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Führende Radlogistiker setzen auf Cargo-Bikes
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Profi-Lastenräder, Lieferdienste & Co.

1. Radlogistik-Konferenz setzt Ausrufezeichen

Noch ist die Radlogistik überschaubar. Aber die Dynamik bei Produkten, Services und Rahmenbedingungen beeindruckt. Experten prognostizieren einen neuen Milliardenmarkt. So könnte künftig bis zu einem Drittel des urbanen Lieferverkehrs mit Cargo-Bikes erfolgen.

Führende Radlogistiker setzen auf Cargo-BikesHerstellerseitig gibt es viele LösungsansätzeRadlogistik hat viele Facetten1. Radlogistik-Kongress feierte Premiere.1. Radlogistik-Kongress feierte Premiere.

Rund 200 Vertreter der Radlogistik-Branche trafen sich vom 24. bis 26. Oktober in Berlin zur 1. Radlogistik-Konferenz. Darunter politische Prominenz wie Berlins Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Regine Günther (Grüne), Staatssekretär Steffen Bilger vom BMVI und Experten wie Prof. Ralf Bogdanski (Fachbuchautor „Nachhaltige Stadtlogistik: Warum das Lastenfahrrad die letzte Meile gewinnt“). Nicht nur für einen Erstling setzte die professionell organisierte und informative Veranstaltung ein großes Ausrufezeichen. Sehr gut gelungen waren auch das vielfältige Rahmenprogramm und die Möglichkeit, nicht nur über die neuesten Cargo-Bike-Modelle zu fachsimpeln, sondern sie auch direkt vor Ort zu testen.

Professionell: Neuer Radlogistik Verband startet durch

Die Gründung des Radlogistik Verband Deutschland e.V. (RLVD) im letzten Jahr und die, inklusive Rahmenprogramm, dreitägige Konferenz in Berlin zeigen: Es geht hier mit großen Schritten vorwärts. Die Radkurierszene nutzt die lange Erfahrung, beste Ortskenntnisse und bestehende Kundenbeziehungen, streift ein Stück weit das alternative Image ab und entwickelt sich mit Logistik-Know-how weiter. Dazu kommen neue Hard- und Software-Anbieter, auch aus der Automobilzulieferbranche, die genau das liefern, was die aufstrebende junge Branche braucht: Leistungsstarke E-Bike-Antriebe, neue Fahrzeugkonzepte und verschiedene Aufbauten für unterschiedlichste Einsatzzwecke, hochbelastbare und weniger wartungsintensive Komponenten, Software für GPS-optimierte Tourenplanung und -Steuerung, automatische Buchungssysteme und vieles mehr.

Spirit der Bike- und IT-Branche verinnerlicht

Was die neue Branche von außen betrachtet auszeichnet ist ihr Selbstverständnis, in einem hochdynamischen Markt am besten durch Kooperationen agieren und wachsen zu können. Das zeigt sich zum Beispiel bei neuen Coworking-Formen wie im „MotionLab.Berlin“, einem laut Eigenbeschreibung „Prototyping-Space für Mobilität von morgen“. Hier haben unter anderem innovative Logistik-Bike-Hersteller, wie Citkar, oder Ono eine Heimat gefunden haben. In der riesigen Halle, in der der Kongress Halt machte, wird getüftelt, entwickelt, geschraubt und sich ausgetauscht. Mit einigem Erfolg, wie die fahrfertigen Prototypen, die vor Ort ausprobiert werden konnten, zeigten.

Aber nicht nur die Start-ups, auch große Logistikunternehmen wie DPD, DHL, GLS, UPS und Hermes arbeiten auf der letzten Meile inzwischen zusammen. „KoMoDo Berlin“ ist hier ein bislang einmaliges Forschungsprojekt, an dem sich die fünf größten nationalen Paketdienstleister beteiligen. Dabei steht die „Kooperative Nutzung von Mikro-Depots durch die Kurier-, Express-, Paket-Branche für den nachhaltigen Einsatz von Lastenrädern in Berlin“, so der Volltext, im Mittelpunkt. Ein echtes Novum in der sonst von strikter Abgrenzung und Konkurrenzkampf geprägten Branche, wie Martin Schmidt, Geschäftsführer der Cycle Logistics CL GmbH und Vorsitzender Vorstand des Radlogistik Verband Deutschland e.V. bei der gemeinsamen Biketour zu den wichtigsten Berliner Radlogistik-Hotspots betonte. Lösungen und Synergien durch Kollaboration sind heute Erfolgsfaktoren. Nicht zuletzt deshalb betonten anwesende Spezialisten, Berater und IT-Entwickler augenzwinkernd: „Seid Netz zueinander.“

Arne Behrensen: Radlogistik funktioniert – schon heute!

Für den branchenbekannten Lastenradexperten Arne Behrensen (cargobike.jetzt) und Mitinitiator und Mitorganisator des Kongresses, den wir für die erste Ausgabe unseres Schwestermagazin VELOPLAN interviewt haben, ist klar: „Radlogistik funktioniert – schon heute!“. Für ihn setzen neben Familien immer mehr Paket- und Lieferdienste, Handwerker oder Kommunen auf Cargobikes, weil steigende Emissionen und ständig verstopfte Städte bei Unternehmen zu einem Umdenken führen. „Im Wirtschaftsverkehr gibt es riesige Verlagerungspotenziale.“

Probleme: Infrastruktur, Gesetzgebung…

Große Hoffnung auf einen dynamisch wachsenden Markt weckte auch Professor Ralf Bogdanski Fachbuchautor und Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Nürnberg – um sie dann gleich wieder zu dämpfen: „Die Lastenrad-Logistik könnte perspektivisch etwa 30 Prozent des urbanen Lieferverkehrs abdecken“, betonte er in seinem Vortrag. Unabdingbar sei dafür aber nicht nur der Ausbau der Radwege-Infrastruktur, auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssten sich rasch ändern. Damit sprach er unter anderem die Radwegebenutzungspflicht für Lastenräder sowie das derzeitige Verbot an, am Fahrbahnrand parken zu dürfen. Zumindest beim zweiten Punkt kündigte der anwesende BMVI-Staatssekretär Steffen Bilger auf dem Podium eine schnelle Reform im Rahmen der anstehenden StVO-Novelle an. Problematisch sieht Professor Bogdanski aber auch Punkte wie bislang nicht definierte Fahrzeugabmessungen, Maximalgewichte, allgemein die Sicherheit im Straßenverkehr oder die bislang auf 250 Watt Dauerleistung beschränkte Tretkraftunterstützung. Gerade bei Letzterem seien manche Hersteller aktuell in einer Grauzone unterwegs, so seine Mahnung.

Falsche Prioritäten bei der Förderung

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Förderungen der Automobilindustrie in Milliardenhöhe erscheinen die bisherigen Förderprogramme für Cargobikes und Radlogistik bislang äußerst zaghaft. Abgesehen vom Geld zeigen auch hier andere Städte, dass es, und wie es geht. Zum Beispiel indem Kommunen Logistikern in der Innenstadt zur Zusammenarbeit verpflichten, Auslieferungen in der City per Lkw drastisch einschränken und wichtige Flächen als Hubs für Mikro-Logistik bereitstellen. Auch wenn erste Ansätze, wie KoMoDo, in die richtige Richtung weisen: Von ganzheitlichen Lösungen ist man hierzulande bislang noch ziemlich weit entfernt.

Weitere Aussichten? Trotz allem sehr gut!

Berlins Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Regine Günther betonte, dass die Praxistests in Berlin gezeigt hätten, wie moderner, umwelt- und klimafreundlicher Lieferverkehr funktionieren kann. Die Berliner Senatorin hält Cargobikes für einen wichtigen Baustein, wenn es um die Neuorganisation des innerstädtischen Verkehrs geht. Man kann hoffen, dass das Berliner Beispiel Schule macht und sich mehr und mehr Verantwortliche für eine aktive Förderung entscheiden und sich dafür auch auf Bundesebene stark machen. Der Druck in den Kommunen wächst, die Produkte und die Technik sind da und alte und neue Markteilnehmer professionalisieren sich. Die Rahmenbedingungen scheinen also insgesamt günstig. Und wenn der vielzitierte Satz stimmt, dass sich der Mobilitätsmarkt aktuell in fünf Jahren so schnell bewegt, wie früher in 30 Jahren, dann könnten tatsächlich auch bei der (Rad-)Logistik disruptive Veränderungen bevorstehen.

12. November 2019 von Reiner Kolberg
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