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Arbeit - Fehler vermeiden

Lösungen finden dank positiver Fehlerkultur

Fehler sind menschlich. Werden Fehler im Arbeitsalltag wie selbstverständlich angesprochen, ist der erste Schritt in Richtung positiver Fehlerkultur getan. Das Ziel dabei ist: Eine für die Zukunft tragfähige Lösung zu finden und innerbetriebliche Abläufe zu verbessern.

Ulf-Christian Blume, Unternehmensberater und Geschäftsführer von 53-elf.de

Ohne positive Fehlerkultur werden Fehler aus Angst vor Schuldzuweisungen, Ermahnungen, Vorwürfen oder gar Sanktionen meist vertuscht, verschleiert oder verschwiegen. Der Schaden, der in Form von Mehrkosten und Mehrarbeit entstanden ist, bleibt trotzdem. Selbst die Gefahr, dass sich der Fehler auch in Zukunft wiederholt, ist nicht gebannt.
Die Etablierung einer konstruktiven Fehlerkultur im Betrieb ist ein Weg, der dem entgegenwirkt. Händlerinnen und Händler wie auch Mitarbeitende sollten dabei aber bedenken, dass eine konstruktive Fehlerkultur ein Prozess ist, der nie abgeschlossen ist. Er muss von allen gewollt werden, nur dann gelingt er. Während des Prozesses muss oft auch nachgebessert und die Absprachen zum Umgang mit Fehlern müssen lückenlos an neue Mitarbeitende weitergereicht werden.
Bevor man in den Prozess einsteigt, sollte allen im Betrieb klar sein, was unter einem Fehler zu verstehen ist. Schon der griechische Philosoph Aristoteles unterschied zwischen »Unglück«, »Fehler« und »böse Tat«. Ein Unglück ist demnach ein unvorhersehbares Ereignis ohne böse Absicht. Ein Fehler dagegen ist – zumindest im Nachhinein betrachtet – oft vorhersehbar, jedoch fehlt auch ihm die böse Absicht. Die böse Tat hingegen geschieht berechnend und gründet sich auf schlechte Absichten.

Gute Strukturen im Vorfeld schaffen

Wo Menschen arbeiten, werden immer Fehler passieren, aber nicht jeder Fehler ist nötig. »Gerade für größere Fahrradfachhandelsbetriebe, ich denke dabei an Betriebe mit 15 Angestellten und mehr, gibt es innerbetriebliche ›Leitplanken‹, also Strukturen, die Fehlern vorbeugen können. Diese zeigen die individuellen Verantwortlichkeiten und deren Grenzen auf. Eine schriftlich abgefasste Arbeitsplatzbeschreibung ist eine Möglichkeit: Sie gibt Auskunft über die Aufgaben und Anforderungen, die mit dem spezifischen Arbeitsplatz verbunden sind, und verdeutlicht, wo dieser in der Betriebsorganisation genau verortet ist«, erklärt Ulf-Christian Blume, Unternehmensberater und Geschäftsführer von 53-elf.de, die Maßnahme. »Unterstützend wirkt hier auch ein Organigramm, das die interne Struktur, die Hierarchien und die Anordnung der Abteilungen im Betrieb grafisch klarmacht. Zu guter Letzt wäre dann noch die Beschreibung der einzelnen Arbeitsprozesse zu nennen. Hier kann zum Beispiel ein Fahrradmechatroniker anhand der Prozessbeschreibung vorher erlernen, welche Schritte er beispielsweise bei einer Fahrradannahme in der Werkstatt nacheinander abarbeiten sollte, um Fehler zu vermeiden.« Tauchen dabei Fragen und Probleme auf, wendet er sich an seine Vorgesetzten, die er wiederum am Organigramm ablesen kann. »Diese Rückkoppelung ist wichtig, denn Fehler entstehen häufig dort, wo ›einfach drauflos‹ gearbeitet wird, aber ohne Plan«, resümiert Blume. Natürlich gelten alle diese Grundsätze auch für kleinere Betriebe, doch je mehr der Betrieb wächst, desto wichtiger sind die internen Strukturen.

Fehler werden immer geschehen. Die Frage lautet, wie man mit ihnen umgeht und den gleichen Fehler in Zukunft vermeidet.

Neben diesen betriebsorganisatorischen Präventionsmaßnahmen zählt auch das Vier-Augen-Prinzip zur kon­struktiven Fehlerkultur. »Dort, wo bei einem Fehler die Fallhöhe besonders hoch ist, also beispielsweise bei Haftungsfragen, würde ich diese ›Leitplanke‹ immer einziehen«, empfiehlt Blume Händlerinnen und Händlern. »Auch bei wichtigen Schriftstücken und Angeboten, denken Sie nur an ein Angebot über 10 Pedelecs in einem Gesamtwert von circa 50.000 Euro für eine große Firma, hat sich dieses Prinzip der Fehlerprävention bewährt.«
Blume argumentiert insbesondere für den Werkstattbereich für diese und die oben genannten normativen Maßnahmen, »weil hier manche Fehler sehr weitreichende Folgen haben können. Gleichwohl sollten die Individualität und die Kreativität der Mitarbeitenden nicht allzu sehr beschnitten werden. Über einen neuen Trick, der aus der Praxis heraus entstanden ist und ebenso zukünftige Fehler vermeidet, freut sich sicher auch der Werkstattleiter. Doch bei einer E-Bike-Inspektion nach einem Unfall empfehle ich ein vorher festgelegtes Vorgehen und gegebenenfalls das Vier-Augen-Prinzip.«
Eine positive Fehlerkultur setzt darüber hinaus auf einen offenen und ehrlichen Austausch untereinander.
In regelmäßigen Gesprächen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lassen sich Lösungen für aktuelle, insbesondere auch technische Probleme finden, die eventuell auch auf Unkenntnis beruhen. Bei kniffligen Fragen schützen Recherchen auf Herstellerseiten und manchmal vielleicht auch das Ansehen kurzer Youtube-Filme vor negativen Überraschungen. »Doch am Ende sind es die Schulungen im Winterhalbjahr, die die präventive Fehlervermeidung abrunden«, gibt Blume den Händlerinnen und Händlern mit auf den Weg.

Mit Fehlern professionell umgehen

Um selbst erst einmal einen Überblick darüber zu gewinnen, wie oft Fehler den Ablauf im Betrieb stören, ist ein zeitweises Fehlerprotokoll hilfreich. Händlerinnen und Händler, die ihre Mitarbeitenden dazu ermuntern möchten, (potenzielle) Fehler frühzeitig und offen anzusprechen, sollten immer damit rechnen, dass manche diesem eingeschlagenen Kurs skeptisch bis misstrauisch gegenüberstehen und erst überzeugt werden müssen. Für die Verhaltensänderung hin zu einem offenen Umgang sollte deshalb eine realistische Zeitspanne eingeplant werden. Vorgesetzte könnten diese innerbetriebliche Veränderung auch dahingehend unterstützen, dass sie selbst gemachte Fehler im Team diskutieren lassen. Dies motiviert vielleicht auch die Angestellten, die »dem Frieden noch nicht trauen«.

Gibt jemand einen Fehler zu, sollte umgehend darauf regiert und der offene Umgang damit positiv hervorgehoben werden. Damit signalisiert die Geschäftsführung auch allen anderen gegenüber, dass der Prozess der Fehlerkultur ernst genommen wird. Ob die Fehlermeldung horizontal im Team oder vertikal von unten nach oben zur nächsten oder höchsten Hie­rarchiestufe bearbeitet wird, sollte schon beim Einstieg in den Prozess festgelegt werden. Kriterien für die Entscheidung könnten die Betriebsgröße und/oder die Art des Fehlers sein.
Unabhängig davon sollte bei der Bearbeitung des Fehlers dieser zuallererst von der Person, der er unterlaufen ist, getrennt werden. Dieser Aspekt ist überaus wichtig, denn die Ursachenforschung gelingt nur, wenn die Kritik an der Sache und nicht an der Person andockt. Nur der Kontext, in dem der Fehler geschehen ist, ist wichtig und deshalb sollten die Fragen nun lauten: Stimmen eventuell die Arbeitsabläufe bei der Fahrradmontage nicht? Wurde die Arbeitsanweisung nur unzureichend kommuniziert? Ist neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht klar, wer bei Unsicherheiten um Hilfe gefragt werden kann? Muss für die Nachbereitung einer Reparatur mehr Zeit eingeplant werden? Wurden bestimmte Arbeitsschritte nicht vollständig kommuniziert?

»Fehler entstehen häufig dort, wo ›einfach drauflos‹ gearbeitet wird, aber ohne Plan.«

Ulf-Christian Blume, Unternehmensberater und Geschäftsführer von 53-elf.de

Zugleich sollte rückblickend abgewogen werden, wie hoch das Fehlerrisiko vor Eintreten des Missgeschicks war: War der Fehler absehbar? Wie klar war schon im Vorfeld, dass die getroffene Entscheidung riskant sein könnte? Was wurde nicht berücksichtigt? Mit diesen und ähnlichen Fragen kann das Abwägen des Risikos geübt werden. Damit soll aber nicht dem Vermeiden jedes Risikos das Wort geredet werden, denn eine gewisse Risikofreudigkeit eröffnet auch den Weg zu neuen Ideen oder innovativen Lösungen. Trotzdem ist es hilfreich, auch die Grenzen zu kennen.

Beispiele und Nutzen einer positiven Fehlerkultur

Einfach ist die Implementierung einer konstruktiven Fehlerkultur nicht. Dafür ist hierzulande das Fehlerimage oft einfach zu schlecht. Anders in Japan: Dort entwickelte sich aus dem Ansatz, Fehler entwicklungsfördernd zu betrachten, sogar eine eigene Unternehmensphilosophie, die Kaizen-Philosophie. In der Praxis wird zum Beispiel beim japanischen Automobilhersteller Toyota die Produktion gestoppt, wenn ein Fehler von den Mitarbeitenden entdeckt wird. An der Problemlösung arbeiten dann alle mit.
Doch nicht nur Toyota verfolgt eine ausgeprägte positive Fehlerkultur. Deutsche Zulieferer sehen sich aufgrund einer für weltweite Geschäftsbeziehungen notwendigen Zertifizierung nach der internationalen Qualitätsnorm IATF 16949 sogar dazu gezwungen. Denn nur mit diesem Zertifikat können Automobilhersteller von ihnen überhaupt beliefert werden. »Im Fokus des Regelwerkes steht die kontinuierliche Verbesserung der System-, Prozess- und letztlich Produktqualität von Unternehmen in den Bereichen Entwicklung und Fertigung«, heißt es dazu auf der Homepage von TÜV Nord. Ohne eine im Betrieb implementierte Fehlerkultur ist dies eine kaum zu lösende Aufgabe.
Letztendlich stärkt eine solche Fehlerkultur die Persönlichkeiten der Mitarbeitenden und schweißt ein Team zusammen. Begünstigt wird dies, indem sie im Betrieb auch mit einer ausgeprägten Feedbackkultur verknüpft wird, wofür auch der Unternehmensberater Ulf-Christian Blume plädiert. Wichtig ist dabei einmal mehr, dass sich das Feedback in Form von Kritik wiederum nur an der Sache, nicht an der Person orientiert. Zudem sollte darauf geachtet werden, dass unter Feedback alle das Gleiche verstehen. Werden Zweifel an den Lösungsvorschlägen geäußert, braucht es Raum und Zeit, um diese aus dem Weg zu räumen. Und noch etwas ist in dem Prozess wichtig: Ist das Feedback lösungsorientiert bearbeitet worden, sollte die Person, die den Fehler gemacht hat, erneut mit der Aufgabe betraut werden. Damit signalisieren Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, dass sie der oder dem Mitarbeitenden weiterhin vertrauen.

Aktuell keine Zeit für eine konstruktive Fehlerkultur?

Viele Händlerinnen und Händler sind derzeit froh, wenn zum Feierabend hin die Schlange wartender Kundschaft vor der Werkstatt und die Rückruf- sowie die zu bearbeitende E-Mail-Liste kürzer geworden sind. Urlaubs- und krankheitsbedingte Ausfälle spitzen die Lage vielerorts noch zu. Keine Zeit also für eine innerbetriebliche Optimierung?
»Bis mindestens Oktober wird dies wohl die Normalität in den Fahrradläden bleiben«, vermutet Gunnar Schmidt, der sich als Coach auf den Fahrradfachhandel spezialisiert hat und neben Vor-Ort-Coaching auch Workshops für den Verkauf und die Reparaturannahme anbietet. »Und weil bekanntlich nach der Saison vor der nächsten Saison ist, möchte ich Händlerinnen und Händlern schon jetzt empfehlen, sich einen kurzen Moment Zeit zu nehmen und Notizen digital oder online zu machen. Vielleicht bei der Teambesprechung, der Morgenrunde oder beim Feierabendplausch? Ansonsten schauen die Inhaberinnen und Inhaber der Betriebe im Herbst und Winter auf die Saison zurück und erinnern sich kaum an die Hindernisse des letzten Sommers. Im Rückblick war es dann ›doch nicht so wild‹ oder es heißt lapidar: ›Ist halt Saison.‹ Leitende Fragen könnten bei dieser Rückschau sein: Woher weht mir und meinen Kolleginnen und Kollegen aktuell eigentlich der stärkste Gegenwind ins Gesicht? Was macht die Arbeit im Fahrradgeschäft im Sommer schwerer als nötig? Wenn es nur eine Sache zu lösen gäbe, welche wäre dies? Im Oktober und November, wenn die Saison nachbereitet wird, hilft es, auf diese dokumentierten Gedanken zu blicken und dahinterstehende Muster zu erkennen. So kann die nächste Saison, zusammen mit dem Team, gut vorbereitet werden.« Auch das ist gelebte Fehlerkultur.
Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, dass manche Fehler sehr wohl auch direkt aus der Befindlichkeit der Mitarbeitenden resultieren können. Vor allem Fehler, die auf unkonzentriertem Arbeiten basieren, lassen darauf schließen. In diesen Fällen sollten die Händlerin oder der Händler ein ruhiges, persönliches Gespräch anbieten, um nach einer individuellen Lösung zu suchen. //

18. August 2022 von Dorothea Weniger

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