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Kolumne - Gegenwind

Wer ballert, braucht keinen Lebenslauf

Karla war in ihrer Jugend Deutsche Meisterin und Teil der Rennrad-Nationalmannschaft. Das ist jetzt über 25 Jahre her. Beachtlich, aber bald nicht mehr wahr. Gleichzeitig bringt sie über 20 Jahre Erfahrung in der Fahrradindustrie mit und leitet ihre eigene Firma. Zu ihrem eigenen Missfallen sind es trotzdem immer noch...

...die ollen Kamellen vom Podiumsplatz, die ihr im beruflichen Alltag die Türen öffnen. Ihr und so vielen anderen.
Die Fahrradbranche liebt ihre Geschichterln. Am meisten die, in denen jemand mit 200 Watt einen Pass hochfährt, früher mal den Ötztaler Marathon gewonnen hat oder sich mit einem Zwift-Segment regelmäßig den Tag versüßt. Alles cool. Nur wird aus diesen Erzählungen oft eine Währung gemacht, die darüber entscheidet, wer dazugehört und wer eben nicht. Der Effekt: Es entsteht eine In-Group, die sich selbst bestätigt, einander Referenzen zuschiebt und innerhalb derer kaum hinterfragt wird, wer warum eigentlich als Expert:in gilt. Soziale Identität ersetzt Qualifikation. Zugehörigkeit ersetzt Kompetenzprüfung.
Und genau hier greift der sogenannte Halo-Effekt. Wer sportlich erfolgreich war, dem wird automatisch auch fachliche Kompetenz zugesprochen. Selbst dann, wenn es dafür keinerlei Belege gibt. Der Confirmation Bias erledigt den Rest: Informationen, die diese Zuschreibung stützen, werden bevorzugt wahrgenommen. Alles andere? Wird übersehen oder abgewertet.
Das wäre vielleicht gar nicht weiter schlimm, wenn es sich um eine Sport-Community handeln würde. Tut es aber nicht. Es geht um eine Industrie, um Unternehmen, um Karrieren. Und in dieser Branche reicht sportliche Historie noch immer als Legitimation für alles: vom Produktmanager über die Führungsrolle bis hin zur Meinungsführerschaft. Wer Prozesse optimiert, Teams leitet oder Marken entwickelt, muss sich dagegen oft erst beweisen.
Das wirkt nicht nur aus der Zeit gefallen, es ist auch ein strukturelles Problem. Wer dazugehören will, lernt schnell, wie man sich inszeniert: ein bisschen Understatement, ein bisschen Szene-Sprech, am besten noch ein verwaschenes Siegerfoto von 1999. Funktioniert fast immer. Auch bei denen, die es eigentlich besser wissen.
Der Preis dafür? Perspektiven, die fehlen. Stimmen, die leiser bleiben, und Talente, die sich irgendwann fragen, warum sie sich das eigentlich noch antun sollen. Denn wenn Anerkennung nicht an Kompetenz, sondern an kulturelle Codes geknüpft ist, wird man schnell zur Statistin oder zum Statisten im falschen Film. Es entsteht eine sich selbst stabilisierende Abwärtsspirale. Dabei gäbe es längst genug Menschen, die nicht nur wissen, wie man ein Rad fährt, sondern wie man eine Branche bewegt. Die nicht auf der Suche nach Applaus für ihre Vergangenheit sind, sondern an einer Zukunft arbeiten, die mehr kennt als Aerodynamik und Antriebsstrang. Die genau wissen, wie man Strukturen aufbaut, Netzwerke pflegt, Kommunikation steuert.
Vielleicht ist es an der Zeit, diese Leistung endlich sichtbar zu machen. Nicht, indem man alte Held:innen entthront. Sondern indem man neue Kompetenz würdigt. Eine, die nicht aus dem Sattel kommt, sondern aus Know-how, Haltung und Gestaltungswillen. Denn am Ende geht es nicht darum, wer schneller war. Sondern wer weiter denkt.

Karla Sommer von Velokin und Dani Odesser von Dani O. Communication bringen gemeinsam mehr als 30 Jahre Berufserfahrung in der Branche mit.

Gestern um 07:00 von Karla Sommer und Dani Odesser
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