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Report - Nachhaltige Unternehmensführung

Wie geht nachhaltige Unternehmensführung?

Nachhaltigkeit kann offensichtlich sein oder sich erst auf den zweiten Blick zu erkennen geben. Der Begriff Governance taucht heutzutage in vielen Nachhaltigkeitsberichten auf, fällt aber eher in die zweite Kategorie. Dabei ist es spannend zu sehen, wie nachhaltige Unternehmensführung funktioniert.

Viele Unternehmen beschreiben in ihren Abschlussberichten nicht nur, wie profitabel gewirtschaftet wurde. Zunehmend gerät auch die nichtfinanzielle Berichterstattung in den Fokus. Längst gefordert wird diese Art der Berichterstattung von börsennotierten Unternehmen. Über Nachhaltigkeitsziele und -fortschritte zu berichten ist inzwischen wichtig, nicht zuletzt, um nachhaltigen Investoren und Investorinnen die eigene Firma schmackhaft zu machen.

Drei Buchstaben für nachhaltiges Unternehmertum

Die sogenannten ESG-Kriterien bieten etwa bei der Unternehmensbewertung Anhaltspunkte, was ein nachhaltig geführtes Unternehmen ausmacht. Die drei Buchstaben stehen dabei für drei Bereiche, in denen verschiedene
Kriterien für nachhaltiges Handeln bestimmt wurden: Umwelt (Environment), Soziales (Social) und Führung (Governance) eines Unternehmens. Vereinfacht gesagt lauten die Fragen: Auf welchen Wegen schützt ein Unternehmen die Umwelt? Inwiefern wird sozial gerecht mit der Belegschaft umgegangen? Und wie wird Nachhaltigkeit in die Unternehmensführung eingebaut?
Die Kategorien E, S und G sind nicht nur ein Bewertungsraster der Finanzwirtschaft. Sie werden vor allem in großen Unternehmen auch als strategisches Instrument genutzt. In diesen Unternehmen bestimmen die Inhalte der drei Buchstaben Management-Ziele, um eine Firma für eine nachhaltige Zukunft zu rüsten.
Aktuelle Beispiele dafür gibt es bereits in der Fahrradbranche. Bei Pierer Mobility befindet sich das ESG-Management laut einem letztjährigen Bericht im Ausbau. Ein ESG-Team aus den Bereichen Qualitäts- und Risikomanagement und Investorenbeziehungen legt wesentliche Nachhaltigkeitsziele fest. Diese bricht Pierer dann auf messbare Indikatoren herunter. In allen Abteilungen sind bestimmte Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen für die Überwachung der ESG-Ziele zuständig.
Welche Ziele genau formuliert werden, bleibt mitunter trotzdem schwer verständlich. Wer an Umweltziele eines Unternehmens denkt, verbindet damit vielleicht die verbrauchten Rohstoffe und den Stromlieferanten. Bei Sozialzielen bestimmt eventuell die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern oder eine angemessene Bezahlung die Vorstellung. Was jedoch Ziele einer nachhaltigen Unternehmensführung sind, dürfte für viele eine schwer zu beantwortende Frage sein.
Das liege daran, dass die Inhalte von Governance weniger greifbar sind als die der Bereiche Umwelt und Soziales, meint Christian Klein, Professor für nachhaltige Finanzwirtschaft an der Universität Kassel.
Gelungene Governance-Strukturen schaffen es, opportunistisches Verhalten in einer Firma zu unterbinden. Sie verhindern Missmanagement, indem ein Unternehmen so aufgebaut ist, dass es sich selbst reguliert. Standards im Bereich Governance setzt in Deutschland die Regierungskommission Corporate Governance Kodex (CGK). Diese hat 2002 ihren ersten Kodex erstellt und seitdem jährlich geprüft und mehrmals überarbeitet. Die Kommission informiert über die derzeitige rechtliche Situation und spricht darüber hinaus Handlungsempfehlungen aus.

Kontrolle und Qualifikation im eigenen Haus

Diese Empfehlungen beziehen sich zum Beispiel auf Aufsichtsräte. Die Aufsichtsstruktur eines Unternehmens kann bestimmen, wie schwierig oder einfach es ist, Gesetze zu umgehen. Einen Aufsichtsrat müssen in Deutschland alle Aktiengesellschaften haben. Unternehmen mit dem Status GmbH brauchen nur dann einen Aufsichtsrat, wenn sie über 500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigen. Der Anteil der unabhängigen Mitglieder des Aufsichtsrats kann ein guter Indikator sein, wie frei der gesamte Aufsichtsrat in seiner Arbeit ist. Unabhängig ist etwa jemand, der Anteilseigner vertritt, wenn er oder sie keine persönlichen oder geschäftlichen Beziehungen zur Gesellschaft und dem Vorstand hat. Das soll dafür sorgen, dass der Aufsichtsrat keine Interessenskonflikte hat. Eine weitere Richtlinie des CGK lautet, dass höchstens zwei Mitglieder des Aufsichtsrats ehemalige Vorstandsmitglieder sein dürfen.
Der Sustainable-Finance-Beirat an die Bundesregierung empfiehlt zudem, dass die Mitglieder in Aufsichtsrat und Vorstand im Bereich Nachhaltigkeit qualifiziert sein sollten. Qualifizieren können die Mitglieder sich, indem sie Fortbildungen oder relevante Ausbildungsinhalte nachweisen. Diese sollten zum Beispiel Expertise zu OECD- und UN-Leitlinien zu Corporate Governance, Wirtschaft und Menschenrechten und Arbeitsnormen bescheinigen.

Die Spielregeln einhalten

In allen Firmen ist eine geregelte Unternehmensführung wichtig, doch die großen haben besondere Pflichten. Das liegt zum einen daran, dass diese sich vor mehr Menschen verantworten müssen. Zum anderen braucht es in einem großen Unternehmenskonstrukt einfach regelnde Strukturen, wo bei kleineren Unternehmen ein Appell womöglich ausreicht. »Bitte nicht bestechen lassen!«, damit ist es bei großen Unternehmen nicht getan.


Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Bei Unternehmensführung ist es umgekehrt. Ist diese nachhaltig, wird sie Whistleblowing fördern.

Ein nachhaltig geführtes Unternehmen muss sich an Regeln und gesetzliche Vorgaben halten. Es darf nicht korrupt oder bestechlich geführt sein. Inwiefern diese Regeltreue (Compliance) einem Unternehmen positiv angerechnet werden kann, wird mitunter infrage gestellt. »Es sind ja Dinge, die Unternehmen machen müssen. Die müssen sicherstellen, dass Korruption keine Chance hat, weil es einfach eine Straftat ist. Das wird auch im Impact-Bereich viel diskutiert. Soll man Unternehmen dafür belohnen, dass es keine Korruption im Unternehmen gibt, oder ist es nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit?«, sagt Christian Klein.
Nachhaltigkeitsziele zu setzen, wird laut dem Sustainable-Finance-Beirat noch wirksamer, wenn die Unternehmensziele zu den persönlichen Zielen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden. Dafür kann ein Unternehmen die variable Vergütung so regeln, dass ein Teil an feste ESG-Ziele gekoppelt ist. Wenn das Unternehmen einen festen Anteil an Schadstoffemissionen oder Materialverbräuchen einspart oder Gleichstellungsziele erfüllt, steigt das Gehalt. Damit diese Kopplung an das variable Gehalt wirkt, rät der Beirat zu einem Anteil von mindestens 30 Prozent.

Die Reißleine ziehen

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens stehen auch bei dem als Whistleblowing bekannten Prozess im Fokus. Sie bekommen es oft als Erste mit, wenn ein Unternehmen sich nicht an die Gesetze hält. Sofern eine Firma es den Menschen leicht macht, diese Auffälligkeiten zu melden, steigert das die Chance, dass sie es auch tatsächlich tun. Transparente Regelungen zu Whistleblowing gelten deshalb als ein Indikator für nachhaltige Governance. In einem achtseitigen Dokument aus dem Jahr 2017 hat die Accell-Gruppe den Umgang mit Anschuldigungen durch Whistleblower genau geregelt. Dort ist festgeschrieben, wie mit den erhobenen Vorwürfen verfahren wird und welche Schritte potenzielle Whistleblower erwarten können.

»Soll man Unternehmen dafür belohnen, dass es keine Korruption im Unternehmen gibt, oder ist es nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit?«

Christian Klein

2020 hat die niederländische Gruppe zudem eine Hotline für Whistle­blower in Betrieb genommen, die ein externer Partner betreut. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen können dort in ihren Augen bedenkliche Handlungen anonym melden, ohne um die eigene Rechtslage fürchten zu müssen.

Nachhaltigkeit ist Chefsache

»Die starke Umwelt-, Sozial- und Governance-Agenda (ESG) der Accell-Gruppe kann nicht als separater Bereich innerhalb des Unternehmens gesehen werden«, äußerte sich Ruben Baldew, CFO der Accell-Gruppe im 2020er-Jahresbericht. Dass die Äußerung von einer Führungspersönlichkeit und nicht aus einer kleinen Stabsstelle kommt, ist nicht nur ein Detail. Es zeigt, wo Nachhaltigkeit im Unternehmen verortet wird. »Das muss ganz oben angehängt werden«, sagt auch Christian Klein. Damit meint er nicht nur die Aktiengesellschaften, sondern auch kleine und mittelständische Betriebe. »Da hängt es davon ab, wie die Führungsperson bestimmte Themen vorlebt. Wenn der Chef bemängelt, dass in der Espressomaschine Alukapseln verwendet werden, dann findet eine Bewusstseinsbildung statt, die dann auf alles runterbricht.


Nachhaltigkeit gehört in die Führungsebene eines Unternehmens, meint Christian Klein, Professor für nachhaltige Finanzwirtschaft an der Uni Kassel.

Es findet sich eine Unternehmenskultur, die sich auch selbst reguliert.« Wie nachhaltig ein kleineres Unternehmen ist, hängt also von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ab. Wenn Nachhaltigkeit die Unternehmenskultur prägt, sorgt sie mitunter auch dafür, dass daran interessierte Leute sich dem Unternehmen eher zuwenden und sich auf freie Stellen bewerben.
Die Strategie, mit Nachhaltigkeit qualifizierten Nachwuchs anzulocken, werde in großen Firmen schon seit mehreren Jahren genutzt. »Die Unternehmen wissen, sie kriegen die Top-Leute nicht mehr, wenn sie nicht auf diese Sachen achten«, sagt Klein. Besonders in den Generationen Y und Z sei dies wichtig.

Ein Thema der Zukunft

Nachhaltigkeit macht ein Unternehmen nicht nur für potenzielle Bewerber und Bewerberinnen attraktiv, sondern auch für Menschen und Firmen, die Geld investieren wollen. Derzeit herrscht eine intensive Debatte über die Taxonomie der EU. Ausgelöst wurde sie unter anderem von der Frage, ob Atomkraft und Gaskraftwerke als nachhaltig eingestuft werden sollen. »Es geht dabei ja nur um die bisherige Nische nachhaltiger Geldanlage. Diese ganze Aufregung macht überhaupt keinen Sinn, wenn man nicht davon ausgeht, dass das Thema so groß wird, dass Unternehmen, die nicht auf diese Themen achten, wirklich einen tendenziellen Nachteil haben«, meint Professor Christian Klein. Wenn er recht haben sollte, würde das bedeuten, dass die Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen in Zukunft noch wichtiger werden dürfte. Davon betroffen wäre dann auch der bisher etwas stiefmütterlich behandelte Bereich Governance, so Klein.
Governance-Fortbildungen, etwa zum Compliance Officer von der Uni Augsburg oder dem TÜV Rheinland, dürften ebenfalls gefragter werden. Interessierte Menschen können sich aber auch selbstständig über den Themenstrauß der nachhaltigen Unternehmensführung informieren. Hierfür gibt es Angebote wie Global Compact. Dieses Netzwerk der UN für nachhaltige und verantwortungsvolle Unternehmensführung bietet kostenlose Webinare oder Themen-Führer zu Gender-Diversität oder Korruptionsprävention an.

10. Februar 2022 von Sebastian Gengenbach

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