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Markt - hochwertige Radbekleidung

Schwierige Tage für edle Mode

Das Geschäft mit Sport-Textilien lief zwei Jahre lang bombig. Die unverhoffte Nachfrageflaute brachte viele Akteure in die Zwickmühle. Drohen jetzt dauerhaft Rabattschlachten?

Bei der morgendlichen Rennradtour im Januar konnte man sich schon ein wenig wundern. Drei der fünf Fahrer in der winterkalten Trübe fuhren mit demselben Label auf die Landstraße, dessen Buchstaben kaum zu übersehen sind und die für hochpreisiges Modebewusstsein stehen. Auf Jacken, Westen, Hosen, Überschuhen, Handschuhen und anderen Teilen prangte immer ein und derselbe Modename, nicht zu übersehen. Woher die Ware denn komme, fragte der Autor dieser Zeilen einen Mitfahrer. Gab’s im Angebot, sagte der Nebenmann, und der Rabatt auf die Exklusivware war ordentlich ausgefallen – 30 Prozent. Dennoch hatte das teure Textil ein ordentliches Sümmchen gekostet, aber sei’s drum, für die modebewussten Marktteilnehmer hatte sich ein Schnäppchen aufgetan.
Wer sich in den vergangenen Monaten mit Radtextilien beschäftigt hat, ist auch abseits eigener Rennradgruppen kaum um dieses Phänomen herumgekommen. Gerade über E-Mail-Newsletter und spezielle Schnäppchen-Anbieter sind in den vergangenen Monaten immer wieder drastische Rabattaktionen auf große Bestände von Ware gelaufen, die in den beiden vorherigen Jahren noch sicher als Kassenschlager galt. Firmen, die ausschließlich oder sehr stark über die eigene Internet-Vermarktung agieren, haben schon seit Monaten ihre Kundschaft und potenzielle Zielgruppen mit Rabatten ins Visier genommen. Gleichzeitig standen stationäre Händler vor der Frage: Was machen mit den Bib-Shorts, Jacken und Trikots, für die man im Vorjahr eine kräftige Order abgesetzt hatte – die nun aber weitgehend unangetastet neben all den Neurädern im Laden schlummern?

Das Wachstum der Corona-Jahre hat das Team bei Alé nicht als Grundlage der weiteren Planung genommen und gehört damit zum kleineren Teil des Marktes.

Beim italienischen Hersteller Alé aus Verona hat man im vergangenen Jahr durchaus gemerkt, dass das Geschäft mit den Performance-Textilien schwieriger geworden ist. »Wir haben ein schwieriges Jahr erlebt«, sagt Alessia Piccolo, CEO bei dem norditalienischen Hersteller, der sich klar über Performance und Nähe zum Spitzensport positioniert. Die Corona-Jahre 2020 und 2021 haben überall im Fahrradmarkt Boom-Stimmung aufkommen lassen, doch bei Alé war man nach eigenen Angaben etwas vorsichtiger. »Da wir unsere Produkte direkt in Italien produzieren, sind wir bei der Mengenplanung flexibler und können schneller reagieren. Die Wachstumszahlen der zwei Jahre haben wir nicht zur Basis unserer Planung für die nächsten Jahre gemacht«, sagt Alessia Piccolo.
Zwar gibt es die Produkte auch online, aber die Italiener haben festgestellt, dass sie für das Aufrechterhalten ihrer Position konsistent im Verhältnis stationär zu online bleiben müssen. Während drumherum die Rabattschlachten toben, während exklusive Online-Anbieter wie etwa auch La Passione aus Italien die Lagerbestände über Mailings mit starkem Preisdruck senken, hat man bei Alé ein anderes Ziel im Visier. »Wir arbeiten daran, die Preise unserer Online-Händler und unserer Einzelhändler zu harmonisieren, um unsere Qualität und unsere Marke zu sichern.« Das bedeutet: Alé als Unternehmen, das sehr viel Wert auf High-Quality-Positionierung in einem dennoch leistbaren Preisumfeld legt, legt genauso Wert auf den Ausbau der Beratung und des Services bei den Händlern.

»Kompetente Beratung zu Rennradkleidung hat einen festen Platz im stationären Handel.«

Heiko Wild,
Monaco Velo Club

»Für uns steht fest, dass hochwertige Sportbekleidung auch anprobiert werden muss und dass die Argumente für unsere Qualität nur auf der Haut der Kunden vermittelbar sind. Außerdem ist Service ein Punkt, der in Zukunft wesentlich stärker für den Einzelhandel spricht«, sagt Alessia Piccolo.

Flaute im Markt für Radbekleidung

Doch derzeit befindet sich das Geschäft mit dem Sporttextil in einer äußerst diffizilen Lage. In München gibt es einen wahren Spezialisten für Radklamotten, der auch überregional als Spezialist Ansehen genießt. Bikedress in der Münchner Au hat seit Jahren sehr schicke Radkleidung in eine hippe Metropollage geholt und sehr ansprechend präsentiert, außerdem ist das Unternehmen mit dem »Monaco Velo Club« bekannt geworden.

Heiko Wild ist einer der wenigen Spezialisten für hochwertige Bike-Bekleidung. In dieser Nische hat er Pionierarbeit geleistet.

Gründer und Eigentümer Heiko Wild ist ein Pionier und Kenner der Szene. In seinem Geschäft ist er Vorreiter edler Marken, er war ein früher Vertreter der Marke Rapha, er hat Klassiker wie De Marchi, Assos, Castelli, aber auch Design-Newcomer wie Café du Cycliste und Pedal Ed im Laden. Mit Start der Pandemie 2020 setzte bei ihm ein Run auf diese Produkte ein, schon vorher war das Geschäft solide gewesen. »Ich habe dann die Order an die Nachfrage angepasst, die wir 2020 und 2021 gesehen haben«, sagt Wild. Die Quittung bekam er ab dem Sommer 2022. »Die Nachfrage ist im vergangenen Jahr sehr stark zurückgegangen, wir haben hier 30 Prozent weniger Kleidung verkauft als vor der Corona-Pandemie«, erklärt Wild.
Ein Beispiel, aber sicher kein einzelnes. Man muss nur ein bisschen herumfragen und hört genau die gleichen Geschichten. Bei einem Händler in Oberschwaben, der hochwertige E-MTBs ebenso hat wie Top-Rennräder, aber auch das gesamte Sortiment vom Schuh über Helme bis zur vollen Bekleidung, bleibt das Textil seit Längerem hängen. »Dennoch rabattiere ich die Ware nicht«, sagt der erfahrene Firmenchef, »denn ich bin sicher, dass sie sich hält und habe kein Interesse, meine Marge hier zu kürzen«, sagt er. Nur ganz wenige Stücke, die seit Jahren im Bestand sind, lässt er manchmal zu Sonderkonditionen aus dem Bestand. Er glaubt daran, dass die Kleidung als Teil der Beratung auf lange Sicht ein gutes Zusatzgeschäft bietet.
Heiko Wild in München sagt, dass nicht nur die zu optimistische Kalkulation bei der Order nun zu Herausforderungen führt. Vielmehr könne man sehen, wie die großen Marken mit ihrem Online-Geschäft den Markt unter Druck gesetzt haben. Seit dem Spätherbst rollt Rabattwelle auf Rabattwelle, offenkundig mit dem Ziel, die Lager irgendwie zu leeren und Kapital freizusetzen. Das hat natürlich im Gesamtmarkt Auswirkungen und setzt tiefere Marktsegmente unter Druck. Hier ist die Platzierung von Marken ein Schlüssel. Für Händler wichtig: Die Kunden müssen wissen, warum sie zu einer Marke greifen.

Verzahnung von Sport und Mode

Bei Alé in Italien pflegt man das ganz klar. Da ist beispielsweise die große Nähe zum Weltklassesport. Die Firma ist Ausstatter von drei Teams der höchsten Straßenradsport-Liga, zudem stattet das Unternehmen den französischen und den slowenischen Verband aus. Das ist wichtig, um das Qualitätsversprechen mit Argumenten zu untermauen, um sich im Markt an einer entscheidenden Stelle zu behaupten, sagt Piccolo. »Wir sehen uns als Anbieter, der ähnlich wie beim Formel-1-Sport über die Leistung des Produkts seinen Marktanteil gewinnt.« Die Verzahnung mit den Spitzensportlern kostet zwar, aber sie ist deshalb auch eine klare Aussage. Den Umstand, dass Alé in der Lage ist, kurzfristig auf die Marktsituation zu reagieren, nutzt man in mehrfacher Hinsicht. Da alle Produkte aus Italien kommen, sind Produktionsläufe kürzer und Nachproduktionen sehr kurzfristig machbar. Ein Kernbestandteil des Geschäfts sind denn auch »Custom«-Sets für Teams, nicht nur für Profis, sondern vor allem für Amateure, die sich Jahr für Jahr häufiger für Alé entscheiden.

Durch die Produktion in Europa, bei Alé findet sie in Italien statt, können einige Unternehmen flexibel auf schwankende Nachfrage reagieren.

Auch in Italien und mit sehr starker Betonung auf diese Herkunft der Produkte verfolgt Q36.5 derzeit ein ähnliches Konzept. Das Unternehmen aus Bozen steuert ein hochwertigeres Marktsegment an und gilt, gerade durch die Arbeit seines Gründers Luigi Bergamo als Vorreiter bei Forschung und Entwicklung von Sport-Performance-Kleidung. »Mit solchen Produkten wächst man nicht so schnell, wie es andere Marktteilnehmer in den vergangenen Jahren getan haben«, sagt Mario Kummer, Ex-Weltklasseprofi und heute Repräsentant des Unternehmens, »aber wir sehen, dass wir in einem sehr anspruchsvollen Marktsegment nachhaltig wachsen.« Zahlen verrät für diesen Beitrag kaum jemand, aber es wird greifbar, dass auch bei Q36.5 die Nähe zur eigenen Produktion einen Vorteil bedeutet: Man hat nicht in Asien auf Halde bestellt, sondern kann nun mit geringerem Einsatz weiter am Produktversprechen arbeiten. Auch Q36.5 hat sich mit einem neuen Sponsoring im Straßenradsport und der Zusammenarbeit mit dem Topstar Vincenzo Nibali zuletzt getraut, Marketing-Geld in die Hand zu nehmen, um bei den sportinteressierten Nutzerinnen und Nutzern Wahrnehmung zu gewinnen.

In Erwartung des Wandels

Zurück nach München. Heiko Wild redet nicht drumherum. Bei Sporttextilien ist es mau derzeit. Die Hosen für 200 Euro, die Trikots für 150 Euro, all diese Dinge sind vor einem Jahr noch gut gegangen, er hatte den Laden voll mit Neukundschaft. »Die Frequenz war enorm«, sagt er. Heute ist er froh, dass neben den Kleidungsstücken auch High-End-Räder stehen. Die gehen für 12.000, 15.000 Euro raus. »Interessanterweise merke ich bei diesen Rädern keinen Unterschied in der Nachfrage«, sagt Wild, »die wenigen Kunden für solche Produkte bleiben immer.« Dennoch bläst er beim Textil keine Trübsal, ganz im Gegenteil. »Es war ein Fehler, den Boom von 2021 als Basis für die Planung zu nehmen, aber den Fehler habe ich nur einmal gemacht, und das betrifft auch viele andere im Markt.« Wild glaubt, dass nach den Rabattwellen der aktuellen Monate ein Wandel kommen kann. Denn am Ende führen Sale-Orgien zwar zu mehr Verkäufen, aber in der Tasche bleibt kaum mehr als bei langsamem Abverkauf. Daher sieht Wild auch eher, dass renommierte Marken dem Preisverfall nach dieser Korrekturrunde ein Ende bereiten werden.
Für ihn selbst besteht kein Zweifel. »Kompetente Beratung zu Rennradkleidung hat einen festen Platz im stationären Handel.« Sei es das Geschenk für den Ehemann, bei dem nicht ganz klar ist, wie er auf dem Fahrrad sitzt und deshalb ein Umtausch problemlos möglich ist. Sei es die Übersicht über modische Akzente und Funktionen, die Kunden und Kundinnen schlecht beim Durchstöbern von Online-Shops gewännen. Jene Kundschaft, die man über Service und Beratung gewinnen und halten kann, bliebe auch in Zukunft erhalten.
Ob auch der Trend zur Nachhaltigkeit Kundinnen und Kunden stärker an gewisse Marken oder in spezialisierte Shops treiben wird? Heiko Wild ist da skeptisch: »Manchmal schauen Kunden aufs Etikett, wo etwas herkommt«, sagt er. Aber eigentlich sei das kein Thema. Bei den beiden italienischen Herstellern sieht man das auf lange Sicht anders. Die Produktion in Italien, das Vermeiden von Transportwegen und auch der Blick auf Ressourcen-Verwaltung gilt ebenso für Q36.5 wie für Alé als wichtiges Zukunftsthema und auch als künftiges Beratungsthema für den Handel. //

9. März 2023 von Tim Farin
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