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Portrait / Moustache Bikes

Der Bart wächst

Unter französischen Fahrradkäufern zählt Moustache Bikes zu den beliebtesten Marken im E-Bike-Segment. Außerhalb des eigenen Heimatlandes ist der Bike-Hersteller aus den Vogesen hingegen eher nur einigen Insidern bekannt. Das wollen die Franzosen künftig ändern. Abgesehen von den ambitionierten Exportplänen ist bei den Schnurrbart-Machern auch sonst einiges in Bewegung.

Emmanuel Antonot (links) und Greg Sand haben mit Moustache Bikes eine Erfolgsgeschichte geschaffen, die nun vor allem auch außerhalb der französischen Heimat fortgeschrieben werden soll.Moustache fertigt seine Fahrräder unweit der deutsch-französischen Grenze in Einzelplatzmontage.

Irgendwann um das Jahr 2010 herum war Emmanuel »Manu« Antonot wohl frustriert. Der frühere Bikeshop-Besitzer war zu dieser Zeit leitender Produktentwickler bei der französischen Accell-Tochter Lapierre. Aus seiner Feder stammte etwa die erfolgreiche MTB-Linie »Zesty«. Doch seiner Überzeugung, dass die Zukunft des Fahrradmarktes im E-Bike-Segment liege, wollte zumindest damals bei der französischen Traditionsmarke niemand Glauben schenken. Rückblickend, erklärt Antonot, waren die in dieser Hinsicht fruchtlosen Gespräche mit seinen Chefs bei Lapierre ein nicht unwesentlicher Auslöser für die Gründung von Moustache.
Zusammen mit Greg Sand, der bis dahin in der Möbelindustrie tätig war und als Mitgründer und Geschäftsführer die kaufmännische Seite von Moustache verantwortet, wurde das Unternehmen SAS Cycle Me mit der Marke Moustache Bikes im Frühjahr 2011 im Vogesen-Städtchen Épinal aus der Taufe gehoben. Noch im Sommer desselben Jahres konnten die Mous­tache-Gründer den E-Bike-Ausrüster Bosch überzeugen, sie mit den damals noch besonders selektiv vertriebenen Antriebssystemen zu beliefern. Zwar mit dieser Lieferzusage in der Tasche, aber noch ohne Musterantriebe kehrten die Unternehmensgründer von einer Präsentation am Bosch-Sitz in Reutlingen zurück. Da schon wenige Wochen später die ersten Moustache-Modelle auf dem Salon du Cycle in Paris vorgestellt werden sollten, kauften Antonot und Sand kurzerhand einige E-Bikes von Mitbewerbern, beraubten diese ihrer Bosch-Antriebskomponenten und komplettierten damit die ersten Produktmuster.
Im Messegepäck befand sich das ikonisch gestaltete City-Bike »Lundi«, dessen auffallende Lenkerform dem Unternehmen auch als Referenz für seinen Namen Moustache dient. Und damals auch schon am Messestand von Moustache war das E-Mountainbike »Samedi« zu sehen, womit sich die Franzosen neben Flyer und Haibike zu den frühen Pionieren in diesem Segment zählen dürfen. Die Benennung der Modelle nach Wochentagen erfolgt übrigens nicht nur, weil diese so schön klingen: Das Modell »Lundi« (zu Deutsch: Montag) adressiert als gleichermaßen praktisches und schickes City-Bike den Alltag mit dem Fahrrad, während »Samedi« (Samstag) als Modelllinie für den Spaß am Wochenende steht. Als Reminiszenz an den auch in Frankreich so bezeichneten »Casual Friday« schlägt schließlich noch die Linie »Friday« eine Brücke zwischen Alltag und Freizeit. Inzwischen ist noch die E-Rennrad- und -Gravel-Linie für den Sonntag »Dimanche« dazugekommen. Basierend auf dieser Einteilung in vier Kategorien ist seit der Firmengründung ein Programm mit über 60 E-Bike-Modellen entstanden, das kaum noch einen Aspekt des Radfahrens auslässt. Als eine der letzten noch bestehenden Sortimentslücken wurde jüngst ein Speed-Pedelec im Markt eingeführt. Fehlt noch ein Lastenrad – »Kommt« sagen die Macher von Moustache.

Turbo-Modus

2011 war die positive Unternehmensentwicklung zunächst jedoch nicht gleich abzusehen. Beim ersten Messeauftritt auf dem Salon du Cycle ernteten die Moustache-Gründer zwar durchaus das Interesse der Fachbesucher, kehrten aber ohne eine einzige Händlerbestellung aus Paris zurück. Die Banken wiederum reagierten damals auf den Business-Plan des zu gründenden, reinen E-Bike-Anbieters eher amüsiert. Entsprechend vorsichtig formulierten die Gründer Antonot und Sand ihre Ziele für das erste Modelljahr 2012: 600 E-Bikes sollten im ersten vollen Geschäftsjahr nach der Gründung verkauft werden. Tatsächlich wurden es doppelt so viele wie geplant.
Seitdem geht es für Moustache Schlag auf Schlag. Nach einem Umsatz von 2,4 Mio. EUR in 2012 wurden 2013 schon 4,5 Mio. EUR erreicht. Seit 2015 liegt der Jahresumsatz im zweistelligen Millionenbereich. Für das im August endende aktuelle Geschäftsjahr 2019/20, Moustache-intern »Saison 9« genannt, melden die Franzosen einen Absatz von rund 42.000 E-Bikes und einen Umsatz von 62 Mio. EUR. In der »Saison 10« soll nun mit 120 Mitarbeitern der Sprung auf über 60.000 verkaufte E-Bikes gelingen.
Eine nicht unwesentliche Rolle spielen dabei die Exportpläne der Franzosen. Mehr als die Hälfte des Moustache-Absatzes geht bislang im Heimatland Frankreich über die Ladentheke, womit sich das Unternehmen zu Hause zu den Marktführern im gehobenen E-Bike-Segment zählen darf. Außerhalb der eigenen Landesgrenzen sind vor allem Benelux und die von Anfang an belieferte Schweiz die wichtigsten Absatzmärkte, während die Marke in Deutschland mit zuletzt rund 6000 dort verkauften E-Bikes eher nur bei Insidern Bekanntheit genießt.
Dies zu ändern, lautet die Aufgabe von Deutschland-Verkaufsleiter Gerd Gschaider, der den Aufbau der Marke in Deutschland bereits seit mehreren Jahren verantwortet. Der branchenerfahrene Vertriebsspezialist weiß um die Chancen von Moustache in dieser Region, aber auch um die Herausforderung, die es bedeutet, eine Marke in einem bereits prominent besetzten Markt aufzubauen. »Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Fahrradhändler speziell in Deutschland nicht unbedingt auf eine weitere E-Bike-Marke warten. Ich glaube aber, dass wir mit Moustache einige Alleinstellungsmerkmale besitzen, die für den Fachhandel durchaus sehr wertvoll sind«, erklärt der Vertriebsleiter.
Neben der unverwechselbaren Formensprache, der gewitzten Markenpositionierung und vielen eigenständigen technischen Lösungen betont Gschaider dabei vor allem auch die Nähe zum Markt. Zwar arbeitet Moustache eng mit dem Produktionspartner Hodaka in Taiwan zusammen, die Endfertigung aller E-Bikes findet aber ausschließlich am Firmenstandort Thaon-les-Vosges statt – rund 80 Kilometer Luftlinie hinter der deutsch-französischen Grenze.

Thaon 1, 2 und 3

Dorthin ist Moustache vor rund zwei Jahren vom Gründungsort Épinal in das Werk eines ehemaligen Automotive-Zulieferers gezogen. Hinter den Werkstoren lässt sich eine Evolution der Produktionsmethode beobachten: In einem Bereich der Produktion, von den Moustache-Machern »Thaon 1« genannt, werden halb fertig in Taiwan aufgebaute und lackierte E-Bikes an Einzelmontageplätzen mit dem Bosch-Antrieb und sämtlichen aus Europa stammenden Bauteilen verheiratet. Daneben wird seit Kurzem in »Thaon 2« nur noch der Rahmen aus dem Taiwan-Karton geholt und mit den verschiedenen Komponenten aufgebaut.
Im Gespräch verrät Firmenchef Antonot, dass er jedoch auch »Thaon 2« nur als Übergangslösung für »Thaon 3« sieht. Wie dieses in Zukunft erst noch umzusetzende Produktionsprinzip aussehen könnte, lässt er offen. Die logische Konsequenz wäre aber, dass dann alle Räder auftragsbezogen einzeln oder in Kleinserie gefertigt werden, während jetzt noch ganze Modelllinien blockweise auf Vorrat produziert werden. Moustache würde damit seinen Wettbewerbsvorteil der marktnahen Produktion noch stärker ausspielen. Antonot gibt aber auch zu bedenken: »Das jetzige System mag nicht perfekt sein, aber es funktioniert gut für uns. Und mit einem übereilten Umbau der Produktion können wir uns auch viele Probleme einhandeln. Wir wollen das deshalb ohne Eile angehen.« Eine Sichtweise, die Antonot übrigens auch auf die Modellstrategie überträgt: »Die Bike-Industrie bringt sich selbst um, indem sie viel zu schnelle Modellwechsel vollführt.« Ein Spiel, bei dem Moustache Bikes künftig nicht mehr mitspielen und deshalb seine Modelle möglichst mehrjährig laufen lassen will.
»Schritt für Schritt« könnte auch die Beschreibung der Strategie für die Eroberung des deutschen Marktes lauten. Unter der Führung des langjährigen Moustache-Vertriebsleiters in Deutschland, Gerd Gschaider, wurde jüngst mit dem früheren Maxcycles-Frontmann Jürgen Anis eine branchenbekannte Verstärkung für den Außendienst im Norden und Westen Deutschlands ins Team geholt, während die neuen Bundesländer im Außendienst unverändert von Handelsvertreter Marko Schäfer betreut werden. In der Moustache-Zentrale sitzen zudem mit Manon Hinz und Elisabeth Wagner zwei deutsche Muttersprachlerinnen am Innendienst-
Telefon für die Handelspartner.
Ein Türöffner im Fachhandel dürfte auch die letztjährig eingeläutete Zusammenarbeit mit der Bico als Streckenlieferant sein. Auf den demnächst stattfindenden Bico-Ordertagen soll diese Partnerschaft nun noch vertieft werden. Und auch die Eurobike im November haben die Moustache-Macher als wichtige Kontaktbörse zu potenziellen Partnern außerhalb Frankreichs als Aussteller auf der Agenda.
Bereits in diesem Jahr wollte sich Moustache zudem auf zahlreichen Verbraucher-Events in Deutschland zeigen, um Nachfrage bei den Handelspartnern zu erzeugen. Nachdem Corona aber einen Strich durch diese Rechnung machte, fassen Gschaider und sein Vertriebsteam nun 2021 eventmäßig verstärkt ins Auge.
Die Zutaten dafür, dass Moustache im zehnten Jahr nach der Firmengründung auch im deutschen Markt durchstartet, sind sicherlich vorhanden. Ob es dem Bike-Hersteller aus den Vogesen gelingt, daraus ein Gericht zu zaubern, das den hiesigen Fachhändlern das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt, müssen nun die nächsten Jahre zeigen. Aber es heißt ja nicht ohne Grund »Essen wie Gott in Frankreich«.

6. August 2020 von Markus Fritsch

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