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Report - Schrauberkurse für Kinder

Kundenbindung, kinderleicht

Wer in seinem Laden Kinderbikes und eine Werkstatt hat, dem eröffnet sich eine nischige, aber effektive und einfach umsetzbare Möglichkeit, sich von der Konkurrenz abzuheben: mit Schrauberkursen für Kinder und Jugendliche.

Kinder fahren gern und oft Rad. Das lässt sich zumindest aus dem Fahrrad-Monitor des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr 2023 schlussfolgern. Demzufolge fahren gut 47 Prozent, also fast die Hälfte der Kinder zwischen 0 und 15 Jahren, nach Angabe der befragten Eltern mehrmals in der Woche mit dem Rad. Dass das Bike da mal mit einer Panne liegen bleibt, ist nicht unwahrscheinlich. Allein die ADAC-Pannenhilfe wurde 2023 rund 17.000-mal gerufen, wobei ein platter Reifen der häufigste Defekt war. Es schadet also sicher nicht, ein paar Basisreparaturen selbst erledigen zu können. Auch als Kind oder Teenager.
Die sind nämlich, je älter sie werden, umso häufiger allein unterwegs: Bei den 6- bis 10-Jährigen sind es 48 Prozent, bei den 11- bis 15-Jährigen sogar 94 Prozent, verkündet der Fahrrad-Monitor. Die Eltern fallen als Lehrende in Sachen Fahrradschrauben oft aus, nur 29 Prozent reparieren ihr Fahrrad selbst, weiß eine Wertgarantie-Studie aus 2023. Daraus entsteht eine tolle Möglichkeit für den Fachhandel, sich einen USP zu schaffen: mit Kinder-Werkstattkursen.


Wenn Kinder sicher im Umgang mit ihrem Fahrrad sind, steigen auch ihr Selbstvertrauen, die Lust am Radfahren und ihre Selbständigkeit.

Einer Dekra-Umfrage zufolge geben 42 Prozent der Befragten ihren bevorzugten Händler beziehungsweise ihre bevorzugte Werkstatt an, wenn sie Unterstützung bei Wartung und Reparaturen brauchen. Wer den Nachwuchs schult, hat also eine zusätzliche Chance auf langfristige Kundenbindung.

Von den Schulen abgucken

Während der Fachhandel aber noch sehr zögerlich in Sachen Nachwuchswerkstatt zu sein scheint und bis auf ein paar Ausnahmen wie Bergetappe im nordrhein-westfälischen Essen keine speziellen Schrauberkurse angeboten werden, haben Bikeschulen diese Nische bereits für sich entdeckt. »Wir merken, dass solche Skills wie das Flicken eines Mantels nicht mehr in den Familien beigebracht werden«, bestätigt Christine Sommer von der Bike-School im bayerischen Neusäß. Sie wurde immer wieder von Eltern darauf angesprochen, ob es möglich wäre, solche Kurse anzubieten. Auch das Interesse seitens der Kinder war vorhanden und so entstand der jährliche Schrauber-Workshop für Sieben- bis Zwölfjährige.

29 Prozent reparieren ihr Fahrrad selbst, weiß eine Wertgarantie-Studie aus dem Jahr 2023.

Auch Thomas Baldermann von »Gemma Aussi – Bikeschule & Erlebnisreisen« im österreichischen Innsbruck bietet seit Sommer 2023 Schrauberkurse für Kinder zwischen 6 und 14 Jahren an. Seiner Erfahrung nach möchte der Radnachwuchs von sich aus gern selbst Hand ans eigene Bike legen. »Unsere Kurse sind meist schnell ausgebucht, dieses Jahr planen wir deshalb, sie häufiger anzubieten«, sagt Baldermann. Er richtet die Inhalte der Kinder-Kurse am Interesse der Teilnehmenden aus sowie daran, was am Rad oft kaputt geht, also platte Reifen, gerissene Kette oder Schaltzug. Vor allem aber war »uns wichtig, dass die Kinder Spaß am Schrauben haben«, erklärt der Gemma-Aussi-Chef.

Motivieren und kontrollieren

Meist haben die Kinder und Jugendlichen wenig Vorkenntnisse, wenn sie in den Kurs kommen, sie können nur »vereinzelt einen Schlauch flicken«, weiß Christine Sommer. Doch, so bestätigen beide Fahrradschulen, sie probieren gern und meist ohne Scheu aus. Am beliebtesten ist bei Thomas Baldermann das eigenständige Zerlegen von Bauteilen mit Werkzeug, während Christine Sommer kein konkretes Thema als Favorit ausmachen kann, solange der Nachwuchs nur »selbst Hand anlegen kann«. Natürlich unter dem prüfenden Blick der Ausbildenden, da manchmal der Übermut zu groß wird und das Erlernte nicht immer korrekt umgesetzt wird. »Natürlich kontrollieren wir ihre Arbeit, um sicherzustellen, dass alles richtig ausgeführt wurde. Schließlich ist zum Beispiel das Festziehen einer Schraube oft eine Frage des richtigen Gefühls oder passenden Werkzeugs«, erzählt Thomas Baldermann.

Betreutes Schrauben

Selbst, (fast) ohne Hilfe von Erwachsenen, einen Defekt behoben oder das Fahrrad gereinigt zu haben, ist ein positives Erlebnis für die Kinder, das motiviert und nachhaltig das Bewusstsein fürs eigene Fahrrad stärkt, hat Christine Sommer festgestellt: »Die Kinder melden sich dann eher beim Bike-Check vor dem Training, da sie merken, wenn etwas nicht stimmt und die Bremse zum Beispiel keinen Druckpunkt mehr hat.«
Mittels Nachwuchs-Schrauberkursen lässt sich aber nicht nur früh und gesamtfamiliär eine Bindung zum eigenen Radgeschäft schaffen. Die Umsetzung ist darüber hinaus recht unkompliziert, der Aufwand überschaubar. Bei Gemma Aussi wird für gewöhnlich lediglich ein Fahrradständer an einem fürs Schrauben geeigneten, ruhigen Platz aufgestellt.

»Natürlich kontrollieren wir ihre Arbeit, um sicherzustellen, dass alles richtig ausgeführt wurde.«

Thomas Baldermann, Gemma Aussi

Dazu das erforderliche Werkzeug und Geduld, wie Thomas Baldermann betont, schließlich sollen die Kinder »den Kurs motiviert verlassen und ihr Fahrrad danach wieder einwandfrei funktionieren«. Da Kinder der Aufsichtspflicht unterliegen, muss die Arbeit kontrolliert und die Eltern müssen darauf hingewiesen werden, dass die Kinder zu Hause beim Schrauben ebenfalls beaufsichtigt werden müssen. Das ist eine Chance und ein Argument, um unwissende Erwachsene ebenfalls für einen Werkstattkurs zu interessieren.

Interagieren statt dozieren

Christie Sommer ergänzt, dass es wichtig sei, das nötige Know-how kindgerecht zu vermitteln. Dazu müsse man kein ausgebildeter Fahrradmechaniker sein. Wer fachkundig schrauben und dies interaktiv und freudvoll vermitteln kann (Späßchen sind erlaubt), hat schon viel gewonnen. Denn, so weiß Sommer, »bei Frontalunterricht steigen die Kinder eher aus«. Kleine Gruppen von vier bis sechs Personen lassen sich auch von einem Einzelnen meist gut koordinieren und die Arbeit überprüfen. Denn eine »Herausforderung besteht darin, den unterschiedlichen Fähigkeiten gerecht zu werden, sodass jedes Kind Freude am Kurs hat«, gibt Thomas Baldermann zu bedenken. Das bedeutet: auf die Kinder und Jugendlichen bei Bedarf individuell eingehen und wenn nötig bestimmte Schritte oder Techniken einzeln nochmals zeigen oder erklären.
Beide, Gemma Aussi und die Bike-School haben jedenfalls positive Effekte im Nachhall ihrer Kinder-Werkstattkurse festgestellt: Die Nachwuchsschrauber wollen weiter eigenständig reparieren, sie lernen schnell dazu und entwickeln bei kleinen Werkstattarbeiten eine gewisse Selbstständigkeit.

So füllen sich die Kurse schnell

Christine Sommer und Thomas Baldermann waren und sind in der komfortablen Situation, von den Eltern auf Schrauberkurse für Kinder angesprochen worden zu sein. Ist dies (noch) nicht der Fall, erregen Flyer oder Aushänge im Shop, Posts auf Social Media und Werbung für das Nachwuchsangebot beim Verkaufsgespräch von Kinder-Bikes oder -Ausrüstung oft um-gehendes und großes Interesse.
Die Kurse sind meist schnell aus-gebucht, so schnell, dass beide Bike-Schulen über ein erweitertes Angebot nachdenken. Während Gemma Aussi die Anzahl an Kursen erhöhen will, wird an der Bike-School überlegt, die Eltern mit in den Kurs zu holen und das Themenspektrum um Federgabel einstellen oder Bremsbeläge tauschen zu erweitern. Natürlich geht es darum, das Bewusstsein für das eigene Fahrrad zu steigern und die Scheu vor kleinen Reparaturen zu nehmen. Vor allem aber geht es darum, Spaß und ein schönes Grup-pen­erlebnis zu haben, bei dem man sich, so formuliert es Christine Sommer, gegenseitig »unterstützen und über die Schulter schauen kann«. Und wenn dabei der eine oder andere Folgeauftrag rumkommt, umso besser.

31. März 2025 von Carola Felchner
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