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"Öko-RAF ist unterwegs"

Stern-Chef geißelt die Fahrradterroristen

Es herrscht Bürgerkrieg in Deutschland, schreibt Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der Chefredaktion der Zeitschrift Stern. Eine Mutter und ihre Tochter zählen bereits zu den Todesopfern, der Sohn ist schwer verletzt. 30 Menschen umringen und verprügeln einen Unschuldigen. Von Tritten, Faustschlägen und Terror ist die Rede. Der Bürgerkrieg sei kalt, gnadenlos und unerbittlich. Gemeint ist der Radverkehr in Deutschland.

Somit reiht sich nun auch der Stern in die Reihe jener Medien ein, die eine jüngste Pressemitteilung des Automobil-Club-Europa offenkundig als Anlass für einen polemischen und unreflektierten Artikel über die Radfahrer genommen haben. In diesem Fall in der Kolumne „Zwischenruf aus Berlin“ des politischen Redaktionsleitwolfs Jörges.

Allerdings greift der Stern den Radverkehr im Vergleich zu anderen Medien noch um ein paar Grad härter an: „Eine Art Öko-RAF ist da unterwegs, ideologisch verbohrt, zu allem bereit“, schreibt Jörges. Radfahrer seien „Sozialärsche auf dem Sattel, demonstrativ desinteressiert am Mitmenschen“. „Rasender Egoismus“ und „pervertiertes Umweltbewusstsein“ wird Radfahrern attestiert.

velobiz.de hat dem Stern-Chef daraufhin nun die folgende offene Antwort geschickt:

_Sehr geehrter Herr Jörges,
geschätzter Kollege,

es gibt offenbar zwei Sorten von Menschen in Deutschland: Jene, die gerne ihr Fahrrad im Alltag benutzen, weil sie es als ressourcenschonende, gesunde und genussvolle Alternative zu anderen Verkehrsmitteln schätzen. Und jene, die Radfahrer offensichtlich hassen. Vielleicht weil sie regelmäßig flott an einem vorbeirauschen, während man selbst mit dem Auto im täglichen Berufsverkehr nur meterweise vorankommt.

Soll ich raten, zu welcher Sorte Sie sich zählen würden?

Selten zuvor habe ich einen Artikel gelesen, der so von Polemik und verdrehten Tatsachen trieft, wie jüngst in Ihrem sonst von mir durchaus geschätzten Zwischenruf aus Berlin.

Stellen Sie sich bitte selbst die folgenden Fragen:

Würden Sie solche haarsträubenden Situationen wie die in Ihrem Artikel beschriebenen auch im motorisierten Straßenverkehr oder im öffentlichen Nahverkehr finden? Wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Und: Der Fahrradverkehr in den Städten erlebt derzeit deutliche Zuwächse. Wie ist es vor diesem Hintergrund wohl zu bewerten, dass die Zahl der Verkehrstoten unter den Radfahrern gleichzeitig kaum zunimmt?

Ich vermute, Ihr Artikel war von der jüngsten Pressemitteilung des Automobil-Club-Europa inspiriert. Von einem renommierten Journalisten hätte ich eigentlich erwartet, dass er erst etwas nachdenkt, bevor er eine Verlautbarung der Auto-Lobby gegen den Radverkehr unreflektiert wiedergibt.

Nun habe ich im Gegensatz zum politischen Geschäft beim Radverkehr als Fachjournalist selbst ein fundiertes Hintergrundwissen und kann die Aussagen Ihres Artikels als offensichtlichen Unfug erkennen. Wie soll ich nun ihre künftigen Beiträge zu Themen bewerten, wo mir dieses Hintergrundwissen fehlt?

Lieber Kollege, Sie haben den polemischen Charakter Ihres Artikels selbst schon im Vorspann angekündigt. Das war aus meiner Sicht neben dem Schriftgrad der Headline und der Zeilenzahl das einzige, das Ihren Text von Bild-Journalismus unterschied.

Jeder Journalist tritt in seiner Laufbahn in ein paar Fettnäpfchen. Schade, dass Sie sich dafür ausgerechnet den Radverkehr ausgesucht haben, der in vielen Städten in Deutschland derzeit eine großartige Entwicklung erlebt und viel Positives für die Lebensqualität der Menschen in diesen Städten bewirkt.

Mit freundlichen Grüßen
Markus Fritsch_

13. August 2010 von Markus Fritsch
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