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Nachhaltige letzte Meile

Radlogistikbranche muss lauter werden

Vom 20. bis 21. September fand die dritte Nationale Radlogistikkonferenz in Hannover statt. Die Branche zeigte auf, wie professionell sie agiert und bereitet mit großen Schritten ein „Erwachsenwerden“ des Wirtschaftszweigs vor. Um die großen Ziele der nächsten Jahre zu erreichen, gilt es, bei rechtlichen Rahmenbedingungen und Standardisierungen an einem Strang zu ziehen.

Die Konferenz fand im Kongresszentrum Hannover eine Bühne, wo neben den vielen Rednern und Rednerinnen auf der von Nico Lange moderierten Bühne, über 25 Unternehmen ihre Produkte präsentierten und im Außenbereich Testfahrten anboten. Das von Cargobike.jetzt organisierte Event begann am Dienstag mit einem Exkursionstag, der mehr als 100 Menschen an verschiedene für die Radlogistik relevante Orte in Hannover führte. Nach begrüßenden Worten, unter anderem von Oberbürgermeister Belit Onay, besuchte die Gruppe unter anderem einen Mini-Hub in einem Parkhaus, eine Zustellbasis am Güterbahnhof von DHL und die Fahrradkurierfirma Tretwerk. Das Land Niedersachsen und die Stadt Hannover traten bei der Konferenz als Unterstützer auf.


Belit Onay,Oberbürgermeister von Hannover eröffnete den Exkursionstag mit einem "wirklich wunderbaren Grußwort", so RLVD-Vorsitzender Tom Assmann.

Viele Fragen, die zu klären sind

Am zweiten Konferenztag standen nach der Eröffnung durch Tom Assmann, Vorsitzenden des Radlogistikverbands Deutschland (RLVD) und drei Grußworten, unter anderem vom Parlamentarischen Staatssekretär Oliver Luksic, inhaltliche Fragen im Vordergrund. Diese wurden in einigen Panels zunächst mit Input gefüllt und anschließend diskutiert. Die Branche entwickelt sich dynamisch weiter. Es gibt viele Fragen, die es im jetzigen Stadium zu klären gilt, damit der optimistischen Aussicht der Radlogistik-Unternehmen nichts im Weg steht. „Wir werden nächstes Jahr deutlich mehr Lastenräder auf den Märkten sehen. Ich höre das in den Gesprächen, dass eigentlich überall große Absatzzugewinne zu verzeichnen sind und dass die Akteure trotz der Weltlage positiv in die Zukunft schauen, weil Lastenfahrräder und -Anhänger die Transportmittel der Zeit sind. Wir sparen 90 Prozent Energie pro Kilometer ein und haben günstigere und klimagerechte Fahrzeuge. Eine wichtige Frage auf politischer Ebene ist, wie man Radlogistik in die Breite der kommunalen Planung bekommt. Die Kommunen müssen die Radlogistik, die Flächen und die Infrastruktur standardmäßig mitplanen, sodass unsere Fahrzeuge super einfach, komfortabel und schneller als ein Sprinter überall genutzt werden können. Das ist die eine Herausforderung, die andere ist, wie wir auf europäischer Ebene einen harmonisierten Rechts- und Standardrahmen schaffen, damit diese Fahrzeuge überall in der EU sicher, zuverlässig und kostengünstig auf Radwegen betrieben werden können“, beschreibt Tom Assmann.

Politische Herausforderungen

Auf politischer Seite gibt es aktuell noch starke Hemmnisse für die Radlogistik. Zum einen sind schmale Radwege vor allem für Schwerlasträder mit mehreren Hundert Kilo Gewicht nicht geeignet. Zum anderen ist die finanzielle Förderung nicht hoch genug, als dass sie völlig selbstverständlich mit teils um 40 Prozent rabattierten Verbrenner-Transportern konkurrieren kann. Gerade lokale Förderprogramme sind zudem oft schnell ausgeschöpft. Um in der Konkurrenz bestehen zu können, will der Radlogistikverband aber vermeiden, dass die Radlogistik Dumpingpreise einführt. Vielmehr müssen Verbrenner-Vans teurer werden, die derzeitigen Niedrigpreise können als Marktversagen gewertet werden.


Vorm Eingang zur Radlogistik-Konferenz konnten die Besucher und Besucherinnen diverse Lastenräder testen.

„Die Politik darf mutiger werden“, forderte Martin Schmidt, stellvertretender RLVD-Vorsitzender in seinem Resümee der Veranstaltung. Das Verbrennerverbot ab 2035 sowie die derzeit steigenden Treibstoffkosten dürften der Radlogistik in die Karten spielen. Gerade kleinere, reine Elektrofahrzeuge könnten der Branche aber künftig Marktanteile streitig machen.

Auch in der Bevölkerung sollen Lastenräder noch besser als Lösung bekannt werden. Wenn der Wert der Serviceleistung Lieferung mehr geschätzt würde, hätten die Radlogistiker leichteres Spiel. Eine größere Präsenz von Lastenrädern auf der letzten Meile dürfte auch die Chancen bei städtischen Vergabe-Verfahren erhöhen. Hier, so berichtet Matthi Bolte-Richter, Geschäftsführer des Kieler Radlogistik-Unternehmens Noord Transport, müssen die Logistiker oft erstmal vermitteln, wie leistungsfähig moderne Lastenräder sind und werden so benachteiligt. „Das Lastenrad ist häufig einfach ausgeblendet“, bestätigte auch Jonas Kremer, RLVD-Fachvorstand Politik. Wenn ein Flottenanteil an Elektrofahrzeugen über Quoten geregelt ist, würden Lastenräder oft nicht mitgezählt und können damit ihr Potenzial nicht ausspielen.

Technische Feinheiten

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in drei optionalen Workshops bearbeiteten Themen, die die Branche stärker vereinen könnten. Es ging um eine deutschlandweite Buchungs-Plattform für Radlogistik-Dienstleistungen, digitale Schnittstellen durch offene KEP-Standards (Kurier-, Express- und Paketdienst) und darum, was zu beachten ist, wenn die Branche Aufbauten und Wechselsysteme standardisiert. „Wir schreiben jetzt Spielregeln, das ist eine einmalige Chance“, kommentierte Martin Schmidt abschließend.

Normen mit Lücken

Normen, die Lastenräder betreffen, werden von der Industrie gut angenommen, haben laut Tim Salatzki vom Zweirad-Industrie-Verband aber Lücken, was die Sicherheit im Schwerlastsegment betrifft. Es sollte im Interesse der Branche sein, diesem Thema proaktiv zu begegnen, wie es beispielsweise durch den Verhaltenskodex im Verkehr des RLVD bereits beispielhaft geschehen ist. Wenn es schwere Unfälle geben sollte, könnte das dem Ruf der Lastenräder schaden. In einer Paneldiskussion, in der auch Luise Braun von Onomotion und Wasilis von Rauch vom Branchenverband Zukunft Fahrrad, sowie Jonas Kremer sprachen, bewertete die Möglichkeit einer eigenen Kategorie für Schwerlastenräder als sinnvoll.


Über politische Förderungsmöglichkeiten und Hürden diskutierten v.r.: Luise Braun von der Onomotion GmbH, Jonas Kremer vom RLVD, Tim Salatzki vom ZIV und Wasilis von Rauch vom Bundesverband Zukunft Fahrrad. Nico Lange (links) moderierte das Konferenzprogramm.

Diese dürfe allerdings kein Monstrum an Regulierungen mitbringen, so der Tenor der Runde. Schulungen für Schwerlasträder könnten zielführend sein, eine Führerscheinpflicht lehnte die Gruppe allerdings entschieden ab.

Weiteren Input gab es auch zu den Fahrern und Fahrerinnen der Lastenräder. Diese sind in Österreich bereits mit einem Tarifvertrag aufgestellt. Es gilt, hier auch in Deutschland die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, StVO-Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit den Kunden und Kundinnen zu vermitteln. Die Menschen, die die Räder fahren, sind das Rückgrat der Branche, verrichten eine körperlich schwere Arbeit und müssen entsprechend gewürdigt werden. Sie brauchen gute Konditionen ohne Dumpinglöhne und Scheinselbstständigkeiten, auch damit die wachsende Branche in Zukunft keinen Personalmangel hat.

Publikumswirksame Aktion auf großer Messe

Heute Morgen sind viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Veranstaltung mit ihren Lastenrädern und -Anhängern publikumswirksam auf der Messe IAA Transportation eingefahren, die zeitgleich in Hannover stattfindet. Die Radlogistikkonferenz war in Zusammenarbeit mit der Nutzfahrzeug-Fachmesse geplant worden, dort gibt es einen Bereich für die Letzte-Meile-Logistik und einen Cargobike-Parcours im Außenbereich. Tom Assmann erklärt: „Es war die richtig Entscheidung, diese Veranstaltung parallel zur IAA Transportation zu machen und zu zeigen: Wir als Radlogistik sind da und wir sind bereit, unser 30-Prozent-Ziel bis 2030 umzusetzen. Jetzt ist es auch an den etablierten Akteuren, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu sagen, dass es neue Formen der Mobilität und neue Formen der gewerblichen Logistik in der Stadt braucht. Deswegen fand die Konferenz auch hier und in Abstimmung und Kooperation mit der IAA statt. Das ist ein Angebot der IAA, dass wir mit unseren Ausstellern und unseren Lastenfahrrädern auf die Messe kommen und dem Publikum dort das zeigen, was wir eben auch auf der Konferenz hier gezeigt haben: Die Technik ist da, kauft sie, setzt sie ein und fahrt damit.“

Im Kontext der gemeinsamen Aktion verleiht die Fachzeitschrift Logistra um 17 Uhr zudem die Preise des International Cargobike of the Year Award. Bereits am Dienstag hatte der RLVD den Radlogistik-Versender des Jahres gekürt. Der Preis ging an die Memo AG, die Bürobedarf in Kooperation mit 13 verschiedenen Radlogistik-Diensten ausliefern lässt.

22. September 2022 von Sebastian Gengenbach

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