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Marktzahlen Teil 2 - ZIV-Branchendaten

Ein gutes Jahr

Wer einen genauen Blick in den Branchenverlauf des vergangenen Jahres sucht, der findet sie alljährlich in den Zahlen des ZIV. Der jüngste Bericht für das Jahr 2022 lässt die hiesige Fahrradbranche in einem sehr positiven Licht erscheinen.

Der ZIV (Zweirad Industrie Verband) vertritt aktuell 116 Hersteller und Importeure und damit nach eigenen Angaben rund 90 Prozent des in Deutschland produzierten Marktvolumens. Damit verfügt er über ein sehr genaues Bild vom aktuellen Zustand des Fahrradmarktes. Entsprechend viel Aufmerksamkeit erfährt die jährliche Präsentation der Marktzahlen, über die inzwischen auch regelmäßig in der überregionalen und oft nicht besonders fahrradinteressierten Publikums­presse ausführlich berichtet wird.
Auf den ersten Blick sind die präsentierten Daten zunächst wenig spektakulär: Die Marktlage habe sich normalisiert, die Lieferkettenprobleme sind auch Geschichte und mittel- bis langfristig wird ein »sehr stabiles Wachstum« prognostiziert. Business as usual, könnte man damit denken. Allerdings wird auch noch manch anderer Punkt angesprochen, der innerhalb der Branche schon seit einer Weile für Nervosität sorgt. Die Lager bei Herstellern und Händlern sind voll und dieser Warenstau zieht sich noch bis zum letzten Zulieferer. Die Folge sind »Preisvorteile«, die nun weitergegeben werden. In der Präsentation wurde dies geschickt als Einladung zum Fahrradkauf präsentiert, doch es ist klar, dass für die unmittelbaren Marktteilnehmer hier ein bisschen zu viel Ungewissheit besteht, wie dieses Jahr laufen wird.
Die eigentlichen Marktzahlen sind dessen ungeachtet bemerkenswert und ansehnlich: Seit 2019 ist der Fahrradbestand in Deutschland um 6,9 Millionen Stück gestiegen, ohne dass laut ZIV eine Marktsättigung zu erkennen wäre. Zu erklären ist das durch das stetige Wachstum des E-Fahrradmarktes. So werden heute ältere Räder durch E-Modelle ersetzt und zudem erkennt der ZIV einen klaren Trend zum Zweit-, Dritt- und Lastenrad. Insgesamt sind nun 82,8 Millionen Fahrräder auf den Straßen unterwegs. Dabei sind die Zahlen schon um entsorgte Räder bereinigt.
Wenn es um den Bestand geht, dann stellen inzwischen auch E-Bikes eine sehr relevante Größenordnung. Ende 2022 sollen bereits 9,8 Millionen E-Bikes im Markt sein. Da diese häufiger und länger genutzt werden, haben sie besonders hohen Einfluss auf die Sichtbarkeit des Fahrrads im Alltag. Vor zehn Jahren lag der Bestand noch bei 1,3 Millionen E-Bikes.
Bei den Kernzahlen der Fahrradindustrie ist ebenfalls ein erfolgreiches Jahr in die Bücher eingegangen. Bei einer Gesamtproduktion von 2,6 Millionen Fahrzeugen (plus 8 Prozent), wovon 1,7 Millionen E-Bikes sind (plus 20 Prozent), ergibt sich am Ende doch nur ein kleines Plus (im Vorjahr wurden 2,4 Millionen Räder produziert), weil etwas weniger Fahrräder gebaut wurden.
Interessant war die Ausführung des ZIV zur »verlängerten Werkbank« der hiesigen Hersteller. 780.000 Fahrräder wurden in Produktionsstätten deutscher Unternehmen außerhalb Deutschlands hergestellt, davon über 90 Prozent in der EU. Diese Zahl ist zusätzlich zur Inlandsproduktion zuzurechnen, wenn man die Leistungskraft der deutschen Fahrradhersteller komplett erfassen will.

»Die Fahrradbranche wird vielfach in ihrer Leistungskraft unterschätzt«, sagte Burkhard Stork in der ZIV-Präsentation. Die Zahlen geben ihm recht.

Deutlich mehr Wachstum zeigt sich auf der Teileseite der Fahrradindustrie. Seit 2020 wurde der Produktionswert um 50 Prozent gesteigert, die Importe wurden fast verdoppelt und die Exporte um etwa 60 Prozent gesteigert. Exportiert wurden nun Waren im Wert von 1,3 Milliarden Euro, importiert wurde für 4,1 Milliarden Euro.
Die Kernzahl, auf die alle warten, ist dann regelmäßig die Inlandsanlieferung. Dabei handelt sich um die inländische Produktion plus Importe minus Exporte. Diese Zahl lag in 2022 bei 5,42 Millionen Fahrrädern und E-Bikes, die in den deutschen Markt geflossen sind. Das sind nochmals fast eine halbe Million Einheiten mehr als im seinerseits beeindruckenden Vorjahr. Der Umsatz mit diesen Rädern stieg entsprechend auf 7,36 Milliarden Euro, ein Plus von 12 Prozent binnen eines Jahres. Das überproportionale Plus im Warenwert liegt an der gestiegenen Wertigkeit der verkauften Produkte.

Starke Zunahme der Lagerbstände

Tatsächlich verkauft wurden laut ZIV im Jahr 2022 dann 4,6 Millionen Fahrräder. Es ist der zweite Rückgang in Folge, wobei die Zahl der verkauften Räder aber immer noch über den Vor-Corona-Niveaus liegt. Der Fahrradmarkt hat damit zumindest bisher keinen Einbruch erlebt, wie ihn andere Branchen erlitten, die zunächst von den Pandemie-Bedingungen profitieren konnten. 5,42 minus 4,6 Millionen bedeutet aber auch, dass innerhalb eines Jahres der Lagerbestand im Handel um rund 800.000 Räder gestiegen ist.
ZIV-Geschäftsführer Burkhard Stork erinnerte daran, dass er im Vorjahr prognostiziert hatte, dass 2022 die stückzahlenmäßige Parität von E-Bike und Fahrrad erreicht sein würde. Nun musste er feststellen, dass diese Vorhersage noch nicht eingetroffen ist: Das Verhältnis liegt erst bei 52 zu 48 zugunsten der Fahrräder. Stork geht davon aus, dass die Prognose dann wohl in diesem Jahr eintreffen wird, beziehungsweise dann endgültig das E-Bike vorbeizieht, wie es beim Warenwert schon längst geschehen ist.
Bei den verkauften Rädern waren also 2,2 Millionen Stück elektrisiert, eine Vervierfachung seit 2015. In der Gunst ganz vorne lagen E-MTBs mit 836.000 Stück, die damit die E-Trekking­räder erstmals vom Spitzenrang verdrängten. Die Zahl von 616.000 E-Bikes bedeutete für dieses Segment übrigens einen Rückgang um 4 Prozent. Es ist das einzige Segment, das etwas schrumpfte. Das dickste Plus zeigte das als »Rennrad/Gravel/Fitness« zusammengefasste Segment mit 120 Prozent Plus. Um das Wachstum zu erklären, hätte es aber vermutlich genügt, einfach „Gravel“ zu schreiben. Insgesamt kamen die elektrisierten Renner auf 22.000 verkaufte Stück. Mehr als solide ist die Entwicklung bei den Cargo-E-Bikes. Das Jahresplus von 37,5 Prozent belegt, dass hier noch lange nicht die Luft raus ist. Allerdings sieht man nun erstmals ein Wachstum unter 50 Prozent. Alarmglocken muss man deswegen bei nun 165.000 E-Cargo-Rädern und weiteren 47.500 nicht motorisierten Lastenrädern wohl noch nicht läuten.
Auch wenn die nicht motorisierten Segmente heute oft nur noch eine Nachbetrachtung zu sein scheinen, bieten sie nach wie vor noch viele interessante Einsichten. So sind 76,5 Prozent aller nicht elektrischen Fahrräder für urbane Einsätze ausgelegt.


Die Fahrradindustrie hat vergangenes Jahr fast eine halbe Million mehr E-Bikes und Fahrräder als im Vorjahr an den Handel ausgeliefert.

Das lässt einen an die Aussage denken, dass das E-Bike in der Stadt noch gar nicht angekommen sei. Zumindest gibt es an dieser Stelle noch viele Handlungsmöglichkeiten. Auffällig ist das stetige Schrumpfen des Mountainbike-Marktes. In 2022 wurden erstmals seit sehr, sehr langer Zeit weniger als 100.000 MTBs in Deutschland verkauft. Seit 2019 hat sich die Zahl also nochmals halbiert. Die gute Nachricht ist, dass die Menschen stattdessen E-MTBs fahren, die ganz offensichtlich massentauglicher sind.
Eine neue Zahl, die bisher nicht genannt wurde, betrifft Fahrradanhänger. Hier wies der ZIV darauf hin, dass dieses Segment nicht die Aufmerksamkeit erfährt, die es verdient. Angesichts von 293.000 verkauften Einheiten allein in 2022 stellt es jedenfalls nach wie vor das Lastenrad in all seinen Varianten noch in den Schatten. Ebenfalls neu waren die Zahlen zum Radlogistikmarkt. Die verkauften 27.300 Stück stellen eine Verdopplung zum Vorjahr dar. Auch der Umsatz ist mit nun 175 Millionen Euro zu einer Größe angewachsen, die für interessierte Aufmerksamkeit sorgt. Deutlicher als in der Vergangenheit wurden nun die Unterschiede beim Durchschnittspreis ausgeführt: Der Durchschnittspreis für Fahrräder lag vergangenes Jahr bei glatten 500 Euro, für E-Bikes bei glatten 2800 Euro. Der weniger aussagekräftige Durchschnittswert für alles zusammen lag damit bei 1602 Euro, einmal mehr ein deutliches Plus, das vor allem durch die immer weiter steigende Bedeutung des E-Bike-Marktes zustande kommt, und, weil das bisher nicht kommentiert wurde, die branchenfremden Beobachter regelmäßig irritiert. Bei den 500 Euro der Normalräder ist übrigens neben den günstigeren Kinderrädern auch alles enthalten, was abseits des Fachhandels verkauft wird und entsprechend den Schnitt nach unten zieht. Der VDZ liefert reine Fachhandelszahlen. Dort sind Durchschnittspreise von 714 Euro brutto für normale Fahrräder und 3570 Euro für E-Bikes genannt. Der Fachhandel verkauft also nicht nur deutlich hochwertiger, sondern auch deutlich mehr, denn der Fachhandel konnte seine Marktanteile einmal mehr behaupten: 76 Prozent (davon 3 Prozent Online-Anteil von stationären Händlern) machen klar, dass die Kundinnen und Kunden am liebsten im Laden kaufen und die Services des Handels zu schätzen wissen. Auch das, man kann es gar nicht oft genug wiederholen, ist in der heutigen Zeit eine einzigartige Marktverteilung.

Nicht ganz so rosige Aussichten

Die Jahreszahlen des ZIV zum Jahr 2022 sind ein weiterer Beleg für die Leistungsfähigkeit der Fahrradbranche allgemein und der Industrie im Besonderen. Trotz aller sich bereits abzeichnenden Wolken am Horizont hat man es geschafft, ein weiteres Jahr über dem Vor-Corona-Niveau zu bleiben. Ob dies in 2023 auch gelingen wird, bleibt fraglich. Es ist schlicht unklar, wie sich die kurzfristige Nachfrage entwickeln wird. Dazu stehen bei vielen Handelsbetrieben gerade die Warenbestellungen der letzten drei Jahre auf dem Hof. Selbst bei optimalem Abverkauf wird es eine geraume Zeit dauern, bis die vollen Lager im Handel geleert sind. Und dann die Lager der Hersteller. Und dann die vollen Container in den Häfen. Und dann die Lager der Produzenten in Fernost. Nur weil eine Stornierungswelle durch die Branche ging, bedeutet das nicht, dass die Sachen weg und aus der Welt wären. Es wäre verblüffend, wenn sich diese Um-stände zumindest für 2023 nicht in den Produktionszahlen niederschlagen würden. Das Jahr dürfte damit absehbar für viele Marktteilnehmer hart werden. Es ändert aber nichts an der langfristigen Perspektive: Das Fahrrad bleibt ein großartiges, begehrliches Produkt, das weiter an Zuspruch und Bedeutung gewinnt. Auch wenn es dazu noch keine belastbaren Prognosen gibt: Schon in 2024 könnte die Produktionsmaschine wieder zu alten und neuen Hochtouren anlaufen. Dann dürfte die Fahrradindustrie mit den gemachten Erfahrungen auch besser gerüstet sein für etwaige Prüfungen der Zukunft. //

25. April 2023 von Daniel Hrkac

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