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Report // Fahrradhändlerinnen

Überraschend selten

Sie sind eine Minderheit im Zweiradgeschäft, aber dafür umso motivierter. Frauen, die als Fahrradhändlerinnen ihren Weg gehen, sind nach wie vor eine Besonderheit.

Erika Gruber bei der Verleihung des Bayerischen Verdienstordens 2017

Erika Gruber ist im Leben vielen Widerständen entgegengetreten. Vieles davon, sagt die inzwischen 72-Jährige aus dem mittelfränkischen Gunzenhausen, habe ganz sicher mit ihrem Geschlecht zu tun. »Das ist ein ganz großes Thema«, sagt Gruber, eine gestandene Fahrradhändlerin, Familienunternehmerin und verbandspolitische Akteurin mit Einfluss über ihre Region hinaus. Immer wieder war es so: Als Frau erlebte sie, wie Männer sie ausbremsen wollten, wie Mann ihr wenig zutraute, wie ihr schlechtere Konditionen angeboten wurden und unsauber mitgespielt wurde. »Als junge Frau haben Sie gelernt, lieb und nett zu sein«, erinnert sich Gruber, doch mit dem eigenen Ladengeschäft musste sie damit abschließen, um ihren Weg zu gehen.
Erika Gruber ist Vertreterin einer kleinen Minderheit in der Radbranche. Es gibt zwar nach Auskunft des Verbands des Deutschen Zweiradhandels (VDZ) keine offiziellen Zahlen über den Anteil an Fahrradhändlerinnen. Aber wer sich ein wenig Mühe macht und die Geschäftsdaten durchstöbert, wird nur selten auf weibliche Personen in bestimmenden Rollen der Firmen stoßen. Das Handwerk mit dem Rad ist klassisch männlich besetzt, das Schrauben und Werkeln an technischen Geräten gelten als Männerdomäne.
Der Karriereweg von Erika Gruber zeigt, welche Widerstände einst zu überwinden waren. Gruber, Tochter einer Flüchtlingsfamilie aus dem Sudentenland, wuchs in Meinheim in Mittelfranken auf. Ihr Vater Franz Müller war ein umtriebiger Geschäftsmann gewesen, der sich mit Kundenorientierung eine Existenz in der neuen Heimat schuf. 1959 hatte er einen eigenen Radladen eröffnet, den kleinen Vorgänger des heutigen Unternehmens Radsport Gruber in Gunzenhausen. Die Arbeit in einem solchen Laden war für junge Frauen damals nicht vorgezeichnet, und so ging seine Tochter Erika auf die Handelsschule und lernte bei einem Steuerberater. Der entdeckte ihren Blick fürs Geschäft und förderte die junge Frau, die hier wichtige Grundlagen für die nächsten Jahrzehnte lernte. Als sie ihren Mann Herbert, der bei der Firma Hercules arbeitete, geheiratet hatte, übernahm das Ehepaar Gruber den Laden des Vaters und zahlte ihm sogar noch das gesamte Inventar ab.
Mit Anfang zwanzig war Gruber also Unternehmerin, bald zweifache Mutter und wohnte direkt über dem Geschäft, das sie leitete. In ihrer Rolle als Händlerin erlebte sie dann Geringschätzung für Frauen: »Da kamen Vertreter, die haben uns betrogen, wo es nur ging«, sagt sie heute. Gruber führt das auch darauf zurück, dass man sie als Frau wohl für ahnungslos gehalten habe. Sie habe immer wieder mit Härte reagiert und auch mal Leute aus dem Geschäft geschmissen. Dazu kam eine unternehmerische Energie, mit der sie über die Jahrzehnte Schritt für Schritt expandierte – und das Geschäft zum führenden Radladen in ihrer Region ausbaute. Was sie auf dem Weg erlebte: Männer in der Wirtschaft, in Verbänden und der Politik, die ihr Steine in den Weg legen wollten. Und sie selbst, die auch mitunter gegen das Zögern ihrer Familie weitere Schritte ging. »Ich habe oft gekämpft, bin oft aufgestanden und bin dann nach Hause gegangen und habe geweint«, erinnert sich Gruber.
Gruber hat sich ihren Rang erkämpft, ihren Einfluss, ihren Status. Sie wurde IHK-Vizepräsidentin in Nürnberg, aktive Kommunalpolitikerin, erhielt zahlreiche Ehrungen. Horst Seehofer zeichnete sie mit dem Bayerischen Verdienstorden aus. Der Widerstand auf diesem Weg, das wird deutlich aus ihrer Erzählung, hatte nicht nur, aber durchaus mit ihrem Geschlecht zu tun. So habe sie auch Widerstände etwa von technisch erfahrenen Männern brechen müssen, die ihre Ideen reflexhaft ablehnten. »Drehen Sie’s doch einfach mal um und schweißen Sie’s dran«, war so ein Satz, an den Gruber sich aus einer solchen Diskussion erinnert. Was im Einzelfall um einen Ständer ging, repräsentiert auch ihre Laufbahn. Widerstände brechen von Leuten, die meinen, die tradierten Vorgehensweisen seien festgeschrieben. Das könnte erklären, warum in vergangenen Jahrzehnten so wenig Unternehmerinnen in der Branche gewachsen sind. Beim VDZ verweist man darauf, dass es durchaus Händlerinnen gebe, dies geschehe meist im Zusammenhang mit Betriebsnachfolgen.
Dass es Vorurteile gegen Frauen als Händlerinnen gibt, wissen auch andere Gesprächspartnerinnen. »Ist nicht auch jemand aus der Werkstatt da?«, lautet beispielsweise ein Satz, den die 45-jährige Sandra Hartje aus Oldenburg in Holstein immer mal wieder hört. Die Wahrnehmung, dass Männer mitunter als kompetenter eingestuft werden, gehört noch immer dazu. »Natürlich kommen immer mal wieder Sprüche. Aber ich nehme das nicht so eng, außer es ist wirklich unangemessen oder zielt stark auf eine Person«, sagt auch Martina Kretzsch, 49, aus Alfter-Witterschlick. Sie hat vor ein paar Jahren die operative Leitung des Fahrradladens Strack übernommen und arbeitet derzeit daran, auch die Gesellschafterin zu werden. Kein abschreckendes Umfeld für sie, im Gegenteil: »Schon als Kind wollte ich am liebsten immer etwas mit den Händen machen. So einen Job habe ich dann durch Zufall im Radladen gefunden«, sagt Kretzsch.

Eine von wenigen zu sein ist Alltag

Der Umweg war größer: Kretzsch stammt aus der ehemaligen DDR und machte dort eine naturwissenschaftlich-technische Schulausbildung. Danach studierte sie Informatik, was sie mit Diplom abschloss. Später arbeitete sie bei der Post und der Deutschen Post DHL, auch hier immer wieder eher in maskulinem Umfeld. Es war ein Job im Konzern, der sie verbrannte, aus dem sie floh, um etwas Erfüllenderes zu machen. So half sie als Urlaubsvertretung ein wenig mit im Radladen bei sich in der Nähe, war schnell begeistert, ging in eine normale Anstellung und übernahm nach einiger Zeit die Leitung des Geschäfts. Immer wieder hat sie dort erlebt, dass Frauen begeistert in die Werkstatt schauten, als sie arbeitete, dass sie gesagt hätten: Das könnten wir auch gern. Andererseits ist Kretzsch es aus ihrem Leben gewohnt, allein unter Männern zu arbeiten. Deswegen hat es sie auch nicht geschockt, als sie etwa bei Händler-Schulungen im neuen Umfeld saß, als einzige Frau. »Das kam mir vor wie in der Schulzeit, allein unter Männern.« Auch die Händlerin Hartje aus Oldenburg hat das immer wieder so erlebt. »Die meisten anderen Frauen, die dort waren, kümmerten sich um die Brötchen.«
Kretzsch ist eine Quereinsteigerin, die vieles hat lernen müssen in den vergangenen Jahren. »Aber ich habe erlebt, dass die Menschen darauf meistens verständnisvoll reagieren«, sagt sie. Eine interessante Erfahrung, die sie auch darauf zurückführt, dass sie sich dann auch wirklich um die Kundinnen und Kunden kümmert. Dies sehen die Gesprächspartnerinnen durchaus als Aspekte, die weibliche Händlerinnen stark machen können: Kommunikationsstärke, Kümmern, Beziehungsorientierung. »Ich denke, dass wir sehr beratungsorientiert arbeiten und dass das zur Kommunikationsstärke passt, die ja eher mit Frauen verbunden wird«, sagt Hartje. Die Kundschaft verstehen, das optimale Fahrrad für jeden persönlich finden, das sei der Anspruch.
Für Hartje war der Zugang zum Handwerk relativ eben, denn sie wuchs als Kind eines Radhändler-Ehepaars auf. Nach der Schule lernte Sie Goldschmiedin, doch als ihre Eltern sich trennten, unterstützte sie den Vater im Geschäft. Daraus ist eine nun bald zwei Jahrzehnte währende Händlerinnenlaufbahn geworden. Damals war sie eine von wenigen, und daran hat sich bis heute nur wenig geändert. Weder bei anderen Geschäften noch bei den Mitarbeitenden. Die Gesprächspartnerinnen für diese Geschichte haben nur selten Kontakt mit weiblichem Nachwuchs, Praktikantinnen etwa kommen nur in der klaren Unterzahl in die Läden und hätten vielfach gar kein Interesse am Thema. Allerdings glauben die Frauen nicht daran, dass man hier mit Kampagnen oder Quoten nachhelfen sollte. »Ich glaube nicht, dass man über solche Instrumente wirklich Frauen erreicht, die Interesse am Handwerk haben«, sagt Hartje. »Das Interesse müssen sie schon mitbringen, das lässt sich nicht politisch fördern.«

Persönlicher Kundenkontakt als Erfolgsfaktor

Wie aus Interesse Geschäft werden kann, zeigt auch die 40-jährige Ulli Wiesinger aus der Nähe von Graz in der Steiermark. Die gelernte Elektrotechnikerin stieg vor drei Jahren in das Geschäft mit Fahrrädern ein und hat heute eine sehr einprägsame Domain, unter der Kunden sie finden: »diefahrradhaendlerin.at«. Der Artikel »die« sei vielleicht etwas provokant, sagt die dreifache Mutter, aber natürlich schwingt da auch ihre weibliche Rolle stark mit. Vor etwa vier Jahren habe sie sich ein Lastenrad von Bicicapace gekauft, sei dann ständig auf dieses italienische Produkt angesprochen, ja regelrecht verfolgt worden und habe auf dieser Grundlage ihre Geschäftsidee entwickelt. »Zuerst schickte ich alle zu meinem Kollegen nach Wien, bis ich mir dachte: Fahrräder verkaufen kann ich auch.« Sie meldete ein Gewerbe an und stieg in den Handel ein. Da sie und ihr Mann in ihrer Mechatronikfirma ohnehin eine Werkstatt haben, konnte sie diese auch für Arbeiten an Fahrrädern nutzen.
Geworden ist daraus nun ein kleines, ungewöhnliches Geschäft. »Mein Kundenkontakt ist ein sehr persönlicher«, beschreibt Wiesinger ihren Ansatz. Verkauft werden nur Lastenräder, dazu renoviert sie alte Gefährte. »Technische Details stehen nicht so im Vordergrund, meine Fahrräder müssen praktisch und vor allem schön sein«, sagt die Österreicherin. Mit diesem Ansatz hat sie nun »überraschend viel Erfolg«, vor allem bei weiblichem Publikum. //

4. März 2021 von Tim Farin
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