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Nachgehakt - die Meldung hinter der Meldung

Wie zählt man Verkehrstote?

Wir berichteten am 14. Dezember 2023 über die Prognose zu den
Unfalltoten im Straßenverkehr (hier zur Meldung) . Zusammengefasst gingen die Forscher und Statistiker davon aus, dass 2023 trotz steigender Unfallzahlen weniger Menschen auf den Straßen Deutschlands tödlich verunglücken würden. Ein Leser fragte in den Kommentaren, ob es bei den Angaben zu den Toten mit rechten Dingen zugeht. Wir hakten nach.

In Europa gilt die 30-Tage-Regel: Wenn Verunfallte nicht innerhalb dieser Zeit nach einem Verkehrsunfall versterben, werden diese Menschen nicht mehr in der Statistik zu den Verkehrstoten erfasst. In anderen Ländern beziehungsweise Kontinenten gibt es diese Regel nicht, sodass die Zahlen nicht mehr unmittelbar vergleichbar sind. Das sollte man im Blick behalten, wenn es um internationale Vergleiche geht.
An dieser Stelle drängt sich natürlich die Frage auf, wie viele verunfallte Menschen dadurch aus der Statistik fallen. Es wäre ja sehr interessant zu sehen, wie viele Menschen später als 30 Tage nach einem Verkehrsunfall noch versterben. Tatsächlich gibt es weitergehende Statistiken dazu.
Je nach Studie sterben circa 60 Prozent der tödlich verletzten Verkehrsopfer, noch bevor sie in eine Klinik eingeliefert werden, also »vor Ort«. Dann gibt es in den verschiedenen Studien große Abweichungen bei den Zahlen zu den Menschen, die in Notaufnahme, OP-Saal und Intensivstation sterben. Es bleiben noch laut einer Studie errechnete 19,6 Prozent Verunfallte, die einen »späten Tod« sterben, was aber in dieser Studie bedeutet, »eine Woche danach oder noch später«. Todesursachen sind dann oft Sepsis, Multiorganversagen und vor allem Verletzungen des zentralen Nervensystems. Es finden sich noch zahlreiche andere Todesursachen, die aufgeführt werden. Eigentümlicherweise spielt die 30-Tage-Grenze für diese Art von Studien keine besondere Rolle, sodass danach längere Zeiträume ins Blickfeld rücken. Diese helfen dennoch sehr, die Folgen von Verkehrsunfällen einzuschätzen.
Bei Schädel-Hirn-Traumata gibt es, je nach Studie, eine Spanne von 30 bis 39 Prozent an Menschen, die innerhalb eines Jahres nach ihrem Unfall versterben. Diese Menschen haben auch Jahre danach eine mindestens doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit zu versterben wie die Gesamtbevölkerung. Die Lebenserwartung sinkt im Schnitt um 4 bis 7 Jahre (diese Angabe ist aber innerhalb der Studien mit einigen Fragezeichen versehen).
Rückenmarksverletzte überleben das erste Jahr zu 79 bis 94 Prozent. Dank moderner Medizin liegt die Quote eher bei 90 Prozent. Nach 30 Jahren liegt die Quote der Überlebenden jedoch nur noch zwischen 31 und 63 Prozent, je nach Studie. Sie haben also eine bis zu dreifache Mortalitätsrate im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Tod durch Suizid ist 4- bis 19-mal häufiger als in der Gesamtbevölkerung, je nach Studie.
Wenn man sonstige Beschwerden und Vorerkrankungen hatte, zeigt die Datenlage auf, dass ebenfalls erhöhte Gefahr besteht. Adipositas in Verbindung mit Unfall verkürzt das Leben noch einmal deutlich. Bei Diabetes ist die Datenlage, soweit ersichtlich, widersprüchlich.
Um es zusammenzufassen: Unfälle verkürzen die Lebenserwartung, auch wenn man die unmittelbaren Unfallfolgen zunächst überlebt. Es gibt also sicher mehr »Verkehrstote« als in der offiziellen Statistik auftauchen. Es lässt sich schwerlich bestreiten, dass ihre Beschwerden durch Verkehrsunfälle zustande kamen. Diese an den langfristigen Unfallfolgen versterbenden Menschen müssten eigentlich ebenfalls in der Statistik gezählt werden. Die Gründe für die 30-Tage-Frist sind natürlich praktische. Man kann kaum Jahrzehnte warten, bevor man Zahlen für ein bestimmtes Jahr veröffentlicht. Dennoch müsste viel stärker gewürdigt werden, dass viele Unfallopfer deutlich später an den langfristigen Folgen sterben. Das scheint über Jahrzehnte stabil ignoriert zu werden. Der von unserem Leser geäußerte Verdacht, dass sich durch die moderne Intensivmedizin die Zahlen über die Jahre verfälscht haben, konnte von uns nicht belegt werden, aber auch nicht widerlegt. Auch ein Anstieg der »späten Tode« ließ sich nicht finden beziehungsweise belegen. Die Zahl der Menschen, die dadurch knapp über die 30-Tage-Frist kommen, dürfte in jedem Fall deutlich kleiner sein als die Zahl derjenigen, die seit Langem aus der Statistik herausgenommen sind.
Diese Recherche erhebt keinesfalls den Anspruch, eine vollständige Analyse zu den Verkehrstoten zu sein. Tatsächlich hätte man hier auch noch deutlich tiefer einsteigen können. Doch das ist eine Aufgabe für die nächste Studie. Vielleicht arbeitet schon jemand daran. //

6. März 2024 von Daniel Hrkac
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