6 Minuten Lesedauer
Inhalte statt Werbung
i

Report - Content Marketing

Inhalte statt Werbung

Eine neue Welle schwappt aus den USA über den Teich: Content Marketing. Werber sollen spannende Geschichten erzählen und nicht langweilige Produktfunktionen erläutern. Alter Wein in neuen Schläuchen? Ein bisschen vielleicht, doch die Vorzeichen haben sich signifikant verändert.

Es ist nun etwas mehr als ein Jahr her, als Frank Horn einen großen Schritt gewagt hat. Der Online-Marketer von Shampoo-Fabrikant Schwarzkopf entschied, dass man die eigenen Produkte von der Startseite der eigenen Homepage verbannt. Und auch von der nächst tieferen Seitenschicht. Erst nach dem dritten oder vierten Klick gelangt der geneigte Nutzer zur Produktbeschreibung des Schauma-Shampoos.
Was hat Frank Horn zu diesem radikalen Schritt bewegt? Die Antwort ist denkbar einfach: »Die Nutzer suchen nicht nach Pflegeprodukten, sondern nach Pflegethemen. Zu diesen Themen waren wir bei Google kaum sichtbar«, so Horn. Inzwischen hat sich das geändert. Bei einigen Suchwortkombinationen landet Schwarzkopf inzwischen auf der ersten Trefferseite. Trifft eine Suchphrase exakt einen Artikel-Titel, dann rangiert der Shampoo-Hersteller schon mal auf Rang 1, etwa bei »Schluss mit fettigen Haaren«. Die Tatsache, dass die Seite nach einem Jahr noch Bestand hat, spricht dafür, dass sie zumindest nicht schlechter funktioniert, als vorher. Der Statistikdienst Alexa bescheinigt der Seite allein für die letzten drei Monate ein Traffic-Wachstum von sieben Prozent.

Content und die Customer Journey

Was für Frank Horn nüchternes Kalkül ist, ist Ausdruck eines sich verändernden Marktverhaltens. Marketer beginnen zu verstehen, dass die Nutzer in unterschiedlichen Phasen eines Kaufprozesses verschiedene Medien zur Informationsaufnahme benutzen und je nach Phase auch sehr unterschiedliche Informationen erwarten.
Die Rede ist von der Customer Journey, also der Reise eines Kunden von der ersten Inspiration bis hin zum Kauf und letztlich auch darüber hinaus. Diese Reise umfasst nicht nur klassische Recherche-Medien wie Google, sondern sie geht auch über Zeitschriften, Freunde, Plakate, Fernsehen, Kino und natürlich Kommunikationsplattformen wie Facebook und Co.
Die Ambition von Schwarzkopf ist, bereits frühzeitig als Ansprechpartner zu einem Thema wahrgenommen zu werden. Nämlich genau dann, wenn das Problem oder die Fragestellung beim Nutzer so weit konkretisiert ist, dass er die Frage konkret an Google stellt. Gelingt der Kontakt, profitiert Schwarzkopf vor allem davon, dass die Nutzer nicht mehr oder zumindest weniger nach Konkurrenzprodukten suchen. Man kann sie zu den eigenen Produkten führen. Und natürlich steigt das absolute Besucheraufkommen, wenn das Google-Ranking steigt.
Die Velo-Branche hat hier sogar noch zwei weitere Vorteils-Potenziale. Zum einen kann sich ein Anbieter durch Content Marketing etwas aus dem ganz harten Preiswettbewerb befreien. Der setzt nämlich vor allem dort an, wo sich die Kunden bereits für ein bestimmtes Produkt entschieden haben und den günstigsten Lieferanten suchen.
Zweitens können der Fahrradhändler und natürlich vor allem auch die Marke die Richtung der weiteren Customer Journey mit beeinflussen. Entweder ganz grundsätzlich, wenn ein Nutzer sich noch nicht sicher ist, welchen Typ Fahrrad oder Zubehör er erwerben möchte, aber auch sehr viel subtiler, in dem zum Beispiel Auswahlkriterien für eine Produktsuche definiert werden, die nicht nur auf Preis und schnelle Lieferung sondern vielleicht auch auf Qualität und Service abzielen.
Ein Blick zu Google genügt, um zu sehen, dass dieser Bereich in der Fahrradbranche noch ziemlich brach liegt. Das hat natürlich damit zu tun, dass viele Hersteller nur mit kleinen Teams agieren und wenige Ressourcen zur Verfügung haben. Hier ist der Schulterschluss mit professionellen Textern und Grafikern gefordert. Die Inhalte auf Schwarzkopf.de stammen etwa vom Verlagshaus Condé Nast, das auch die Modezeitschrift Vogue produziert.
Wenn Sie heute eine Suche nach »Probleme mit dem Nabendynamo« starten, finden Sie vor allem Foren, in denen das Thema diskutiert wird. In der Regel lösen solche Themen lange Verweildauern bei den Nutzern aus und sind damit ein wertvolles Gut für jede Website. Bei einer Suche nach »Welches E-Bike soll ich kaufen« haben sich zumindest ein paar Onlinehändler mit Werbeanzeigen eingekauft.
Tatsächlich war das zweite große Ziel für Schwarzkopf, die Ausgaben für eben diese AdWord-Anzeigen zu senken und im normalen Suchindex präsenter zu werden.

Was soll ich schreiben?

Antworten auf Probleme, die Kunden häufig haben, sind eine perfekte Ausgangslage für Content Marketing. Das folgende Beispiel kann das sehr plastisch illustrieren: Die Schwenninger Krankenkasse stand vor dem Problem, dass sie zu spät von Schwangerschaften bei ihren Kundinnen erfuhr. Ein signifikanter Kostenfaktor für Krankenversicherungen sind Frühgeburten, weil die Pflegekosten ungleich höher sind. Gleichzeitig weiß man, dass durch Präventionsmaßnahmen ein signifikanter Anteil an Frühgeburten verhindert werden kann.
Marketingleiter Daniel Repp hatte also das gleiche Ziel wie Schwarzkopf, nämlich früher mit den Kundinnen in Kontakt zu treten. Also entwarf man die Microsite Babyharmonie.de. Hier werden die Themen Kinderwunsch, Schwangerschaft und Babyphase thematisiert. Schon nach wenigen Monaten zeigte sich, dass die Site nicht nur Bestandskundinnen ansprach, sondern auch Neukunden generierte. Und zwar mit solcher Anziehungskraft, dass die Nutzerinnen in der Mehrzahl bereit waren, auch gleich ihre Telefonnummer im Lead-Formular einzutragen. Repp plant bereits eine neue Microsite, diesmal für Männer.
Auch Repp kauft seine Texte bei einem Dienstleister ein. Im Gegensatz zu Horn verknüpft er sie aber offensiver mit seinen Produkten. Das scheint die Nutzerinnen an dieser Stelle aber nicht zu stören.

Hilfe zur Selbsthilfe

Aus Sicht der Radbranche sind natürlich Help-yourself-Themen naheliegend und spannend. Das Know-How dafür existiert im Unternehmen. Ebenso könnte man in Lifestyle-Kategorien denken. Gutes Content Marketing macht sich zunächst die Ressourcen zunutze, die bereits im Unternehmen vorhanden sind. Die Amerikaner schrecken auch nicht davor zurück, hier Betriebsgeheimnisse zu veröffentlichen. So war Eisverkäuferin Jeni Bauer überaus erfolgreich mit einem Buch, in dem sie Ihre eigenen Rezepte zum Nachmachen veröffentlichte. Das Buch brachte ihrem Onlineshop spürbar Traffic und Umsatz und lieferte natürlich perfekte Einzelelemente für die weitere Verteilung des Contents, zum Beispiel via Social Media.
Und das sind eben die veränderten Grundbedingungen für Content Marketing. Nicht nur die Kanalisierung auf Google, aber auch die rasante Beschleunigung der digitalen Mundpropaganda durch Facebook und Twitter tragen dazu bei, dass Kommunikation über Themen immer wichtiger wird im Vergleich zur Kommunikation über Produkte.
Und denken Sie nicht nur in Texten. Content-Marketing sind auch und vor allem Bilder, Infografiken, Präsentationen, Handbücher, Videos und auch die Werbemittel, die Sie von der letzten Messe übrig haben.

14. Dezember 2012 von Markus Fritsch
Velobiz Plus
Die Kommentare sind nur
für unsere Abonnenten sichtbar.
Jahres-Abo
115 € pro Jahr
  • 12 Monate Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
  • 10 Ausgaben des exklusiven velobiz.de Magazins
Jetzt freischalten
30-Tage-Zugang
Einmalig 19 €
  • 30 Tage Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
Jetzt freischalten
Sie sind bereits Abonnent?
Zum Login