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Report - E-Rennrad und E-Gravelbike

Rückenwind mit Rennlenker

Wankt die letzte Bastion des Bio-Bikes? Bislang ist das Pedelec mit Rennlenker nur eine Nische in der Nische. Wird es so bleiben? Es kommt vielleicht darauf an, auf welchem Terrain man das Rad bewegt.

In Anbetracht des Höhenflugs des E-Bikes in fast allen Segmenten wäre eigentlich nicht so sehr der verwunderte Ausruf »Jetzt gibt es auch schon Rennräder mit Unterstützung!« angebracht, sondern die Frage »Wieso gibt es so wenige Rennrad-Pedelecs?« Es gibt sie, die Rennräder mit »E-«, und es gibt auch die neue Schwester des Rennrads, das Gravelbike, als E-Bike. Erstaunlich, denn beim Renner handelt es sich um ein Sportgerät, das die Fahrerinnen und Fahrer oft ohnehin oberhalb der Pedelec-Geschwindigkeit bewegen. Macht das E-Rad hier überhaupt Sinn? Die Hersteller sagen naturgemäß »ja«. Interessanter ist, mit welchem Konzept argumentiert wird.

»Das E-Gravelbike hat eine große Zukunft«

»Das ist ein echtes Feuerwerksthema«, sagt Thorsten Lewandowski, Global Communication Manager beim Direkt­anbieter Canyon über das E-Gravelbike. »Wie beim E-MTB geht’s hier auch darum, neue Wege auszuprobieren, einen Weg zu fahren, den man sich früher vielleicht gar nicht zutraute.« Die E-Gravel-Modelle Grail:On stellte Canyon im Sommer 2020 vor, die Preise gehen von etwa 5.000 bis 6.200 Euro.


Canyon setzt beim Gravelbike Grail:On auf Dauer-Power mit Bosch-CX-Motor, beim E-Renner auf Fazua-»Steigungshilfe«.

Das Grail:On wird nur als Offroad-Bike beworben, anders als das motorlose Grail, das als Allrounder präsentiert wird.
Das Grail:On wirft die Frage auf, wo die Grenze zwischen E-MTB und einem Gravelbike liegt. »Eine Grenze gibt es beim Produkt selbst kaum, sie wird im Kopf der Nutzer definiert«, so Lewandowski. »Der Grail:On-Typ will sein Naturabenteuer tief über den Dropbar geneigt erleben, Speed spüren. Der andere fährt Touren, möchte lieber aufrechter sitzen, für ihn passt das E-MTB.«
Grundsätzlich wird das Potenzial für das Rennrad mit »E« als groß eingeschätzt, auch wenn »der Markt für den Motor am Straßenrennrad noch nicht bereit ist«, was für Canyon auch am konservativen Rennradkunden liegt. »Gravel dagegen ist selbst der Inbegriff der Veränderung, weg von der Straße, wohin auch immer man will.«
Der Verkaufserfolg spiegelt das ungleiche Verhältnis. Das E-Gravelbike von Canyon wird etwa dreimal so gut verkauft wie das E-Rennrad.

Dicker Motor statt dicke Beine

Bei Cannondale rollte das erste E-Rennrad 2018 los, damals mit dem Bosch-Active-Line-Motor. Mittlerweile ist das Angebot riesig und geht in die Breite bis zum E-Graveller Topstone Neo Carbon Lefty LE mit Bosch CX. Dank der Federgabel ist die Verwandtschaft zum MTB unübersehbar.
»Ein komfortables und sportliches Rad fürs Gelände«, definiert Andreas Wildgrube, Produktmanager E-Bike beim Unternehmen, das Rad. Der Preis liegt bei knapp 10.000 Euro. Als Sportgerät ist das Highend-Straßenrad Supersix Evo Neo, »eher für Leistungsorientierte«, mit Mahle-Motor, 250-Wattstunden-Akku und sehr hochwertigen Komponenten für knapp unter 10.000 Euro. Das Gewicht liegt bei unter 12 Kilogramm.


Cannondale bietet ein großes Angebot an E-Dropbar-Rädern mit Preisen zwischen 2.800 und 10.000 Euro.

Insgesamt finden sich 14 Rennlenker-E-Modelle bei Cannondale. Das Konzept könnte man mit Biobike Plus beschreiben. »Unsere Modelle mit Mahle-Motor liefern in entscheidenden Momenten Unterstützung. Wer dagegen ein Modell mit Bosch CX fährt, der will das komplette E-Bike-Feeling haben«, so Wildgrube. »Beim Graveln ist die 25-Kilometer-Marke kein Pro­blem. Und bei den Rennrädern sprechen wir über leichte Räder und klassische Rennrad-Haltung, da ist man auch ohne Unterstützung schnell, wenn der Motor keinen Widerstand bietet.« Trotzdem, das Speed Limit ist konzeptuell wie eine Mauer, sie gefällt auch bei Cannondale nicht. »Der Gedanke ans S-Pedelec ist da«, meint Wildgrube, »oder an eine Unterstützung bis zu 32 km/h wie in den USA. Wir könnten uns auch eine abgespeckte S-Pedelec-Zertifizierung vorstellen.« Aber das alles ist StVO-Zukunftsmusik und auch nicht sehr drängend, denn »gerade E-Bikes mit Rennlenker haben die Kunden deutlich mehr gekauft als erwartet«, so Wildgrube. »Der Verkauf von E-Gravelbikes liegt dabei deutlich höher als der von E-Straßenrennern.«

Erst ein Versuchsballon, dann durchstarten

Bei KTM ist man derzeit mit dem Modell Macina Mezzo für 5500 Euro im E-Rennrad-Bereich vertreten. Das Rad mit Fazua-Evation-1.0-Motor und integriertem 250-Wattstunden-Akku wiegt knapp 14 Kilo.


KTM hat einen Straßen-E-Renner mit Fazua-Antrieb im Programm. Nachfolger, auch fürs Gelände, dürften folgen.

»Noch sind die Verkaufszahlen eher gering, verglichen mit den anderen Modellen. Wir werden aber bald richtig durchstarten, das drei Jahre alte Mezzo wird gerade weiterentwickelt, dann wird es auch E-Gravel geben«, sagt Matthias Grick vom operativen Marketing. »Aber das Rennrad wird vom Händler noch eher schlecht angenommen.« Dazu sind Rennradfahrer konservativer als etwa MTBler, glaubt man auch bei den Österreichern. »Außerdem haben Deutschland, Österreich und die Schweiz keinen großen Rennrad-Markt, im Gegensatz zu Frankreich und Südeuropa. Gravel dagegen ist für uns auch ohne Motor ein starker Wachstumsmarkt, derzeit führen wir fünf Modelle. Das Gravelbike ist das SUV unter den Rennrädern.« Auch deshalb geht man bei KTM davon aus, dass E-Gravel bald weit mehr Fans haben wird.

»Kein Klotz am Bein«

Der Hersteller Orbea ist als einer der Ersten in den E-Renner-Markt eingestiegen und hat mit dem Gain seit 2017 ein individualisierbares Modell im Angebot. »Die Möglichkeiten damit sind enorm vielfältig«, sagt Philipp Martin, bei den Basken zuständig fürs Marketing Deutschland und Österreich. »Klassisches Straßenrennrad-Fahren, Commuten, Waldautobahn-Fahren«, die Liste sei nahezu beliebig erweiterbar. Dazu sei die Geometrie zwar ans Rennrad angelehnt, aber gemäßigter. Dass man die breiten Einsatzmöglichkeiten ernst nimmt, zeigt unter anderem die harmonisch in Lenker und Sattelaufnahme integrierte Beleuchtung der Premiummodelle. Natürlich braucht es zum Graveln auch andere Laufräder als für die Straße. Bis 40 Millimeter breite Reifen passen in Hinterbau und Gabel. So ausgestattet ist eine E-Gravel-Variante erhältlich. Wer sich einen zweiten Radsatz zusätzlich kauft, kann mit kleinem Aufwand vom E-Graveller zum E-Renner wechseln.
Wer macht das? Wie groß ist dabei etwa der Anteil an Commutern? Die Kundinnen und Kunden sind naturgemäß schwer greifbar. Klar ist auch hier, dass »in Deutschland die E-Graveller-Ausstattung deutlich besser verkauft wird als die Rennradversion.« Auch eine Flatbar-Version ist im Angebot. Der Antrieb steckt im Hinterrad und liefert gut 35 Newtonmeter. Das System mit integrierbarem 248-Wattstunden-Akku basiert auch hier auf dem Mahle-Nabenmotor. Ein Range-Extender für den Flaschenhalter liefert 208 zusätzliche Wattstunden. Der Einstieg beginnt bei rund 2600 Euro, dann allerdings mit nur geringen Möglichkeiten zur Personalisierung. Am anderen Ende der Preisskala wird es auch hier fünfstellig. »Orbea hat sich früh für den Mahle-Motor entschieden, weil man entspannt über die 25er-Marke hinaustreten kann. Ein kleiner Rückenwind, der kein Klotz am Bein ist. Das hilft, an deiner Gruppe dranzubleiben«, so Martin. »Mit dem Gain bieten wir ein sportliches Fahrrad für die Freizeit an, das auch als Commuter Sinn macht. Um diese Leute anzusprechen, ist Social Media gut, aber nach wie vor ist der Fahrradhändler absolut entscheidend.« Deshalb versucht man vor allem, Händler von einem breiten Produktspektrum zu überzeugen und mehr Testmöglichkeiten zu generieren.

Nicht jeder fährt schneller als 27 km/h

»It‘s you, only faster«, mit diesem Slogan wirbt Specialized für alle seine elektrifizierten Modelle. Das Rennrad-Spitzenmodell Turbo Creo SL S-Works soll unter 12 Kilogramm wiegen und kommt mit dem Specialized-gelabelten SL-1.1-Mittelmotor mit 35 Newtonmeter Drehmoment und integriertem 320-Wattstunden-Akku (auf 480 steigerbar). Der Motor wird bei Mahle gebaut, ist derzeit aber nur in Specialized-Rädern zu finden. Kundinnen und Kunden schätzten laut Marco Sonderegger, Produktentwickler bei Specialized, den obligatorischen Wattmesser im Motor. Der Unterstützungscharakter und andere Leistungsfunktionen sind per App einstellbar.


Die Spitzenmodelle von Specializeds E-Rennern wiegen um 12 Kilogramm ­– jedes ist mit etwa 10.000 Euro zu bezahlen.

Satte 12.500 Euro wechseln beim Kauf des Spitzenmodells den Besitzer, der Einstieg fürs Straßenrad liegt bei 4500 Euro.
Die gleiche sportliche Geometrie wie die Turbo-Creo-Modelle haben die mit dem Zusatz EVO versehenen E-Gravelbikes. Neben dem Gelände-Laufradsatz gibt es eine absenkbare Sattelstütze. Die Pedelec-Grenze sieht Sonderegger gelassen. »Nicht jeder fährt schneller als 25 km/h, in der Ebene macht die Grenze wenig Unterschied, da das Rad sehr leicht läuft. Und beim Graveln spielt sie gar keine Rolle mehr.« Im Gravel-Paradies USA übertrifft der Verkauf von E-Gravel höchste Erwartungen. »Das Segment wächst dort enorm«, so Sonderegger.
Generell ist man bei Specialized überzeugt, dass sich auch der E-Rennradmarkt stark vergrößern wird. »Das braucht aber Zeit«, so der Produktentwickler. Der E-Gravel-Bereich brummt jetzt schon. In Zukunft wird man daher wohl auf zwei verschiedene Rahmen setzen. So ließe sich beim E-Renner die Aerodynamik besser berücksichtigen, Rahmen und Gabel bräuchten keine breiten Durchläufe.

Kleine Motoren auf dem Vormarsch?

Mitschuld, dass es die Nische überhaupt gibt, ist das 2016 entstandene Unternehmen Fazua. Mittlerweile hat es etwa 60 Mitarbeiter. Gründungsmitglied Fabian Reuter macht den Erfolg auch an der vorausschauenden Konzeption des Systems fest. »Ja, wir wollten damals ein sehr leichtes System, das deutlich schwächer sein durfte als der klassische E-Motor, ein neues Konzept. Mittlerweile bietet er allerdings auch 55 Newtonmeter. Wir nennen das Light Assistant, im Gegensatz zum Komfort-Assistent der klassischen Motoren. Im Rennrad-Bereich war für uns ganz offensichtlich, dass der klassische Motor keinen Sinn macht.«




Trend kleiner Mittelmotor: Wenig Gewicht und ausreichend Unterstützung, wenn man sie braucht.

Trotzdem war der Erfolg im E-Gravel-Sektor für Fazua überraschend. Light Assist für die Straße verkauft sich eher in den bergigen Regionen gut, stark sei hier vor allem die Schweiz.
Fazua sieht sich als Trendsetter. Mahle ist derzeit der wohl wichtigste Mitbewerber, doch »das Motorensegment wird deutlich wachsen«, glaubt Reuter. »Fast jeder Anbieter wird einen Light Assist bringen.« Gerade bringt Fazua eine Endverbraucher-App auf den Markt, die die Individualisierung der Software für Nutzerinnen und Nutzer ermöglicht. Und es ist auch kein Geheimnis mehr, dass in nicht allzu ferner Zukunft ein ganz neues Fazua-System präsentiert werden wird. »Im Rennrad- und Gravelsektor hat Fazua etwa 20 Industriekunden. Insgesamt wurden 2020 etwa 25.000 Räder mit diesem Antrieb verkauft, dazu zählen auch immer mehr Urban Bikes mit Light Assist.«

Und was sagt die Szene?

Bis das E-Rennrad in der Breite ankommt, wird es aber absehbar noch etwas dauern. »Ein E-Renner-Trend bei den Lesern? Nein, eher im Gegenteil. Da gibt’s Ablehnung in den Leserbriefen, wenn das E-Rennrad mal bei uns stattfindet«, erklärt Thomas Musch, Chefredakteur der Zeitschrift Tour, nach eigenem Bekunden größtes Rennrad-Magazin Europas. »Ich kann mir zwar vorstellen, dass im Bereich Gravel aktuell mehr Nachfrage nach Rädern mit E-Unterstützung entsteht, weil ein Motor aufgrund der geringeren Geschwindigkeiten auf schlechtem Terrain besser als im Rennrad passt und das Fahren insgesamt auch flüssiger wirken dürfte. Aber trotzdem ist das doch eher eine Nische in der Nische. Und du hast beim Fahren einfach ein Gefühl im Kopf, du schleppst Ballast mit dir herum, das ist ein Handicap.«
Auf Dauer könnte es aber durchaus sein, dass zwei Nutzergruppen die Dynamik des Nischentrends dennoch weiter auffrischen. Solche, die leistungsbedingt, vielleicht wegen fortgeschrittenen Alters, am Berg etwas Schub brauchen, um an ihrer Rennrad- oder Gravelgruppe dranzubleiben. Ihnen dürfte das Ballastgefühl weniger ausmachen als die Option, den Sport aufzugeben.
Die zweite Gruppe dürften jene Menschen bilden, die jetzt erstmals Lust aufs Rennradfahren bekommen. Sie haben die Rennrad-Leichtfüßigkeit ohne Motor ohnehin noch nicht verinnerlicht und werden sie nicht vermissen. Die Zahlen der nächsten zwei, drei Jahre werden zeigen, wo der Markt hinläuft.

3. Juni 2021 von Georg Bleicher

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