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14. österreichischer Radgipfel

Radverkehr braucht mehr als Infrastruktur

Unter dem Motto „Ghörige Radkultur“ fand Anfang dieser Woche der Radgipfel Österreich statt. Für eine Mobilitätswende reicht Infrastruktur nicht aus. Was Mobilitätswandel mit dem Wunsch das Rauchen aufzuhören gemeinsam hat.

Vom 11. bis 13. September fand im Ort Hohenems in Vorarlberg der 14. Österreichische Radgipfel statt. Das Event war ein Schulterschluss zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in Österreich und im grenzübergreifenden Raum. Das Land Österreich hat große Pläne, was den Radverkehr angeht. Der Anteil am Modal Split soll von sieben auf 13 Prozent anwachsen. Rund drei Millionen Österreicher und Österreicherinnen fahren bereits jetzt mehrmals pro Woche mit dem Rad. Die Bundesmittel für den Radverkehr wurde von vier Millionen Euro im Jahr 2019 auf 68 Millionen Euro im diesem Jahr versiebzehnfacht. Das Klimaschutzministerium fördert den Radinfrastrukturausbau mit bis zu 50 Prozent. Auch eine Kaufprämie für E-Bikes, Falt- und Lastenräder ist erfolgreich.

Die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, die den Radgipfel eröffnete, kommentiert: „Radfahren boomt, und das ist gut so! Radfahren ist gut für unsere Gesundheit und unser Klima.“ Und weiter: „Daher fördern wir seitens des Klimaschutzministeriums ganz bewusst den Ausbau der Radinfrastruktur und des Radverkehrs. […] Gemeinsam mit den Ländern und Gemeinden, den Betrieben und Menschen vor Ort gehen wir einen weiteren Schritt in Richtung Klimaneutralität.“

Grenzübergreifend lernen

Winfried Hermann, Verkehrsminister Baden-Württembergs betonte vor Ort, dass Radverkehr neben der passenden Infrastruktur auch Radkultur brauche. Auch kleine Schritte können fördernd wirken, so etwa die Pendlerbrezel, die Fahrradpendler und -Pendlerinnen in einem Aktionszeitraum in Baden-Württemberg jeden Morgen bei vielen Bäckereien bekommen können. Nicht nur von den österreichischen Experten vor Ort, sondern auch grenzübergreifend ließe sich viel voneinander lernen, so Gewessler und Hermann. Sowohl in Baden-Württemberg beziehungsweise Deutschland als auch in Österreich stehe man oft vor denselben Handlungsmöglichkeiten, etwa in Bezug auf Leasing, Abstandsregeln oder das Deutschland- und das Klimaticket. Inspiration komme von beiden Seiten im Austausch. Gewessler lerne von Baden-Württemberg, dass sich ein langer Atem auszahle, so die Ministerin. Hermann lobte die Mitnahmemöglichkeiten von Fahrrädern in österreichischen Zügen.

Radkultur gehört zur Mobilitätswende

Bereits am Vortag des Radgipfels stand Hohenems im Zeichen des Fahrrads. Das Radfest am Schlossplatz, die Radparade durch Stadt und Umgebung und Ländleslam und Party am Abend sollten besonders die Bürger und Bürgerinnen vor Ort ansprechen. Die Stadt Hohenems möchte auch andere Städte inspirieren. Entschleunigung gehört zur guten Lebensart und das Rad ist dazu eine gute Möglichkeit, so Bürgermeister Dieter Egger. „Eine ‚ghörige‘ Radkultur gehört zu Hohenems wie Radfahren zur Mobilitätswende“, so Egger in Anspielung auf das Konferenzmotto „Ghörige Radkultur“. Die Kulturfrage ordnete Marc Stoffel, Gründer von 42Hacks in einer Keynote ein. Er verglich Mobilitätswandel damit, mit dem Rauchen aufzuhören, oder kalte Duschen oder Yoga-Sessions in die eigene Routine einzubauen. Die Umgewöhnung bedarf eines gewissen Aufwand. Aus dieser Erkenntnis hat 42Hacks das Projekt 31 Days gestrickt, bei dem Menschen für einen Monat ihren Autoschlüssel eintauschen. Wer wechselwillig ist, wird vorher in Interviews identifiziert. Das Ergebnis: 25 Prozent der Teilnehmenden an dem Autofrei-Test verkaufen nach Ende des Versuchs ihr Auto. Ganze 90 Prozent verändern ihr Verhalten.

Internationale Vorträge

Am Montagnachmittag zeigten die Bürgermeister der Plan-B-Gemeinden in Vorarlberg, warum der Radverkehrsanteil in ihren Gemeinden mit 21 Prozent sogar noch höher als im Vorzeige-Bundesland Vorarlberg insgesamt ist. Mobilität höre nicht an den kommunalen Grenzen auf, betonten die Bürgermeister von Lustenau, Wolfurt und Lauterach in ihrer gemeinsamen Keynote. Durch ein intensives Parkraummanagement ließen sich die Menschen dazu bringen, ihre Mobilität zu überdenken.

Unter den weiteren Keynote-Speakern und Speakerinnen fand sich unter anderem Dirk von Schneidemesser, der dazu aufrief, die Wirkung von Sprache im Mobilitätswandel zu reflektieren. „Wir haben das Auto im Kopf. Wir sprechen das Auto“, so von Schneidmesser. Das Auto würde durch Gesetztestexte und mediale Berichterstattung normalisiert und verharmlost. Das Projekt „Radeln ohne Alter“ (Cycling Without Age) stellte Elke Fitz gemeinsam mit dessen Gründer Ole Kassow vor. In diesem Projekt unternehmen Freiwillige Rickscha-Ausflüge mit älteren Mitbürgern und Mitbürgerinnen, um gegen deren Einsamkeit und gesellschaftliche Isolation anzukämpfen. Radeln ohne Alter stammt aus Dänemark und ist inzwischen in 39 Ländern etabliert. Fitz forderte, neben den anderen finanziell geförderten Fahrradarten auch Dreiräder politisch zu unterstützen, da Senioren und Seniorinnen oft das Geld fehle, sich diese zuzulegen.

Neben kulturellen Fragen standen an den beiden Konferenztagen Montag und Dienstag auch Praxisfragen, etwa zu Kindern als Radverkehrsteilnehmern, Radschnellverbindungen oder multimodalen Reiseketten im Fokus. Auch Zeit zum Vernetzen, unter anderem mit einigen ausstellenden Verbänden und Unternehmen, war reichlich gegeben. Weiterhin fand ein Speed-Dating statt und wurden Projektpartner von klimaaktiv mobil ausgezeichnet. Einen Abschluss fand das Programm mit vier Exkursionen, die am 13. September durchgeführt wurden.

14. September 2023 von Sebastian Gengenbach
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