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Konferenz auf der Eurobike

Radlogistik zeigt sich robust

Trotz einiger Hürden stehen die Zeichen bei der deutschen Radlogistikbranche auf Wachstum. Das beweisen neue Marktdaten, die gemeinsam mit Diskussionen über wichtige Handlungsspielräume die Radlogistikkonferenz auf der Messe Eurobike prägten.

Ein wichtiger Gegenstand der Konferenz war der Branchenreport 2025, welchen der Radlogistik Verband Deutschland in Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Wildau bereits Anfang dieser Woche veröffentlichte. Dr. Tom Assmann, der als Vorsitzender des Verbands das Event moderierte, sprach von herausfordernden Jahren, aus der die Branche kommt. Weiteres Wachstum gibt es trotzdem, wie die Marktzahlen belegen. 2024 waren ungefähr 6000 Personen im Ökosystem Radlogistik beschäftigt. Das entspricht einem Zuwachs von 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 40 Prozent der Unternehmen erwarten für 2025 eine wachsende Zahl an Beschäftigten. Das Ökosystem umfasst mittlerweile 254 identifizierte Institutionen, von operativen Radlogistikern über Hersteller bis hin zu spezialisierten Dienstleistern.

Der Gesamtumsatz der 43 befragten Unternehmen stieg 2024 ebenfalls an. Mit 190 Millionen Euro lag er 4 Prozent über Vorjahres-Niveau.
Sehr erfreulich ist aus Verbandssicht, dass die Unfallzahlen im Zusammenhang mit Radlogistik gering sind. „Radlogistik schafft nicht nur sichere Jobs auf dem Sattel, sondern macht auch die Jobs von anderen auf der Straße sicherer", betont Assmann. Das insgesamt niedrige Unfallgeschehen zeige, dass Radlogistik eine stadt- und sozialverträgliche Alternative im urbanen Wirtschaftsverkehr darstellt. Hinzu kommt, dass auch Menschen ohne Führerschein so einen Job in der Logistik ausüben können und so in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Radverkehr fördern heißt Radlogistik fördern

Mitautor der Studie, Prof. Christian Rudolph, adressiert die Forderungen der Branche, um sich künftig positiv entwickeln zu können: „Der Appell an die Politik bleibt: bessere Rahmenbedingungen für die Radlogistik-Branche müssen geschaffen werden.“ Konkret wollen die befragten Unternehmen, dass bei öffentlichen Ausschreibungen ein „Sustainable-first“-Prinzip angewandt wird. Weiter fordern sie, klimaschädliche Subventionen wie das Dieselprivileg zu stoppen und bundesweit einheitliche Regelungen für Mikro-Hubs zu treffen. Als Hauptforderung steht weiterhin im Fokus, die Fahrradinfrastruktur konsequent auszubauen und die Mittel für mindestens zwei Meter breite, durchgehende Radwege im Sondervermögen vorzusehen. Ein weiterer Schmerzpunkt: Gewerbliche Lastenräder mit Leasing-Verträgen sind weiterhin nicht förderfähig.

Kernthema des RLVD bleibt weiterhin die Frage, wie E-Cargobike reguliert werden. Vor kurzem positionierte sich der Verband bereits zu dieser Frage velobiz.de berichtete und lud zum Austausch im Ausklang des Konferenzformats ein. Für mehr Klarheit möchte der Verband nun mit einem Begriff für schwere Lastenräder sorgen. Diese sollen künftig Commercial Cargo Bikes heißen, wie ein offener und partizipativer Prozess innerhalb der Arbeitsgruppe Technik & Standardisierung ergab. „Mit dem Begriff Commercial Cargo Bike schaffen wir eine gemeinsame, verständliche Sprache für Fahrzeuge, die täglich wirtschaftlich im Einsatz sind – ob in der Paketzustellung, im Handwerk oder bei kommunalen Diensten. Der Begriff betont den professionellen Nutzen und hebt sich bewusst von Freizeit- oder Privatnutzung ab“, erklärt Sebastian Bächer, Fachvorstand Technick & Standardisierung beim RLVD. Gemeint sind Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 250 bis maximal 600 Kilogramm, wie sie die europäische Norm DIN EN 17860:4 definiert.

Lastenräder schlagen Vans in Brüssel

Eine Studie, die Larry vs. Harry gemeinsam mit dem belgischen Radlogistiker Urbike und Kale AI durchgeführt hat, konnte zeigen, wie viel effizienter Radlogistik gegenüber der herkömmlichen Van-Logistik ist. Dafür wurden Daten in der Praxis gesammelt, die dann mit simulierten Daten für Van-Lieferungen verglichen wurden. Das Ergebnis zeigt, dass Cargobikes nicht nur viele Ressourcen einsparen können, sondern im Stadtverkehr Brüssels mit 16 km/h schneller als Vans waren (11,3 km/h). Im sechswöchigen Untersuchungszeitraum lieferten sie 10,1 Pakete pro Stunde aus, was mehr als doppelt so viel wie die simulierten Lieferwagen ist (4,9). Die Referenten von Urbike und Larry vs. Harry betonten, dass es viele Studien zum Potenzial der Radlogistik gäbe, aber zu wenig Evidenz aus echten Anwendungsfällen.

Ein Schlüsselfaktor für erfolgreiche Radlogistik sind Arbeitskräfte. Input gab es dazu von einem Radlogistikunternehmen aus Paris, den Cargonautes. Die Vertreter des Unternehmens sprachen von guten Bewerberzahlen bei ihren offenen Stellen vor allem in den Sommermonaten und davon, dass der Job als Kurier Radfahrende und mittlerweile zumindest etwas häufiger auch Frauen anspreche. Gehälter 25 Prozent über Mindestlohn und Mitarbeiterleistungen seien wichtig für das Unternehmen, um Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu halten. Hilfreich seien weiter auch hybride Rollen, bei denen Kuriere beispielsweise auch im Vertrieb eingesetzt werden. Insgesamt sei Radlogistik als Arbeitsbereich positiv besetzt. Gerade in der Fahrradstadt Paris gibt es zudem auch Vorteile für Radlogistik, die die höheren Gehälter möglich machen. Die Stadt ist mit 19.000 Einwohnern pro km² (Berlin: 4100 Personen pro km²) äußerst dicht besiedelt und hat insbesondere in den zentralen Stadtteilen viele wohlhabende Einwohnerinnen und Einwohner.

Stephan Fuchs vom Verbund Service und Fahrrad bemängelte, dass junge Menschen zu wenig Bescheid wissen über Arbeitsmöglichkeiten in der Fahrradbranche. Die 2019 ins Leben gerufene Website fahrrad-berufe.de solle das ändern, scheitere dabei aber zum Teil an der Finanzierung. Als Positivbeispiel stellte Fuchs mit zwei Vertreterinnen von Riese & Müller ein gemeinsames Projekt vor, durch das Angestellte des E-Bike-Herstellers ohne Berufsabschluss diesen in 14 Monaten berufsbegleitend erarbeiten können. Für ähnliche Kooperationen wolle man neue Partner finden, so Fuchs.

Kommunen als essenzieller Baustein

„Kommunen sind Marktgestalter für Radlogistik“, fasste Tom Assmann die Bedeutung kommunaler Rahmenbedingungen für die Branche zusammen. Internationale Beispiele auf der Konferenz zeigten, wie der Support seitens der Kommunen sich strukturieren lässt. Das kann finanzielle Förderung sein, wie in ColisActiv sie in Frankreich bietet. Im Schnitt werden Radlogistikunternehmen dabei mit 50 Cent pro Lieferung in den ersten zwei bis vier Jahren unterstützt. Essenziell sind außerdem die Rahmenbedingungen für Radverkehr und Mikro-Depots. In vielen Kommunen fehlt es an Wissen über Potenzial und Praxis der Radlogistik. Das zeigt das Projekt iKnowRadlogistik, welches die Verantwortliche Luise Braun in Frankfurt vorstellt. In Städten, in denen es einen Wirtschaftsverkehrsbeauftragten gibt, sei die Lage etwas besser. Die Website Atlas der Radlogistik velobiz.de berichtete hilft Kommunen mit fortlaufenden Informationen, Radlogistik zu fördern.

Zum Abschluss des Fachprogramms, auf das noch eine Tour und ein Netzwerk-Event folgten, sprach Assmann sich dafür aus, europäische zusammenzuarbeiten und eine zukunftsfähige Welt zu schaffen. Für ihn war die Konferenz sicher ein besonderes Event. Sie dürfte das letzte Mal gewesen sein, dass er als Vorsitzender des Verbands auftritt. Nach vier Jahren wolle er das Amt abgeben.

Heute um 06:00 von Sebastian Gengenbach

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