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Wie werden E-Bikes im Jahr 2020 gekauft. Eine Idee davon geben jetzt schon die neu entstehenden Fachgeschäfte für E-Mobilität, wie hier an der Automeile in Karlsruhe.
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Report - Zeitreise

Bike-Shopping im Jahr 2020

Wie werden E-Bikes im Jahr 2020 gekauft? Unser Autor Reiner Kolberg begibt sich gedanklich auf Zeitreise und geht einkaufen.

Lange habe ich meinem Fahrradhändler die Treue gehalten, aber spätestens seit mein Mobilfunkanbieter Blue2 mich mit günstigen »allnet mobility rates« und E-Bikes für wenige Euro Zuzahlung lockt, will ich es endlich wissen. Was ist dran an den neuen Läden, zu denen inzwischen immer mehr Menschen strömen?
Eine nette junge Dame am Empfang begrüßt mich. Ich muss kurz warten bis ein anderer Kunde fertig bedient ist. Das hat sich wohl auch 2020 noch nicht geändert. »Kann ich Ihnen inzwischen etwas zu trinken anbieten?« Mit einem Espresso in der Hand schaue ich mich um. Der Laden ist kühl, hell und modern. Im Schaufenster und im Laden selbst stehen überdimensionale Videowände, die immer wieder andere E-Bikes zeigen: mit Prominenten und Menschen wie du und ich. Auffallend sind einige cool gestylte Roller und Dreiräder, aber die interessieren mich weniger, denn ich suche ein neues Stadt- und Tourenpedelec.

Ich denke zurück an die letzten Jahre: Kaum jemand hatte ernsthaft geglaubt, dass sich ein Mobilfunkanbieter ernsthaft auch für physische Mobilität interessiert. Aber inzwischen geht es längst nicht mehr um die Hardware, also um Auto, Bahn, ÖPNV, Fahrrad oder E-Bike, sondern um vernetzte Mobilität. Und so haben immer mehr Unternehmen damit begonnen, die bestehenden Kunden mit neuen Angeboten zu ködern. Das Erfolgsrezept ist dabei eng an bekannte Muster angelehnt: niedrige Einstiegspreise, hohes Innovationstempo und Gewinn durch vernetzte Angebote und Services.

Von den E-Bikes selbst ist im Laden erst einmal wenig zu sehen. Nicht viele stehen im Geschäft – wahrscheinlich um die zehn Modelle – alle ganz unterschiedlich gestaltet und jeweils in einer Herren- und einer Damenausführung. Sehr schick sehen sie aus, aber warum um Himmels willen alle in Weiß? Die Kundenberaterin erläutert das Konzept. Nichts soll beim ersten Anschauen vom Design ablenken – alles Weitere sei individuell gestaltbar. Mein Rad könnte ich mir später genauso anschauen, wie ich es haben möchte. Ich bin gespannt!
Wie ich im Internet gesehen habe, bietet der Shop weder Testfahrten an noch eine Werkstatt. Stattdessen gibt es einen zentralen Reparaturdienst außerhalb der Stadt und mobile Service-Stationen. Auch testfahren kann ich hier keines der Bikes. Dafür gibt es in jeder Stadt spezielle Eventteams, die in der Saison nach Voranmeldung Sightseeing-Touren, Ausflüge oder längere Reisen zum Testen anbieten.

Schaue ich zurück, dann hat sich die Mobilität insgesamt, aber speziell in der Stadt einschneidender und schneller gewandelt als allgemein erwartet. Am wenigsten hat sich der Mensch dagegen trotz deutlich vermehrter Naturkatastrophen selbst verändert. Er klagt nach wie vor über galoppierende Energiekosten, Preiserhöhungen bei Bus und Bahn, kaum noch bezahlbare Flüge, neue Ökosteuern und CO2-Abgaben, rekordverdächtige Parkgebühren, Autobahn- und Citymaut und natürlich besonders über die Benzinpreise. Ein erster großer Aufschrei ging durch die Republik, als 2013 die Marke von zwei Euro für den Liter Benzin durchbrochen wurde. An die folgenden Preissteigerungen gewöhnte man sich dann aber schnell – bis der Benzinpreis zum ersten Mal über drei Euro lag und die Bild-Zeitung titelte »Wahnsinn: Benzin bald 5 Euro?«

In den Laden gehen, ein Rad aussuchen, Probefahren und Kaufen – das war gestern. Zumindest bei meinem Mobilfunkanbieter Blue2, der sich ganz einem individuellen Customizing Concept verschrieben haben: So beginnt jede Beratung mit einem ausführlichen Gespräch über bevorzugte Bike-Typen, die Länge der zurückgelegten Strecken, Sitzhaltung etc.. Gleich danach geht es zum praktischen Teil und die Dame nimmt in einem Nebenraum erst einmal Maß. Nicht sie selbst, sie gibt nur die Hinweise, was als Nächstes zu tun ist. Alles andere geht automatisch. »Arme bitte auseinander, bitte die Beine spreizen. Bitte einmal hier draufsetzen, damit wir Ihre Beckenknochen vermessen können.« Danach geht es auf ein Standrad mit vielen Schrauben und Schnellspannern. Bevor ich Platz nehmen darf, stellt sie alle möglichen Abstände ein.
»Bitte einmal Platz nehmen.« Ich schwinge mich auf das Rad. Sie schaut kritisch, bittet mich noch einmal abzusteigen, verstellt ein paar Schrauben, tauscht noch einmal Lenker und Sattel. Auf ein Neues. Langsam gewöhne ich mich ans Probesitzen, trete in die Pedale und fange an, mich wohlzufühlen, bis unter mir plötzlich etwas leichte Geräusche macht. »Kein Problem, das Rad hat gerade Ihr Gewicht und die optimale Verteilung ermittelt. Jetzt stellt der Sattel mit Luftdruck die ideale Dämpfung ein.« Aha! »Dann treten Sie mal richtig los«, kommt die nächste Aufforderung. Für mich nicht ganz unvorbereitet, denn von einer kostenlosen Leistungsdiagnostik hatte ich schon in der Werbung gehört. Nach drei Minuten Belastungstest, während dem ich meinen Puls auf der Anzeige sehe, darf ich wieder absteigen. »So, mit ihren individuellen Daten können wir jetzt das optimale Bike für Sie zusammenstellen.«
Die Beraterin führt mich in einen weiteren Nebenraum. Hier hängen Rahmen in allen Standardfarben an der Wand. »Selbstverständlich können Sie auch jede andere RAL-Farbe gegen Aufpreis bekommen«, verspricht sie. »Auch Mehrfachlackierungen sind kein Problem.« Okay, die Rahmenfarben liefern schon mal einen guten Eindruck, aber so richtig vorstellen kann ich mir das Rad noch nicht. »Kein Problem«, flötet mein Gegenüber, »am Computer gebe ich die individuelle Farbkombination ein und schon können Sie das Rad ansehen – natürlich mit allem was dazugehört.« Also auf zum nächsten Schritt: Ausstattung und Zubehör. Weiter geht’s mit Motor-, Schaltungs- und Akkuvarianten, Bereifung, Federung, Beleuchtung, Schutzblechen usw.. »Möchten Sie die auch in Rahmenfarbe? Wird gerne genommen.« Ja, möchte ich. Einen Gepäckträger möchte ich noch haben, aber lieber vorne statt hinten, in Rahmenfarbe lackiert und natürlich mit Echtholzboden. Ein paar Klicks am Computer später: »Kein Problem, habe ich da.« Und schon sehe ich das Bild meines Rades mit dem Träger. Sieht schick aus. »Möchten Sie noch eine passende Tasche dazu?« Auch die gibt es natürlich in allen Farben und Dekoren passend zum Rad.
Trotz aller Möglichkeiten zur Auswahl sind wir überraschenderweise schon nach ca. 15 unterhaltsamen Minuten fertig, was auch an der kompetenten Beraterin liegt, die scheinbar für alles und jedes sofort eine Erklärung und eine Empfehlung parat hat. Fertig ist auch mein neues Bike. Zumindest virtuell. Ich kann es aus allen Perspektiven betrachten und mit der Brille, die mir die Beraterin reicht, auch in 3D. Cool! Mein Bike hält, was die Werbung verspricht: »Mehr Individualität geht nicht.« Gerade in der heutigen Zeit als Ausdruck der Persönlichkeit ein wichtiges Kaufargument.

Draußen vor dem Laden und im Web 3.0 wird durch ausgeklügelte Netzwerke inzwischen fast alles »geshared«: Der Platz im Auto, im Taxi, der Stellplatz zu Hause und am Arbeitsplatz, der Arbeitsplatz selbst, die Wohnung. Bürgerbusse, e-Tuktuks und Leicht-Elektrofahrzeuge, vor allem Zweiräder, sind besonders beliebt. Mit neuen Mobilitätskarten erwirbt man auch hier Nutzungsrechte oder Besitz auf Zeit und hat so über verschiedene Raten oder Anteile immer die besten Mobilitätslösungen zur Verfügung. In den Zentren der Großstädte bevölkern inzwischen alle möglichen Zwei- und Dreiradfahrer Straßen und Plätze. Auch die Parkhausbetreiber haben inzwischen umgedacht. Park&Charge heißt das Motto und die Erdgeschosse werden inzwischen fast überall für E-Bikes reserviert.

»Welchen Service wollen Sie haben? All-flat? Individual oder Standard?« Die Beraterin erläutert alle drei Varianten, von der Abholung und des Austausches des Rades in einem Umkreis von 10 km inkl. Langstrecken- und Urlaubsversicherung, Rabattierung bei Bahn und ÖPNV sowie angeschlossenen Partnerunternehmen im Bereich Greentech. Als sie meinen fragenden Blick sieht ergänzt sie: »Mit Ihrer Entscheidung können Sie sich Zeit lassen, denn in den ersten drei Monaten sind Sie sowieso voll abgesichert. Diebstahl, Vandalismus, Pannen, einfach alles und egal wo in Deutschland.« Das klingt gut. »Ihr Rad steht dann in zwei Wochen bereit; Ihre App benachrichtigt Sie. Sollen wir es Ihnen vorbeibringen?« Ich bin perplex und sprachlos und nehme mir vor, zu Hause sofort nach dem Haken zu suchen. Irgendwo muss es doch einen geben.

9. Februar 2012 von Reiner Kolberg
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