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Branchenumfrage - Lagersituation

Schwierige Lage im Lager

Seit Jahresbeginn war klar, dass viel zu viel Ware in den Handel geflossen ist. Die daraus entstandenen Probleme dürfte so ziemlich jeder Marktteilnehmer am eigenen Leib erfahren haben. Nach einem geschäftigen Sommer wollten wir in unserer Branchenumfrage wissen, ob sich diese Überbestände bereits aufgelöst haben oder noch eine längere Durststrecke zu überwinden ist.

Die rege Teilnahme an der Umfrage zeigt vor allem, dass es keine einheitliche Zustandsbeschreibung in Handel und Industrie gibt. Zu verschieden sind die Ausgangssituationen, zu verschieden die in den vergangenen Saisons getroffenen Entscheidungen.
Schon wenn es darum geht, wann sich die Situation im Lager wieder entspannt, besteht erhebliche Spannweite bei den Erwartungen. Dass dies nicht nebensächlich ist, verdeutlicht etwa Florian Meffert von FM Radservice in Trebur. »Hoffentlich werden Überbestände nicht das prägende Thema in 2024 sein, da sonst dauerhaft niemand Geld verdienen wird.« Bei Summit Bikes erwartet man einen ganzjährigen Prozess bis zur Auflösung dieser Problematik: »Die Lagerbestände werden sich erst in Q1/2 2024 wieder normalisieren. Wir rechnen mit angespannter Abverkaufssituation bis Ende 2024.« Carsten Bischoff von Bikepoint erwartet ebenfalls noch eine längere Zeit, die es zu überbrücken gilt: »Die (Räder-)Mengen sind noch lange nicht abverkauft und werden uns in das Jahr 2024 begleiten. Es kommen auch noch einige Rückstände aus 2022/2023, sodass wir mit vollem Lager in den Winter gehen werden. Die Kapazität ist momentan am Anschlag. Glücklicherweise läuft der Abverkauf ordentlich, sodass unser Lager nicht überlaufen wird. Das Marktgeschehen wird sich erst Mitte 2024 beruhigen«, lautet seine Erwartung. Zu den Zweiflern, dass sich der Markt schon nächstes Jahr beruhigt, gehört Paul Kefer von Munix Finest Bicyles.

»Das Fahrrad hat keine Sonderkonjunktur mehr.«

Paul Kefer, Munix Finest Bicycles

»Die Situation ist im Markt weiterhin sehr kritisch, die Überbestände sind so groß, dass sich die Situation nicht vor 2025 normalisieren kann. Die schwache Konjunktur bremst zusätzlich, der kann sich auch das Trendthema Fahrrad nicht entziehen. Wo kein Geld mehr da ist, wird auch kein neues Fahrrad gekauft. Das Fahrrad hat keine Sonderkonjunktur mehr.« Auch Klaus Schmitt von Zweirad Niederhofer erwartet eine noch lange Durststrecke: »Wir hoffen, unsere hohen Lagerbestände im Lauf von 2024 abbauen zu können, bevor die Ware alt wird. Danach sollte 2025 wieder normaler werden können.«
Es gibt durchaus zahlreiche Händler, die sich diese Saison aus dem Warenlager wieder freikämpfen konnten oder denen dies gerade gelingt. »Wir haben die letzten Monate gut abverkaufen können und der Lagerdruck nimmt ab. Insgesamt trifft es momentan alle die, welche sehr hohe Vorordern und hohe Rückstände haben«, sieht Thomas Schicketanz von Zweirad Schicketanz.

Volle Lager sorgen für verschiedene Probleme. Der Abbau der Bestände wird wohl insbesondere in der Industrie noch länger dauern.

Dennoch erwartet auch er kein rosiges nächstes Jahr: »Wir denken, dass durch die schlechte wirtschaftliche Lage in Deutschland die Inflation und die hohen Energiekosten bei den Leuten 2024 voll durchschlagen werden und viele den Gürtel enger schnallen müssen. Hier ist die Politik gefragt, aber als Mittelständler darauf zu vertrauen – aussichtslos. Trotzdem werden viele weiter Rad fahren und solange das Leasinggeschäft noch gut läuft, werden wir gut durch das Jahr kommen. Aber es werden auch einige auf der Strecke bleiben, da bin ich mir sicher. Überbestände sollten spätestens Ende 2024 der Vergangenheit angehören.«
Viele andere Händler haben aber nach wie vor erhebliche Überbestände im Betrieb, wie Frank Lamberty von Fahrrad Lamberty ausführt. »Aktuell ist unser Lagerbestand noch doppelt so hoch wie normalerweise um diese Zeit.« Trost bietet ihm der Umstand, dass der Verkauf derzeit gut läuft: »Der Abverkauf (hauptsächlich Leasing) ist immer noch auf sehr hohem Niveau. Ein deutliches zweistelliges Plus zum Vorjahr bisher. Es sind aber auch noch reichlich Räder im Rückstand. Diese werden zur Vororder 2024 gezählt.«

»Solange das Leasinggeschäft noch gut läuft, werden wir gut durch das Jahr kommen.«

Thomas Schicketanz, Zweirad Schicketanz

Ähnlich positiv zum Verkauf äußert sich Dirk Janz von der Youtility GmbH: »Im Mai und Juni war in vielen Geschäften der Umsatz besser als letztes Jahr, bedingt durch die Verfügbarkeit. Es braucht noch ein Jahr, bis der Kunde Vertrauen hat in die Situation.« Es haben sich aber auch einige Händler gemeldet, bei denen es keinen guten Abverkauf gibt, der entlastend wirken würde. Einen diesbezüglichen gemeinsamen Nenner gibt es also noch nicht, zu vielschichtig und vielfältig sind die Marktentwicklungen. Auch Janz erwartet ansonsten, dass nächstes Jahr der Preis ein größeres Thema wird als zuletzt: »Ich denke, dass eher die Preisstabilität ein Thema wird, die ja während der Pandemie sehr hoch war. Es bröckelt.«
Das große Problem, dass sich bei solchen Überbeständen unausweichlich vor der Branche auftürmt, lautet: Preisverriss. »Aktuell sind noch viel zu viele Räder auf dem Markt, mit dem Pro­blem, dass diese oft extrem verschleudert werden. Die hohen Lagerbestände belasten zunehmend die Liquidität, und die schwierigen Konsumbedingungen, wie Wetter, Inflation und Kaufzurückhaltung wirken sich stark aus. Dass das alles nicht zusammen passt und eigentlich nicht funktionieren kann, weiß wahrscheinlich jeder hier«, verdeutlicht Jürgen Reim vom Radlmarkt Reim.

Weiter Weg für Hersteller

Der Handel hat also nach wie vor einen kritischen Blick auf die aktuelle Marktsituation, dennoch gibt es einige Händler, die schon etwas Licht am Ende des Tunnel sehen. Hersteller sind noch längst nicht an diesem Punkt, da sie erst mit Verzögerung von der Entspannung im Handel werden profitieren können. »Spannend wird es sein, wer beim Hersteller die Modellreihe 2024 kaufen soll«, resümiert Händler Jürgen Reim und weist damit darauf hin, dass selbst dann, wenn sich der Handel aus der Liquiditätszwickmühle befreit hat, er immer noch genug Ware hat für einen längeren Zeitraum.

»Dieses Jahr hatten beziehungsweise haben wir Händler starke Probleme, kommendes Jahr werden es die Lieferanten haben.«

Carsten Bischoff, Bikpoint Dresden

Tatsächlich erklären weitere Händler, dass sie 50 bis 75 Prozent weniger ordern wollen im nächsten Jahr, einfach weil sie keine weitere Ware benötigen. Entsprechend sieht beispielsweise Axel Keller von WM Trading eine schwierige Situation für die Lieferanten: »Auch 2024 wird geprägt sein vom Abverkauf der Bestände. Entsprechend schwach werden 24er-Modelle in den Handel fließen können. Hersteller werden weniger produzieren, die Planung also drastisch anpassen müssen. Diese Korrekturen werden voll auf die Preise durchschlagen und die Margen massiv beschädigen. Damit ist ein unschöner Saisonverlauf in 2024 zu erwarten.«
Auch Carsten Bischoff sieht die Lieferanten in der Zwickmühle: »Der Markt selbst ist aus meiner Sicht ex­trem voll mit Ware und jeder Lieferant freut sich wie verrückt, wenn man einen größeren Auftrag platziert. Ein befreundeter Außendienst meinte unlängst: ›Jetzt liegt ihr oben ;-)‹. Dieses Jahr hatten beziehungsweise haben wir Händler starke Probleme, kommendes Jahr werden es die Lieferanten haben.«
Es geht bei der Einkaufszurückhaltung aber nicht nur um ausreichend vorhandene Ware, wie Dietmar Tollerian von Die Radbande verdeutlicht. »Wir haben sehr vorsichtig eingekauft und hauptsächlich bei Bedarf bestellt. Das werden wir so weitermachen. Es ist nicht einzusehen, dass bei diesen Margen das ausschließliche Risiko beim Händler liegt. Glücklicherweise konnte ich meine Lieferanten davon überzeugen, dass ein gemeinsames Risiko auch ein guter Motivator sein kann.« Er erwartet zudem, dass die Gruppe der Online-Marktteilnehmer zusätzlichem Druck ausgesetzt ist: »Onliner werden durch den Zinsdruck die Verluste nicht mehr decken können. Der stationäre Einzelhandel wird durch Präsenz und vor allem Service überleben, ohne gute Werkstatt nicht.«

Es mag sie geben, die Händler und Hersteller ohne größeren Lagerdruck, aber die Mehrheit sind sie nicht. Wenn man der Brancheneinschätzung vertrauen möchte, dann ist auch 2024 noch zu viel Ware im Markt vorhanden. Kein einziger Umfrageteilnehmer erwartet größeres Umsatzwachstum.

»2024 wird es sich zeigen, wie der Handel mit den neuen Gegebenheiten umgehen wird und kann«, erwartet Branchenexperte Ralf Barthel, »Die jetzt nicht verkaufbaren Überbestände aus 21/22 werden mit Beständen aus 23 ergänzt, da immer noch nicht alles so verfügbar ist, wie man es gerne gehabt hätte. Wer sich auf Werkstatt­ertrag und Leasing fokussiert, wird sicher erfolgreich sein. Alle anderen müssen mit essenziellen Margeneinbußen rechnen und sich neu aufstellen. Die Absatzzahlen werden leicht steigen auch aufgrund der Preisreduzierungen. Darauf folgt eine Verbesserung, sofern die neuen, allein europäischen Produktionskapazitäten den Markt nicht weiter volllaufen lassen.« Optimistische Stimmen sehen zumindest den Handel von den gröbsten Problemen befreit. »Ich denke, dass es ein gutes Jahr für uns Händler wird. Die Normalisierung der Lagerbestände und etwas Konsolidierung nach den wirren Zeiten werden uns Händlern guttun. Dazu kommt, dass die Verfügbarkeit recht gut sein wird. Ob das Jahr 2024 alle Lieferanten überstehen werden, wage ich zu bezweifeln«, sagt Carsten Bischoff.

»Der stationäre Einzelhandel wird durch Präsenz und vor allem Service überleben, ohne gute Werkstatt nicht.«

Dietmar Tollerian, Die Radbande

Wobei die Verfügbarkeit mittelfristig nicht aus dem Auge verloren werden sollte, wie Oliver Claus von Fahrrad Claus verdeutlicht. »Bis in den Sommer 2024 werden Überbestände wahrscheinlich das bestimmende Thema sein, danach wird es spannend, wer eine eventuell steigende Nachfrage bedienen kann oder ob wir wieder, erzeugt durch eine starke Reduktion der (Vor-)Produktion, in lange Lieferzeiten abrutschen.«
Damit sind die Problemfelder des nächsten Jahres und der nächsten Jahre im Groben umrissen: Lagerüberbestände bleiben ein Thema, Margendruck, einerseits durch Preisverfall und andererseits durch Herstellerzwänge, dürfte ebenfalls belasten. Insbesondere dieser letzte Punkt dürfte demnächst noch intensiver diskutiert werden. Die Risikoverteilung zwischen Handel und Hersteller steht nicht nur in diesem Zusammenhang einmal mehr auf dem Prüfstand und selbst die Warenverfügbarkeit könnte mittelfristig wieder als Thema auftauchen. Die Ersten mögen bereits entspannt in die Zukunft schauen, viele andere können das noch nicht. Es wird auf absehbare Zeit nicht an Dynamik und Drama, an Trubel und (hoffentlich auch) Triumphen fehlen. //

26. September 2023 von Daniel Hrkac
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