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Konkurrenz  aus Fernost: Boom oder Blase?
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Report - Bikesharing

Konkurrenz aus Fernost: Boom oder Blase?

Neue Bike-Sharing Anbieter aus Asien wandeln zurzeit den Weltmarkt. Dabei müssen sich die Anbieter mit den Marktstrukturen in Europa vertraut machen und einige Anpassungen an ihren Konzepten vornehmen.

Bike-Sharing Anbieter wie Mobike, oBike und Ofo aus China haben im vergangenem Jahr mit hunderttausenden von einfachen Leihrädern asiatische Städte geflutet. Nun kommen sie mit ihrem Konzept nach Deutschland und machen den bereits etablierten Bike-Sharing Anbietern Nextbike und Call a bike ernste Konkurrenz.
Bike-Sharing war lange Zeit in Deutschland eine überschaubare Angelegenheit. Die Anbieter Nextbike und Call a bike von der Deutschen Bahn haben den Markt in den Großstädten bislang unter sich aufgeteilt. Doch nun kommen asiatische Startups wie Mobike, oBike, Ofo und Co.
Die chinesischen Unternehmen gehen nach typischer Startup-Manier vor. Sie sind flink beim Ausprobieren neuer Methoden. Statt wie deutsche Ingenieure jeden Bedarf genau zu berechnen, haben die Startups die Straßen asiatischer Städte mit ihren Rädern überschwemmt. Die Menschen vor Ort und die Zeitungsleser in Europa haben ihre Anfängerfehler hautnah miterlebt. So wurde ein Teil der Räder gestohlen, weggeworfen oder kaputt gemacht. Aber Millionen Menschen ersetzen mit ihnen auch ihre Autofahrten.
In München ging das Unternehmen oBike aus Singapur ähnlich vor. Innerhalb von sechs Wochen stellten die Mitarbeiter 7000 Leihräder auf. Zuvor gab es von drei Anbietern zusammen gerade mal 3000 Leihräder. Plötzlich ballten sich Hunderte Räder scheinbar willkürlich am Straßenrand auf. Auch hier landeten Räder im Graben, hingen in Bäumen oder versperrten den Weg. Die Münchner beschwerten sich.

Rollout schlecht vorbereitet

Dabei hätte es nicht so laufen müssen. Denn laut Raffl Lukas von der Stabsstelle Radverkehr in München gab es durchaus Bedarf für die Ausweitung von Bike-Sharing vor Ort.
Die Verwaltung hatte bereits vor dem Start von oBike diskutiert, ob über 2000 weitere Leihräder fürs Stadtgebiet zugelassen werden, berichtet Lukas. Hier hätte der Newcomer oBike mit seinem Angebot elegant einhaken können. Stattdessen habe das Unternehmen seinen Markteintritt extrem schlecht vorbereitet, so die Meinung von Experten - und es versäumt, mit den Verantwortlichen bei der Stadtverwaltung zu sprechen.
Die asiatischen Mitbewerber von oBike, Mobike und Ofo, gehen deutlich cleverer vor. Sie haben ihre Lektion in Asien gelernt und starten den Rollout ihrer Flotten in Deutschland überlegt, schrittweise und mit deutlich weniger Rädern.
Ihre Bikes dürfen die Bike-Sharing Anbieter theoretisch an jeder Straßenecke abstellen. Nur die Betreiber fester Bike-Sharing-Stationen benötigen hierzulande eine Sondergenehmigung der Stadt. Für die sogenannten Freefloating-Räder, also jene ohne feste Station, brauchen sie keine.
Das heißt: Selbst wenn Beschwerden über kaputte oder zu viele oBikes auf den Gehwegen eintrudeln, kann Münchens Stadtverwaltung den Anbieter nur auffordern, nachzubessern. Eine gesetzliche Handhabe, die oBike dazu zwingt, kaputte Räder einzusammeln, existiert nicht. Nach Rücksprache mit der Stadt hat sich das Unternehmen jedoch bereit erklärt, eine Service- und Beschwerde-Hotline einrichten. Außerdem wollen sie nur noch zehn Bikes pro Standort aufstellen.
Ob diese Begrenzung langfristig ausreicht, ist fraglich. Neben den beiden deutschen und aktuell vier asiatischen Bike-Sharing-Anbietern stehen weitere Startups in den Startlöchern. Mit E-Scootern zum Teilen sind Emmy oder Stella bereits am Markt und sie sind nicht die einzigen. Das Start-Up Emmy hat seinen Rollerservice seit seiner Premiere in Berlin 2014 mittlerweile auf sechs deutsche Städte ausgedehnt, darunter etwa München und Mannheim. In Stuttgart kooperiert der Roller-Anbieter mit den Stadtwerken Stuttgart unter dem Namen Stella-Sharing. Bike- und Scooter-Sharing sind Teil der Mobilität von morgen. Alle brauchen Platz im öffentlichen Raum. Die Pressesprecherin Mareike Rauchhaus von Nextbike fürchtet, dass die pro-Leihrad-Stimmung in der Gesellschaft kippen könne, wenn der Wildwuchs durch Leihräder auf dem Gehweg zu groß werde.

Aktiv auf die Anbieter ­zugehen

doch nicht im Alleingang lösen. Die rasante Digitalisierung und ihre neuen Möglichkeiten im Stadtverkehr schaffen aktuell neue Verhältnisse auf den Straßen. »Der Sharing-Markt ist sehr dynamisch, die Entwicklung überholt gerade die Politik und die Kommunen«, stellt auch Wasilis von Rauch fest, Bundesvorsitzender des ökologischen Verkehrsclubs VCD. »Der regulatorische Rahmen, der bestimmt, was der so genannte Gemeingebrauch ist, muss auf jeden Fall überarbeitet werden.« Bis das geschehen ist, rät er den Kommunen, aktiv auf die Anbieter zuzugehen und gemeinsam Standards und Verhaltensregeln festzulegen. Etwa um zu bestimmen, wo die Räder stehen dürfen und was passiert, wenn sie im Weg sind.
Derlei Absprachen sind Teil des Geschäftsmodells zwischen Bike-Sharing-Anbietern und Stadtverwaltung. In der Regel zahlt die Verwaltung den Fahrradverleihern einen Zuschuss. Das galt zu Beginn als notwendig, schließlich war Bikesharing in Deutschland bislang ein Zuschussgeschäft. Im Gegenzug erhielten die Städte ein passgenaues Leihradkonzept, mit einer festgelegten Anzahl an Rädern an festen Stellplätzen, um den ÖPNV zu ergänzen und Autoverkehr zu ersetzen.
Jetzt rätseln Mitanbieter, Verkehrsplaner und die Entscheider in den Städten, wie sich oBike, Mobike, Ofo und Co finanzieren. Die Frage ist berechtigt. Schließlich konkurrieren die BikeSharing Startups um einen Service, den sie in Asien für ein paar Cent pro Stunde anbieten.
In Deutschland ist der Preis mit 50 Cent pro Stunde Fahrzeit zwar etwas höher, erscheint aber immer noch zu niedrig, um tatsächlich lukrativ zu sein. Wie viel ein Mobike ohne Gangschaltung und mit Vollgummireifen tatsächlich kostet, will Jimmy Cliff, General Manager Germany von Mobike, nicht preisgeben. Er sagt: »Wir produzieren unsere acht Millionen Räder sehr günstig.« Weshalb Mobike ohne Unterstützung der Städte und Kommunen auskomme.

Daten von 30 Millionen ­Fahrten täglich

Mit ihren Rädern wollten sie laut Cliff die Städte sauberer machen und einen Beitrag zur Smart City liefern. Das klingt naheliegend. Allerdings ist das Nebenprodukt an Daten, dass sie produzieren ebenfalls eine interessante Währung. Laut dem Economist vom Mai 2017 sind sie eine wertvollere Währung als Rohöl. Ihre Auswertung und Analyse verspricht ein besseres Verständnis der Nutzer und stärkt somit das Potential, Innovationen abzuleiten und sich Vorsprünge zu sichern.
Cliff stellt fest: Daten verkaufe sein Unternehmen nicht. »Wir arbeiten nach deutschem Recht und machen die Daten sicher.« Mobike interessiere sich nur für die Daten, die die Fahrräder liefern, nicht für die der Kunden.
Eine Auswahl dieser Daten wurde im Mai im ersten Mobike-Weißbuch veröffentlicht. Über ein Jahr haben die Räder die Daten gesendet. Im Schnitt waren das 30 Millionen Fahrten täglich. Sie erzeugen riesige Mengen an GPS-Informationen, die Länge, Zeit und Ziel der Tour anzeigen.
Wissenschaftler des China New Urbanization Research Institute an der Tsinghua University haben laut Cliff die Daten ausgewertet. Die ­Wissenschaftler beschäftigen sich unter anderem mit dem Einsatz von Schlüsseltechnologien bei der Urbanisierung und wie Big Data Innovation zur Modernisierung der Stadtentwicklung beitragen kann. Das staatliche Beijing Tsinghua Tong Heng Planning and Design Institute, das zur Universität gehört, hat bei der Auswertung der Daten geholfen. Zusätzlich wurden laut Mobike in einer Umfrage 100.000 Menschen in 36 chinesischen Städten zu ihrem Mobilitätsverhalten befragt.
Aus diesem Material haben die Wissenschaftler ermittelt, dass sich die Zahl der Radfahrer unter den Mobike-Nutzern von 5,5 Prozent auf 11,5 Prozent gesteigert habe. Außerdem sollen ihre Kunden ihre Autonutzung um 55 Prozent verringert haben. In der Praxis bedeutet das, statt Taxis, Privatwagen und Ruf-Fahrzeug-Apps zu nutzen sind sie Mobike gefahren.
Mobike erklärt weiterhin, dass ihre Nutzer von ihrem Rollout 2015 bis Dezember 2017 über 18,2 Billionen Kilometer mit dem Rad zurückgelegt hätten. Das entspräche umgerechnet einer weltweiten CO2-Emmisions-Reduzierung von 4,4 Millionen Tonnen.

Kooperationen und Fremdnutzung der Kundendaten

Die Marktführer Mobike und Ofo sind extrem beliebt bei Investoren aus der IT-Branche. Der Elektronik-Konzernriese und iPhone-Zulieferer Foxconn und die Tencent-Gruppe, der WeChat gehört, haben erst im vergangenem Jahr in Mobike hunderte Millionen US Dollar in die Startups investiert. WeChat ist das chinesische Pendant zu WhatsApp und hat etwa 900 Millionen aktive Nutzer. Über WeChat können die Nutzer per Button eine Reihe von Dienstleistungen wie Bringdienste für Essen, Kinokarten oder seit Frühling 2017 auch die Mobike-Ausleihe bargeldlos bezahlen.
Im Gegenzug hat sich der chinesische E-Commerce-Riese Alibaba mit seinem Bezahldienst Alipay mit Ofo und weiteren Leihrad-Startups zusammengetan. Die 450 Millionen Nutzer von Alipay können nun rund sechs verschiedene Bike-Sharing-Anbieter über die Alipay-App nutzen und bezahlen. Im Rahmen der Partnerschaft bietet Alipay jedem Fahrer auch eine Versicherung per Button an, der über seine App den Fahrradverleih nutzt.
Ofo sammelt inzwischen nicht nur Geld ein, sondern investiert auch. In Dortmund sponsort der Leihradan­bieter den lokalen Fußballverein Borussia. Momentan ist Ofo mit ­Bannerwerbung im Stadion sichtbar. Dabei sind Ofo-Räder sind noch gar nicht in Dortmund unterwegs. »Wir befinden uns momentan in Gesprächen mit den Verantwortlichen der Stadt«, erklärt der Sprecher. Ihr Betriebskonzept für Dortmund sollen sie bereits präsentiert haben. Ob und wann Ofo in Dortmund an den Start gehe, sei noch nicht entschieden.
Auch Mobike ist in Deutschland auf der Suche nach potenziellen Partnern. Im Ausland kooperiert der BikeSharing-Anbieter unter anderem mit Disney, AirBnb, Nike, McDonalds, KFC, Coca-Cola, Uniqlo und Samsung. Partnerschaften, von denen Nextbike oder Call a bike nur träumen können.

Anpassungen für den euro­päischen Markt notwendig

Aber taugen die Räder aus Asien überhaupt für den deutschen Markt? Die Modelle sind robust und einfach. Die fehlende Gangschaltung ist ebenso gewöhnungsbedürftig wie die Vollgummibereifung. Aber die Modelle sind bequemer als erwartet, wie verschiedene Tests von Journalisten und Privatpersonen zeigten. Problematisch sind die relativ kleinen Rahmen. Menschen mit einer Körpergröße über 1,75 m stoßen schnell mit den Knien an den Lenker. Damit bleibt die Zielgruppe zurzeit noch überschaubar. Aber die Startups bessern nach. Mobike hat laut Cliff größere Modelle für Europa bereits in Arbeit.
Bei dem eher zaghaften Markteintritt mit einigen hundert Rädern in Berlin wird es nicht bleiben. »Wir analysieren, wie viele Räder die einzelnen Städte brauchen, und bringen sie dann auf den Markt«, sagt Jimmy Cliff. Das Mobike-Konzept folgt einer einfachen Logik: Damit die Menschen umsteigen, muss immer und überall ein Leihrad vor Ort und nutzbar sein. Nur dann bewege man die Menschen zum Umsteigen, so Cliff weiter.
In Deutschland hat Mobike mit etwa 20 Gemeinden geredet, vorrangig mit großen Städten. Aber Cliff kann sich vorstellen, die Flotte auch in mittel­großen oder in Kleinstädten mit 80.000 bis 200.000 Einwohnern zu platzieren. »Für uns sind alle Städte mögliche Partner, wir würden auch in die Alpen gehen«, sagt er.

19. Februar 2018 von Andrea Reidl
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