch bezüglich ihrer Geschäftsführungsstrategie bemerkbar. Ideen haben sie viele, umgesetzt wird aber nur, was sich nach einer sorgfältigen Planungs- und Kalkulationsphase als machbar erweist. »Das ist sicherlich ein Grund dafür, dass wir uns bisher nicht übernommen haben – obwohl wir das ganze Jahr offen haben und auch unsere beiden Mechaniker ganzjährig beschäftigen«, glauben sie.

Mit Strategie und Leidenschaft

Und wenn sie doch einmal etwas falsch eingeschätzt haben, sind sie ­flexibel und findig genug, um diesen Fehler nicht noch einmal zu machen. So federten sie die typische Winter-Umsatzdelle, in der sie vergangenes Jahr »noch recht bedröppelt dasaßen«, dieses Jahr mit einer speziellen Weihnachtsaktion ab: Sie boten den umliegenden Firmen die Möglichkeit, das Weihnachtsgeld der Mitarbeiter auf deren Wunsch hin in ein Bike Leasing umzuwandeln. »So haben wir uns ein Polster für die ruhige Zeit zugelegt«, erklärt Alexander Sonders. Obwohl »ruhig« für die beiden Radfans relativ ist. Gerade hat Sonders mit einer befreundeten Rechtsanwältin einen Fahrradkurier-Service gegründet, der mit Lastenrädern auch schwere Güter bis 300 Kilogramm von A nach B transportieren soll. Schlicht, weil es das bisher in Kiel noch nicht gab und der Standortfaktor Veloroute, der schnelle Zustellungszeiten quasi garantiert, geradezu danach verlangte. So gesehen, ist der Velostyle-Laden weniger ein Fahrradgeschäft als eine Denkzentrale, ein Botschaftsgebäude für das Fahrrad als Mobilitätsmittel. Für Alexander Sonders und Klaus-­Dieter Nebendahl ist der Verkauf und die Reparatur von Fahrrädern Lebenseinstellung. Aber beides ist gleichzeitig auch Nährboden und Mittel zum Zweck, um bei ihren Kunden Begeisterung – oder zumindest Sympathie – für das Velo sprießen zu lassen. Und das gelingt, weil sie sich nicht auf die eigenen vier Wände beschränken, sondern da präsent sind, wo es in der Praxis gilt, das Fahrrad zum Fortbewegungs- oder Transportmittel der Wahl zu machen. Getrieben von der Passion fürs Fahrrad. Gesichert durch ein ständig wachsendes Netzwerk und eine solide Finanzplanung. Denn die beiden Ex-Büroangestellten wissen: Mit dem richtigen Windschatten kommt man manchmal schneller ins Ziel. Oder wie sie es ausdrücken: »Wir arbeiten strategisch, aber trotzdem leidenschaftlich.«

1. April 2019 von Carola Felchner
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