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Nachhaltigkeit - Schmiermittel

Nachhaltig ins richtige Fettnäpfchen greifen

Abbaubar und umweltschonend: Was bedeuten diese Begriffe in der Praxis? Wie nachhaltig sind Fahrrad-Schmierstoffe heutzutage und sind Ökosiegel und »Biologisch abbaubar«-Claims ein Verkaufsargument für Endverbraucherinnen und -verbraucher?

Die Fahrradkette muss einiges aushalten. Ihre Metallglieder laufen über die Metallzähne von Kettenblatt und Ritzel, sie muss hohe Kräfte wegstecken und dann lagern sich auch noch Staub und Schmutz an und sie wird nass durch Spritzwasser und Regen. Kettenpflegemittel sollten deshalb zur Basisausstattung jedes Radfahers und jeder Radfahrerin gehören – was sie zu einem entsprechend soliden Mitnahmeartikel im Fahrradfachhandel machen dürfte.
Allerdings achten immer mehr Menschen darauf, was für ein Kettenfett, -öl oder -spray sie kaufen. Der Faktor Nachhaltigkeit ist in den vergangenen Jahren wichtiger geworden. Der Statista-Report »Nachhaltiger Konsum 2021« ermittelte, dass nur noch 15 Prozent Nachhaltigkeit für ein Modewort halten, für immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten ist sie ein Kaufargument. Mehr noch: Laut Report sind »Verbraucher dazu bereit, Marken und Geschäfte aufgrund mangelhafter Nachhaltigkeitspolitik abzustrafen, was sich in Vermeidung oder sogar Boykotten äußern kann.«

Was bedeutet »grün« bei Schmiermitteln?

Der Fahrradfachhandel dürfte also gut daran tun, sich entsprechend zu orientieren. Auch im Bereich der Schmiermittel, denn die konventionellen Produkte sind alles andere als harmlos. Die meisten Kettenschmierstoffe bestehen, je nach Hersteller und Produkt, aus Mineralölen, gemischt mit reibungsreduzierenden Inhaltsstoffen wie PTFE (auch bekannt als Teflon) sowie gegebenenfalls Trägerflüssigkeiten, die nach dem Auftragen verdampfen.

Die Pflege und Schmierung einer Kette ist für die meisten Radlerinnen und Radler eine Selbstverständlichkeit. Neben den reinen Produkteigenschaften spielen heute noch andere Punkte eine wichtige Rolle bei der Kaufentscheidung.

Solche Schmierstoffe sind mit Gefahrenhinweisen versehen, die Sicherheitsdatenblätter warnen vor Reizungen bei Hautkontakt, vor Schläfrigkeit und Benommenheit durch Einatmen der Dämpfe und weisen darauf hin, dass das Eindringen des Schmiermittels in Boden, Grundwasser und Kanalisation zu vermeiden ist. Die Inhaltsstoffe können mitunter schon in kleinen Mengen die Organismen im Wasser schädigen.
Doch das scheint sich zu ändern: »In den letzten Jahren gab es eine Menge Schmierstoffinnovationen. Es wurden immer mehr biologisch abbaubare Esteradditive verfügbar, durch die beispielsweise der Bedarf an erdölbasierten Ölen durch den Wechsel zu pflanzenbasierten Ölen reduziert werden kann«, sagt Andrew Syme, Head of Product Design von Muc-Off, deren Schmierstoffe alle eine gewisse biologische Abbaubarkeit aufweisen. Sie sind nicht die einzigen.
Immer mehr Hersteller von Kettenschmierstoffen bemühen sich um umweltverträglichere Produkte, wie auch Patric Edel, Projektmanager von Antidot, bestätigt: »Uns gibt es erst seit 2019, aber allein in diesem Zeitraum gab es eine steigende Anzahl an ›Bio-Produktlinien‹ seitens unserer Mitbewerber.« Antidot setzt bei seinen Produkten auf 100 Prozent biologisch abbaubare Inhaltsstoffe, verzichtet auf Duft-, Farb- und Festschmierstoffe (PTFE besteht beispielsweise aus Kunststoff und gehört in die Rubrik Mikroplastik). Als »abbaubar« preisen etliche andere Hersteller ebenfalls ihre Schmierstoffe an.
Allerdings ist dieser Begriff, wie viele andere, nicht geschützt, was das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit schon 2008 in seiner Umweltinformation anprangerte. Dort heißt es, Begriffe wie »umweltschonend«, »naturbelassen« oder »abbaubar« seien – am Maßstab des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) gemessen – unklar. Die DIN EN ISO 14020 soll dem entgegenwirken. Ein zentraler Punkt dieser Norm ist, solch unbestimmte, unzuverlässige oder gar täuschende Umweltaussagen zu vermeiden.

Nachhaltigkeit laut Richtlinie

Ihr entspricht zum Beispiel das »Chain Lube« von Biotech, das »auf technischem Sonnenblumenöl aus einer natürlichen Sonnenblumenart« basiert. Sichtbar wird dies durch den Aufdruck »EU-Ecolabel«. Daneben prangt ein weiteres: der Blaue Engel. Dieses sehr bekannte und freiwillige Gütesiegel bekommen Produkte, die »umweltfreundlicher als vergleichbare, konventionelle« sind, heißt es auf der Webseite des Umweltzeichens. Um es verwenden zu dürfen, gibt es bestimmte Vergabekriterien und Tests, unter anderem zur biologischen Abbaubarkeit. Diese Tests verlaufen nach den »Richtlinien zur Prüfung von Chemikalien« der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Unabhängig vom »Blauer Engel«-Siegel, das eigenen Angaben zufolge im Bereich der Fahrradschmiermittel nur das Biotech-Produkt trägt, müssen alle Schmierstoffe, die sich »biologisch abbaubar« auf die Verpackung schreiben möchten, diese Tests durchlaufen.

»Verbraucher sind dazu bereit, Marken und Geschäfte aufgrund mangelhafter Nachhaltigkeitspolitik abzustrafen, was sich in Vermeidung oder sogar Boykotten äußern kann.«

Statista-Report »Nachhaltiger Konsum 2021«

Es gibt drei Kategorien biologischer Abbaubarkeit: Stoffe, die leicht biologisch abbaubar sind, Stoffe, die inhärent biologisch abbaubar sind, und Stoffe, die als nicht biologisch abbaubar gelten. Doch selbst »leicht biologisch« abbaubare Stoffe verschwinden nicht einfach spurlos. Laut OECD-Regelung muss sich der Prüfstoff je nach Test nur zu mindestens 60 Prozent innerhalb eines definierten Zeitraums abbauen. Das heißt, Produkte, die sich »biologisch abbaubar« nennen dürfen, sind dies zu unterschiedlichen Graden.

Und was ist mit »außenrum«?

Nicht zu unterschätzen bei der Frage nach Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit ist die Verpackung – ein Faktor, den Laut Statista-Nachhaltigkeitsreport 56 Prozent der Befragten als besonders wichtigen Aspekt nachhaltigen Konsums nannten. Die spielt bei den genannten Testverfahren keine Rolle, wie Janine Braumann, im Umweltbundesamt zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit zum Umweltzeichen »Blauer Engel«, bestätigt, aber: »Bei der aktuellen Überarbeitung werden auch Anforderungen an die Verpackungen, zum Beispiel der Einsatz von Recyklatkunststoffen, diskutiert.«

Nachfüllpacks und umweltverträgliche Verpackungen sind innerhalb weniger Jahre zu einer fast schon selbstverständlichen Anforderung neben den Pflegeeigenschaften geworden.

Auch ohne gesetzliche Aufforderung bemühen sich viele Hersteller nachhaltiger Schmiermittel, deren Verpackung umweltfreundlich zu gestalten. Bei Squirt kommt zum Beispiel vollständig recycelbares Plastik zum Einsatz, es gibt seit Kurzem Fünf-Liter-Kanister für die Ladentheke zum Nachfüllen, was laut Barry Coleman von Squirt-Vertreiber BC Imports rund 40 Kunststofffläschchen einspart. Damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht: »Wir sind gerade dabei zu erörtern, wie wir die Schrumpffolienverpackungen durch umweltfreundlichere Lösungen wie Kartonagen ersetzen können.«
Bei Dr. Wack besteht die 100-Milliliter-Tropfflasche aus umweltfreundlichem Recyclingmaterial, bei Biotech können Kundinnen und Kunden die gekauften Behälter beim Fachhändler vor Ort wiederbefüllen, Muc-Off nutzt Behältnisse aus dem voll recycelbaren Werkstoff HDPE und Antidot setzt nicht nur auf recyceltes Material bei Flasche und Co., sondern sie verwenden auch Graspapieretiketten, verzichten auf eine Lackierung von Dosen, die Kartonverpackung besteht teils aus Graspapier und sie haben Plastikkanister durch das nachhaltigere Bag-in-Box-System ersetzt, welches sich über das Duale System (Gelber Sack) und Altpapier recyceln lässt.

Nachhaltigkeit als Verkaufsargument

Das ist schon ziemlich viel, doch »leider gibt es noch nicht alle Teile aus recyceltem Material, zum Beispiel Sprühköpfe und Deckel«, bedauert Projektmanager Patric Edel und ergänzt: »Mittlerweile ist es extrem schwierig geworden, überhaupt noch recycelten Kunststoff einkaufen zu können. Viele Global Player, wie Procter & Gamble, Henkel, Johnson & Johnson etc., verwenden nun auch für ihre Produkte recycelte Verpackungen und haben den Markt damit praktisch leergekauft.« Das ist immerhin ein Zeichen dafür, dass das Konzept Nachhaltigkeit mittlerweile ein wichtiger Faktor und damit ein Verkaufsargument ist – auch für Schmierstoffe im Regal von Fahrradfachgeschäften, was Barry Coleman von Squirt bestätigt: »Nachhaltigkeit kann ein Argument für den Kauf eines Schmiermittels sein«, sagt er und empfiehlt: »Setzen Sie sich mit den Herstellern in Verbindung, stellen Sie Fragen und beschäftigen Sie sich mit Firmenhistorie und -ethos.« Damit sind zwar nicht alle (Umwelt-)Pro­bleme gelöst, aber weder Kette noch Umwelt noch Ladenumsatz und -reputation leiden unnötig.

5. August 2021 von Carola Felchner
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