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Blue Efficiency
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Portrait - Nextbike

Blue Efficiency

17.000 Fahrräder in 32 Städten Deutschlands und in 14 anderen Ländern gehören zum Fahrradverleih Nextbike. Dabei ist das Unternehmen gerade einmal zehn Jahr alt. Und der Gründer wollte eigentlich nur sein Studium finanzieren.

Mittlerweile kommen Städte und Gemeinden auf Nextbike zu. »Sie haben gemerkt, dass Fahrradverkehr und ein flexibles Mobilitätssystem den Städten gut tut. Mittlerweile gehört es zum guten Ton einer Stadt«, erzählt Mareike Rauchhaus, Pressesprecherin des Unternehmens, von der Entwicklung in den letzten Jahren.
Am Anfang ging dagegen nichts von selbst. Dabei drängte sich die Idee des Fahrradverleihs geradezu auf. Ralf Kalupner, selbst passionierter Rennradfahrer, studierte 2004 Wirtschaftsingenieurwesen in Dresden und war dort und in Leipzig viel unterwegs. Damals gab es in einigen Städten schon Leihräder von Call a Bikes, die mittlerweile unter dem Label der Deutschen Bahn fahren. Ansonsten: Bedarf war da, aber er wurde nicht wahrgenommen – oder keiner nahm sich seiner wirklich an. Außer Ralf Kalupner. Mit seinem Freund Georg Ruppelt, heute noch Teilhaber von Nextbike, wurde 2004 die Firma Nextbike gegründet, ein Verleihsystem ausgeklügelt, Räder entworfen und so das Unternehmen angeschoben. Allerdings nicht ohne Anlaufschwierigkeiten: Die in Fernost bestellten 40 Räder ließ sich der Hersteller zwar zahlen, sie kamen aber nie beim Auftraggeber an.
Für viele andere wäre das wohl das frühe Ende eines Startups gewesen. Aber die beiden machten weiter. 2005 standen dann schließlich in Leipzig und Dresden doch je 20 Räder von Nextbike. Einfach so. Und warteten auf Kundschaft.

Hilfe – wir haben Leihräder in der Stadt!

Das Einfach-so-Rumstehen ist dabei wichtig: »Eigentlich war das eine richtige Guerilla-Aktion«, erklärt Rauchhaus heute. »Wir haben die Leihräder abgestellt und gewartet, was passiert – und sie wurden genutzt.« So ging man anfangs in vielen Städten vor, die man als Leihrad-affin ansah. Nicht immer mit dem Wohlwollen der Stadt: Hamburg wollte sich 2008 einfach nicht vom Leihrad-Bazillus anstecken lassen. »Die Stadt versuchte, Nextbike weg zu klagen«, so Rauchhaus. Es kam zu einem Gerichtsverfahren. Das Oberlandesgericht entschied damals: Bikes als Leihräder in der Öffentlichkeit aufzustellen, kann nicht verboten werden. Bei Nextbike – und nicht nur dort – sah man das als Präzedenzfall an. Erst später stellte sich heraus: Die Stadt hatte bereits einen Vertrag über die Partnerschaft mit der DB über eine Call-a-Bike-Flotte abgeschlossen. Doch gegen Nextbike konnte sie nichts unternehmen.

Dicke Freunde: Smartphone und Leihrad

Die Ausleihe ist relativ einfach: per Telefon, an einem der Terminals – wenn in der jeweiligen Stadt vorhanden – oder per App. »Die Smartphone-Entwicklung hilft uns enorm«, freut sich die Marketing-Frau. Einmalig muss man sich bei Nextbike registrieren – am einfachsten per PC oder App, dann kann man überall, wo vorhanden, ein Nextbike ausleihen. Nötig dazu: eine Kreditkarte. »Wahrscheinlich auch deshalb gibt es in unserer Klientel relativ wenige junge Menschen. Das Gros der Kunden ist zwischen 27 und 45 Jahren alt«. Das dürfte auch altersmäßig die Kerngruppe der Kunden sein, die Wert auf nachhaltige und umweltbewusste Mobilität legen. Aber auch, wer diese Werte nicht im Fokus hat, ist froh, in Städten und Ballungszentren eine einfache und schnelle Mobilitäts-Möglichkeit zu haben. Zur Anmeldung gibt man Telefonnummer und Adresse ab. Am Schluss kommt noch die Abfrage der Bankdaten, da für jeden Kunden ein Prepaid-Konto mit neun Euro angelegt wird.
So geht’s weiter: Wer einmal angemeldet ist, bekommt in seiner Smartphone-App die nächsten Räder beziehungsweise die nächsten Stationen angezeigt. Am Standort gibt er den Code des Fahrrads, das er ausleihen will, in der App ein oder per Anruf durch, und erhält umgehend die Schlüsselnummer für das Zahlenschloss des Rads. Und los geht’s.
Wird das Rad nicht mehr gebraucht, kann es in sogenannten Flexzonen, wie es sie etwa in Karlsruhe oder Dresden gibt, an jeder Straßenecke abgestellt werden. Oder an virtuellen Stationen, die in der App oder per PC angezeigt werden. Dazu gibt es Hinweisschilder an Straßenecken. Und dann gibt es in vielen Städten die fest installierten Stationen, wo Räder an Stelen abgestellt werden. Das Rad wird abgeschlossen, per Telefon, App oder am Terminal wird die Abgabe durchgegeben. »Frei stehende Fahrräder sind nur die zweitbeste Option für Nextbike«, sagt Rauchhaus. Wo fest installierte Nextbike-Stationen stehen, ist das Leihrad nochmals wesentlich erfolgreicher. »Alleine schon durch die Auffälligkeit; außerdem machen die Stationen mit Terminals die Ausleihe für viele Menschen einfacher.« Die Terminals hängen nicht an der städtischen Stromversorgung: Sie werden vollständig aus Solarenergie gespeist. Nachhaltig – wie das System selbst.

Service – ein ganz großes Thema

Durch die Eingabe der Codenummer bei der Rückgabe wird der Standort des jeweiligen Fahrrads definiert. Einige neuere Verleihräder sind mit GPS-Empfänger ausgestattet – zum Beispiel in Dresden oder Budapest. Bei der Rückgabe muss gar kein Standort durchgegeben werden, und das Rad bekommt in der Zentrale automatisch wieder den Vermerk, dass es frei ist.
Wichtig ist diese Standortinfo nicht nur dafür, dass es neu vergeben werden kann: Natürlich muss man sich um benutzte Räder auch kümmern.
Dafür arbeitet Nextbike in jeder Stadt mit Service-Technikern zusammen. Auch sie haben eine App – aber eine ganz andere: Die Service-App zeigt ihnen auf, wo sie im Umkreis benutzte, noch nicht durchgesehene beziehungsweise gewartete Räder finden. Diese intern MvOs (Mitarbieter vor Ort) genannten Wartungskräfte reparieren Plattfüße und sonstige Schäden und geben nach Durchsicht und Wartung das Rad wieder frei, stellen bei frei stehenden Rädern den Schließmechanismus neu ein und pflegen den Code in das System ein. In den Sommermonaten gibt es einiges für sie zu tun. In Leipzig gibt es beispielsweise zwei fest angestellte Servicekräfte und eine Saisonkraft.

Gut fahren mit Werbung

Wer die Preise von anderen Leihrad-Systemen kennt, schüttelt bei Nextbike tatsächlich zunächst ungläubig den Kopf: Die erste halbe Stunde ein Euro, für Mitglieder von Verbänden wie etwa dem ADFC ist sie sogar kostenlos. 24 Stunden kosten gerade einmal fünf Euro. Toll – aber wie geht das? Ganz einfach: Ein großer Anteil, von einer Anschubfinanzierung abgesehen, wird durch die Werbevermarktung getragen. Das Rad ist mit großer integrierter Werbefläche konzipiert. Früher war es die vom Rahmendreieck umgrenzte Fläche, bei den neueren Tiefeinsteigern ist es der »Flügel« über dem Hinterrad, den auch das Logo von Nextbike dominiert. Große Werbepartner finanzieren also den Betrieb des Leihradssystems mit und helfen, die Städte so nachhaltiger mitzugestalten.
Heute geht Nextbike selbst auf Werbe-Kundensuche. »Je größer das Ballungsgebiet, desto besser läuft die Finanzierung mit unseren Partnern«, erzählt Rauchhaus. In Hamburg, München oder Berlin läuft Nextbike so komplett eigenwirtschaftlich.
Darüber hinaus hat man vor fünf Jahren den bundesweiten Modellversuch »Innovative öffentliche Fahrradverleihsysteme« zusammen mit der Metropole Ruhr gewonnen – das gab dem Unternehmen nochmals enormen Aufwind. Seither heißt das Verleihsystem im Ruhrgebiet Metropolrad Ruhr und wird von Nextbike betrieben – mit etwa 2.700 Fahrrädern. »Wir hatten damals Bedenken, dass wir gegen große und staatsnahe Unternehmen wie Call a Bike leer ausgingen, aber es wurde damals sehr gerecht aufgeteilt.«

Leihfahrrad, Custom-Made

Bis vor zwei Jahren baute Nextbike alle seine Räder selbst – mitten in Leipzig, in einer etwa 1000 Quadratmeter großen Halle. Mittlerweile werden Rahmen und einige Komponenten in Asien produziert. Assembliert wird in der Nachbarschaft bei einem guten Bekannten aus der Branche: bei der Mifa. Nur kleine Mengen werden noch direkt in Leipzig aufgebaut. Entwickelt wird allerdings immer noch in Leipzig – von Kalupner und Mitarbeitern. Es geht schließlich darum, ein Rad auf einen ganz spezifischen Einsatzbereich hin zu trimmen. So entwickelten sie das »Flügel-Rad«-Konzept mit der integrierten Werbefläche, aber auch Details wie den speziellen Korb. Und natürlich den Adapter für die Stationen.
Die Hardware ist aber nicht das einzige: Die komplette IT-Entwicklung machte bis vor kurzem ein Freund des Gründers, Johannes Vockeroth; »der ist quasi das Nextbike-Gehirn«, so Rauchhaus. »Egal, ob es die Kennzeichnung der rückgeführten Räder in der Software ist oder die optimierte Route für den Servicemann, das kommt alles von ihm.« Und für jede Stadt, die neu hinzukommt, wird ein eigenes Konzept ausgearbeitet. »Alles wird auf die jeweilige Region zugeschnitten«, so Rauchhaus. »Wir müssen zum Beispiel in Warschau mit ganz anderen Stationsgrößen kalkulieren als in Norderstedt. Bei großen Stationen kommt auch unser automatisches Schließsystem zum Einsatz; in kleineren Städten reicht das klassische analoge Schließsystem mit Zahlenschloss.«

Mobilitätsrevolution im Gründerzeitviertel

Im beliebten Leipziger Waldstraßenviertel – eines der größten Gründerzeitvierteln Europas – residiert Nextbike stilecht: im Hinterhaus in den Räumen einer alten Schlosserei. Helles Großraumbüro für derzeit 13 Mitarbeiter, gläserne Besprechungsräume, viel Holz. Im Vorderhaus das dazugehörige Callcenter, das die Ausleihe-Telefonate in Empfang nimmt – am Tag können das schon mal über 1000 sein. Nachts übernimmt eine externe Partnerfirma. »An Ostern geht es jedes Jahr so richtig los – da beginnt praktisch überall die Hauptsaison«, sagt die Marketing-Managerin – »Aber zu tun gibt’s übers ganze Jahr«, und der Leihrad-Trend kann schon lange nicht mehr übersehen werden. Insgesamt arbeiten für Nextbike mittlerweile etwa 50 Angestellte in der Produktion und der Zentrale in Leipzig und pro Stadt im Schnitt zwei Servicetechniker.
»Mit unseren mittlerweile 17.000 Rädern in 14 Ländern sind wir weltweit unter den Top Five auf dem Leihrad-Markt.« Der wächst, und der Anteil von Nextbike wächst ständig. »Es geht einfach immer weiter«, freut sich Rauchhaus: »2014 haben wir fünf neue Städte.« Mit dabei: Jersey City - »das ist die Eintrittskarte in die USA«, dazu Milwaukee am Michigansee sowie Glasgow und Bath in Großbritannien.
Auch wenn die Leihe in Deutschland mittlerweile boomt: Im Ausland sind die Menschen oft neugieriger. »In Warschau, das relativ neu hinzugekommen ist, haben wir monatlich 300.000 Ausleihen. Monatlich! Dafür haben wir auch ein ganz eigenes System entwickelt, sodass die Terminals für den Ansturm besser gewappnet sind.« Eigene Fahrräder sind dort eine Mangelware – Traumbedingungen für einen pfiffigen Leihrad-Anbieter.

16. April 2014 von Georg Bleicher
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