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Burkhard Stork, ZIV
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Interview - Burkhard Stork

»Wir sind ein Hidden Champion«

Seit dem 1. April dieses Jahres ist Burkhard Stork der neue Geschäftsführer beim Indus​trieverband ZIV. Er hat bereits beim ADFC viel für das Fahrrad bewegt und will dies auch in seiner neuen Rolle tun. Die alten Stärken sollen bewahrt und neuer Einfluss gewonnen werden. »Der ZIV will sich weiterentwickeln«, sagt er, und erklärt, wie die Zukunft des Verbands aussehen kann.

Burkhard Stork auf dem Vivavelo-Kongress

Herr Stork, wie kam der Wechsel vom ADFC zum ZIV eigentlich zustande?

Der Tod von Siegfried Neuberger war für den ZIV eine Katastrophe. Das ZIV-Präsidium hat dann mit der umgehenden Entscheidung für Ernst Brust sehr schnell klar gemacht, dass der zen-
trale Bereich Technik auf hohem Niveau gehalten werden soll, und das hat Ernst Brust auch klasse gemacht. Es war aber immer klar, dass er eine Übergangslösung ist. Ernst stand ja eigentlich vor dem Renteneintritt im Sommer 2020. Es kam dann schnell im Präsidium die Frage auf, wohin sich der ZIV entwickeln soll. Technik bleibt der Mittelpunkt, aber es kam der Wunsch auf, dass der Verband sich stärker um andere Politikfelder kümmert und dort präsenter ist. Man konnte sich vorstellen, das mit mir zu machen, und hat mich deswegen gefragt. Das hat mich sehr gefreut. Von mir aus wäre ich nicht auf den ZIV zugegangen, aber ich habe vernommen: Der ZIV will sich weiterentwickeln – das war das Signal, das ich gebraucht habe.

Wie wird die künftige Aufgabenverteilung im Verband aussehen?

Ernst Brust hatte den Auftrag, neben einem neuen Geschäftsführer auch jemand für die Technik zu suchen.
Es gab sehr schnell einen Vorschlag, wie man nach Ernst Brust den Bereich Technik und Normung besetzen könnte, denn das kann ich nicht ausfüllen. Auch für mich war von Anfang an klar, dass der ZIV seine Stärken im Bereich Technik hat und dass man diese Stärke nicht verlieren darf.
Ab Herbst werden wir uns mit einem Ingenieur verstärken, der schon heute in vielen Normungsgremien arbeitet und dann diese Arbeit im ZIV übernimmt. Der neue Kollege, der auch von der Industrie empfohlen wurde, wird noch einige Monate mit Ernst Brust zusammenarbeiten und dann nahtlos die Normungsarbeit übernehmen können.

Wo hat man als denn als Geschäftsführer die größere Durchschlagskraft? An der Spitze des ADFC oder beim ZIV?

Es ist ein bisschen früh, das zu sagen. Wir reden über zwei sehr unterschiedliche Verbände. Der ADFC ist eine der größten NGOs des Landes mit 450 lokalen Gruppen, womit auch jedem Bundestagsabgeordneten klar ist, dass er diese Menschen vor Ort sitzen hat und sie aktiv und engagiert sind. Gleichzeitig sind wir als Fahrradindustrie ein Hidden Champion. Wir machen ein fantastisches Produkt, das vielen Leuten Arbeit gibt und für dieses Land enorm wichtig ist. Ich glaube, dass sich die Durchschlagskraft des ZIV dieser gesamtgesellschaftlichen Bedeutung des Produkts in den nächsten Jahren anpassen wird. Und dann fragen Sie mich in drei Jahren noch mal …

Was ist für Sie die nächste Aufgabe, um diese angestrebte Durchschlagskraft zu erreichen? Wo wollen Sie anpacken, wo sehen Sie die großen Baustellen?

Wir wissen, dass das Fahrrad in den unterschiedlichsten Bereichen genutzt wird. Anders als zum Beispiel das Auto, das man praktisch nur braucht, um von A nach B zu kommen, haben wir ein Verkehrsmittel, das das fantastisch auch kann, aber gleichzeitig in vielen weiteren Bereichen wie Ausflügen, Tourismus, Mountainbiking funktioniert. Die Menschen setzen sich auch aufs Fahrrad, weil es Spaß macht und als Sportgerät funktioniert. Gleichzeitig haben wir in Deutschland eine große Fahrradindustrie, sehr häufig in der Fläche. Diesen ganzen Komplex aufzuschlüsseln und zu fragen, was bedeutet das denn sportpolitisch, was bedeutet das wirtschaftspolitisch, das sind für mich die nächsten Schritte: Mit der Erfahrung, die ich vom ADFC mitbringe, tatsächlich zu sehen, in welchen Politikbereichen der ZIV sich stärker engagieren und stärker präsent sein kann und wie wir das angehen.

Das heißt in der Summe, dass der ZIV sein Gewicht künftig stärker in politischen Diskussionen einbringen will, als es vorher der Fall war?

Ja. Das hat nichts mit der Personalie Stork zu tun, sondern damit, dass die Bedeutung des Fahrrads größer geworden ist. In den zehn Jahren vor Corona hat sich das Fahrrad von einem bleischweren Politthema, an das niemand ranwollte, gewandelt zu einem netten, medial aufmerksam diskutierten Thema. Dadurch hat sich das Gewicht der Branche verändert. Während Corona ist das noch mal deutlicher geworden. Ich mache mir heute sehr große Sorgen um den ÖPNV, aber gar keine Sorgen um die eigene Branche.

Wie ist denn aus Ihrer bisherigen Wahrnehmung die aktuelle Lage der Branche? Wie schätzen Sie die aktuellen Warenengpässe ein? Wie lange wird es dauern, bis da Normalität einkehrt?

In den letzten Wochen habe ich viele Gespräche geführt und die gleichen Fragen gestellt. Sehr häufig höre ich, dass es durch die langen Vorlauf- und Lieferzeiten lange Lieferfristen gibt. Das empfinden viele als sehr ungewohnt. Wir reden über eine Industrie, die plötzlich weniger im Jahresrhythmus agiert, sondern länger planen muss und sich jetzt überlegen muss, wie die Saison 2023 laufen wird. Das ist natürlich eine Herausforderung, von vielen wird das aber auch als reizvoll empfunden. Ich bin beeindruckt, wie sehr zum Beispiel Lagerprozesse längst umgestellt sind und wie die Unternehmen in organisatorischen Details schon reagiert haben. Gleichzeitig bleibt die leichte Unsicherheit, ob diese Planungen alle aufgehen werden. Von daher ist mein Eindruck, dass es einen nächsten Schritt zur Verstetigung der Branche geben wird. Ich meide das Wort »Professionalisierung«, denn die Branche agiert ja schon professionell.

Die Fahrradindustrie erwartet also insgesamt schon, dass zumindest bis 2023 der bestehende Trend fortgesetzt werden kann?

Ja, wobei ich schon häufig das Wort »nachhaltig« höre. Ist das nachhaltig, wird gefragt.

Was unseren Erfolg gefährden kann, ist politischer Natur.

Da geht es um Fragen wie Typgenehmigung, was letztlich eine politische Frage ist. Es geht um die Debatte, ob die mediale Berichterstattung weiter so positiv bleibt. Es geht um Verkehrssicherheit, was ein Thema ist, um das sich der ZIV künftig verstärkt kümmern muss. Ich bin ja bereits im Vorstand des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) und da wird sich der ZIV künftig engagieren. Schon in den Vorjahren gab es Konflikte um das Mountainbiken. Das hat sich im Coronajahr noch verstärkt. Es gibt ganz viele Umstände von außen, die Einfluss nehmen können, und um die müssen wir uns kümmern, damit der Fahrradboom nachhaltig bleibt.

Wie belastet der aktuelle Lockdown die Branche?

Soweit ich das höre, ist die bisherige Saison sehr gut gelaufen, bis die Testpflicht für Kundinnen und Kunden eingeführt wurde. Das hat doch noch zu einem Knick geführt. Ich hoffe, dass die Läden nicht flächendeckend schließen müssen, sie haben im vergangenen Jahr bewiesen, dass sie Hygiene können. Aber wir haben im vergangenen Jahr auch gesehen, dass der Kauf oft nur verschoben wird. Am Ende konnte die Branche insgesamt doch kräftig profitieren. Wenn die Menschen im Sommer wieder rauskönnen, werden sie kaufen.

Welche Ziele haben Sie sich persönlich gesetzt mit dem ZIV? Was haben Sie sich vorgenommen in dieser neuen Aufgabe?

Da ist einerseits ganz klar das Ziel, die bisherige Qualität und Verbindlichkeit weiter sicherzustellen. Ich höre von vielen Leuten, »ich konnte Siegfried Neuberger Tag und Nacht anrufen, der wusste immer alles rund um Normung«. Das müssen wir halten, das ist die Grundlage für alles Weitere. Dazu kommt, die mediale Sichtbarkeit und Präsenz zu erhöhen, in Berlin politisch wahrnehmbar zu sein, in den Gremien zu sitzen und in einer orchestrierten Form Einfluss zu nehmen. Ich werde ganz bestimmt nicht mit dem ADFC, der in Berlin hervorragend aufgestellt ist, um irgendeine Vorrangstellung streiten. Wir werden mit den größeren und kleineren Verbänden gemeinsam schauen, wie die Orchesterleistung aussieht. Der ADFC wird über die Bedeutung des Radfahrens in den Kommunen immer präsenter sein als wir, aber wir werden über die wirtschaftliche Bedeutung des Fahrrads immer besser sprechen können als andere. Insgesamt das Fahrradorchester in Berlin neu aufzustellen, ist das zentrale Thema.

Wenn Sie das Bild schon bemühen: Wer ist in diesem Orchester der Dirigent?

Das kommt auf das Stück an, das gespielt werden soll. Wenn es einen Dirigenten oder eine Dirigentin braucht, dann geht es dabei sehr stark um Themen. Ich glaube nicht, dass es da Reibereien geben wird. Es gibt das Thema Nutzerrezeptionen, da ist der ADFC sehr weit vorne. Wenn wir über andere Themen reden, wie Anti-Dumping-Maßnahmen, wirtschaftliche Notwendigkeiten oder Fachkräftemangel, dann ist doch klar, dass der ZIV seine Stimme einbringen wird.

10. Mai 2021 von Daniel Hrkac

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